Alisha: Also eigentlich die perfekte Überleitung zu unserer Folge heute, wie du gesagt hast, denn mittlerweile wird ja durch KI schon auch komponiert. Möglicherweise wird es irgendwann KI geben, die diesen großen Komponisten noch richtig den Rang abläuft, auch wenn wir da wahrscheinlich aktuell noch nicht sind, aber wer weiß, das könnte doch passieren. Also sehr gute Überleitung. Dann fangen wir doch erstmal bei dir an. Du bist ja nur mal Jurist und Juristen und Technologie haben ja auf den ersten Blick nicht viel miteinander zu tun. Wir sind natürlich bei Legal Tech einer ganz anderen Meinung, aber so das klassische Juristenbild ist ja dann doch ein anderes. Woher kommt denn deine Leidenschaft für die Technologie?
Martin: Ja, ich bin ja im Westberlin der 1970er, 80er Jahre hinter der Mauer aufgewachsen...
Alisha: Auf der Insel?
Martin: Genau, auf der Insel. Ich hatte dann schon ziemlich früh in Commodore 64, wo man dann ziemlich mühselig mit einer Datasette sich die ganzen Daten laden musste. Und meine Oma, die war Geschäftsführerin vom Deutschen Komponistenverband, das ist die Interessenvertretung der deutschen Komponisten in Deutschland. Und die hat dann große Adressenlisten geführt für alle Mitglieder. Das waren damals schon über 1.000 Mitglieder. Und immer, wenn dann irgendwie eine neue Adresse dazukam, musste, dass dann alles nochmal neu abgetippt werden mit einer Kugelkopf-Schreibmaschine. Und als ich dann einen Computer hatte, habe ich mir gedacht, das ließe sich doch vielleicht auch einfacher machen oder zumindest so, dass man die Adressen dann nicht jedes Mal neu schreiben muss. Das war beim ersten Mal natürlich ziemlich aufwendig, aber hat sich dann in den Folgejahren schon rentiert. Später dann im Studium hat das eigentlich nicht so eine große Rolle gespielt. Ich habe dann ja erst einmal an der Freien Universität Berlin studiert. Dann habe ich promoviert zu einem Thema im Versicherungsrecht an der Humboldt-Universität. Dann war ich eine Zeit lang an der Universität Münster, habe mich da mit Fragen des europäischen Privatrechts beschäftigt. Und dann eigentlich erst beim Abschluss der Habilitation habe ich einen Vortrag gehalten zum Thema intelligente, elektronische Agenten, also sehr eng verwandt mit künstlicher Intelligenz und da ist mir aufgefallen, dass es da eine riesige Forschungslücke eigentlich gibt, denn zu dem damaligen Zeitpunkt, 2015, 2016 gab es fast kaum eigentlich rechtswissenschaftliche Abhandlungen über künstliche Intelligenz, auch nicht im Ausland, also auch in den US-Journals gab es noch nicht so viel und das hat mich dann eben dazu bewogen, zusammen mit Kollegen und Kolleginnen von der Universität Hannover und der Humboldt-Universität in Berlin die Robotics and AI Law Society zu gründen, also RAILS oder auf Deutsch gesagt die rechtswissenschaftliche Gesellschaft für künstliche Intelligenz und Robotik.
Alisha: Tja, da musst du natürlich jetzt direkt weitermachen. Was macht denn RAILS?
Martin: Ja, RAILS macht ganz unterschiedliche Sachen. Also erst einmal, wir sind eine Non -Profit-Gesellschaft. Jeder kann bei uns auch Mitglied werden. Wir verstehen uns vornehmlich als Wissenschaftsgesellschaft, wo wir darüber diskutieren, wie der künftige Rechtsrahmen vor allen Dingen aussieht für künstliche Intelligenz und für Robotik. Wir schreiben Positionpapers zu aktuellen politischen Fragen und wir veranstalten mindestens einmal im Jahr eine große Konferenz. 2018 hatten wir eine Konferenz in Hannover, wo wir so einen großen Rundumschlag gemacht haben und geschaut haben, was macht denn eigentlich künstliche Intelligenz aus der Perspektive des Datenschutzes, aus der Perspektive des Vertragsrechts, aus der Perspektive des Haftungsrechts und so weiter. 2019 hatten wir dann eine Konferenz, wo es schon um Regulierungsfragen ging. 2020 kam dann ja Corona. Da hatten wir aber auch eine Online -Konferenz zum Thema Contracting and Contract Law in the Age of AI. Da ging es also um Fragen des Vertragsrechts und wie überhaupt Verträge heutzutage geschlossen werden mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz. 2021 hatten wir eine Konferenz zum IT -Sicherheitsrecht und KI und Robotik. 2022 haben wir uns mit Fragen der Standardisierung beschäftigt von Künstlicher Intelligenz. Und im letzten Jahr hatten wir sogar zwei Konferenzen - eine Konferenz, die sich mit der Frage beschäftigt hat, was ist denn eigentlich mit KI und Robotik in der Medizin? Und dann, weil ja ChatGPT auch kam, hatten wir eine Konferenz zum Thema generative künstliche Intelligenz. Und jetzt für 2024 sind auch zwei Konferenzen wiederum geplant. Einmal eine Konferenz auf Deutsch in Kooperation mit der LMU München. Und zwar werden wir uns da mit der neuen Produkthaftungsrichtlinie beschäftigen. Und dann werden wir 2024 noch eine weitere Konferenz ausrichten mit US-amerikanischen Kollegen. Dort gibt es nämlich in den USA seit 2012 schon eine Konferenz, die nennt sich WeRobot. Und jetzt planen wir gerade eine European Edition dieser Konferenz. Also wir haben vor allen Dingen Konferenzen, dann veranstalten wir viele Webinare. Dann haben wir auch Forschungsprojekte. Das größte Forschungsprojekt, was wir zurzeit haben, ist im Bereich der sogenannten Geriatronik. Das ist so ein Fantasy-Word, aber das setzt sich vor allen Dingen eben zusammen aus Geriatrie und Mechatronik. Und es geht vor allen Dingen darum, zu schauen, wie kann im Bereich der Pflege Robotik eingesetzt werden. Es geht nicht darum, Pflegepersonal zu ersetzen, sondern zu unterstützen. Denn es gibt ja auch einen großen Pflegekräftemangel in Deutschland. Und RAILS begleitet dieses Projekt kritisch aus ethischer und rechtlicher Sicht und gibt insofern da auch die Expertise. Dann haben wir einmal im Jahr auch einen RAILS Paper Award. Da kann sich jeder bewerben, der ein Paper zum Thema künstliche Intelligenz noch nicht publiziert hat und das gerne einreichen möchte für diesen Preis. Wir haben auch eine Blog-Section auf unserer Website. Und last but not least haben wir auch so ganz praktisch etwas, was wir nennen Tech-and-Law-Camps. Bei diesen Tech-and-Law-Camps arbeiten wir meistens mit Legal Tech Startup-Unternehmen zusammen. Das ist kein Hackathon, also man muss da keine technischen Vorkenntnisse haben, aber man kann auf diese Weise eben mal so ein bisschen mit der Software rumspielen und dann schauen, wie lässt sich denn Software auf spezifische Use Cases anwenden und auf diese Weise so ein Gefühl einfach dafür entwickeln, was ist denn eigentlich möglich, aber auch natürlich was ist nicht möglich.
Alisha: Ich glaube, da war ich mal dabei, bei einem Tech-and-Law-Camp.
Ja, ich glaube, da haben wir uns dann ja auch kennengelernt. Wir haben nämlich eins in Amsterdam vereinstaltet.
Arbeit auf zwei juristischen Standbeinen
Alisha: Genau. Jaja, das ist schon ein paar Jährchen her. Ne, ganz cool. Als Wissenschaftler, der du bist, hast du natürlich bestimmte Fokusthemen. Das kommt jetzt schon ganz gut raus. Und du hast in unserem Vorgespräch so ganz schön gesagt, dass du in dem Bereich technologische Entwicklung in der Rechtsbranche auf zwei juristischen Standbeinen stehst. Welche beiden sind das denn?
Martin: Also die erste Perspektive, da lautet so die große Frage, was macht denn eigentlich Technologie mit dem Recht? Also wie können wir bestehendes Recht anwenden auf neue Technologien? Welche neuen Risiken gibt es denn da eigentlich? Und inwieweit kann auf der Grundlage das Bestehenden Rechts diesen Risiken Rechnung getragen werden. Und natürlich auch: welchen künftigen Rechtsrahmen brauchen wir für neue Technologie? Und auch so übergreifende Fragen, wo ersetzt Technologie das Recht? Wir haben ja auch das Phänomen, dass immer mehr Bereiche automatisiert werden und dann auch gleichzeitig durchgesetzt werden durch Technologie und auf diese Weise brauchen wir dann gar nicht mehr das typische Instrumentarium des Rechts, um bestimmte Verhaltensgebote durchzusetzen.
Alisha: Also Ansprüche durchzusetzen quasi?
Martin: Genau, zum Beispiel halt im Bereich des Smart Contracts, wenn man ein Auto least, die Leasingraten nicht bezahlt und dann springt das eben nicht mehr an. Also das ist so die erste Perspektive. Und die zweite Perspektive, die mich sehr stark interessiert, ist, wie können wir als Juristen, Juristinnen Technologie einsetzen, um bestimmte Arbeitsprozesse effektiver zu gestalten. Also der ganze Bereich des Legal Tech. Das sind so die beiden Bereiche, die mich sehr interessieren.
Alisha: Also das eine ist wirklich regulatorisch, das andere sehr operativ. Lass uns doch beide Bereiche einmal etwas besser anschauen. Fangen wir mal mit dem regulatorischen an. Der rechtliche Rahmen, der sich jetzt mit der Zeit verändert. Vielleicht kannst du einmal sagen, was passiert denn da eigentlich gerade alles? Und natürlich auch, was hat das für Auswirkungen auf die Ausbildung von Juristinnen und Juristen heute?
Martin: Ja, also da passiert tatsächlich im regulatorischen Bereich unglaublich viel, zum Beispiel jetzt mit Blick auf die Anwendung des bestehenden Rechts auf neue Technologien, nehmen wir mal so eine neue Technologie wie künstliche Intelligenz, da besteht ja schon jetzt erheblicher Beratungsbedarf und zwar im Bereich des Datenschutzrechts, wenn es zum Beispiel um Training von KI-Systemen geht und die Bildung dann von Modellen, aber auch im Urheber- und Patentrecht, im Bereich des Haftungsrechts, im Bereich des Vertragsrechts, im Bereich des Gesellschaftsrechts, Arbeitsrecht zum Beispiel, wenn bei Arbeitsverhältnissen KI eingesetzt wird, aber auch im Prozessrecht, wo es zum Beispiel um die Frage geht: Inwieweit können denn neue Technologien als Beweismittel zugelassen werden? Welche neuen Formen der Verhandlung gibt es denn da? Virtuelle Verhandlungen, kann das Metaverse zum Beispiel da irgendwie verwendet werden für die Verhandlung? Und dann gibt es eine Reihe auch von neuen Rechtsakten. Und diese neuen Rechtsakte kommen vor allen Dingen von der Europäischen Union. Da gab es ja schon 2019 zwei Richtlinien. Eine neue Richtlinie über Warenkauf, vor allen Dingen Güter mit digitalen Inhalten. Und eine andere Richtlinie über digitale Dienstleistungen, die dann dazu geführt haben, dass das BGB geändert wurde und eine Menge A, B, C, D Paragrafen dazugekommen sind.
Alisha: Das ist immer schön, da freut man sich, wenn man in der Ausbildung ist und auf einmal so ein kleines Alphabet eingefügt wird.
Martin: Ja, in der Tat. Und dann gibt es eine Reihe von Rechtsakten, die teils in Kraft sind, teils erst noch in Kraft treten werden. Zum Beispiel Digital Services Act, mit dem ja Plattformen reguliert werden. Digital Markets Act. Dann gibt es im Bereich der Daten, Wirtschaft, den Data Governance Act und den vor kurzem in Kraft getretenen Data Act. Und auch in dieser Legislaturperiode, die ist ja nicht mehr besonders lang. Wir haben ja Wahlen für das Europäische Parlament. Ich glaube, im Juni 2024 schon kommen drei Rechtsakte, die eigentlich sehr zentral sind. Einmal natürlich die Verordnung über künstliche Intelligenz, dann aber auch eine neue Produkthaftungsrichtlinie. Die alte Produkthaftungsrichtlinie ist ja relativ alt, von 1985, und trägt den neuen Technologien nicht ausreichend Rechnung. Und deswegen gibt es diese neue Produkthaftungsrichtlinie, die auch erst mal umgesetzt werden muss. Und dann, auch sehr spannend, gibt es ein European Health Data Space, wo es also um die Verwendung von Gesundheitsdaten geht und insbesondere um die Zweitverwendung von Gesundheitsdaten, um eben KI-Systeme zu trainieren. Also das zeigt eigentlich nur vor allen Dingen, dass auf europäischer Ebene zurzeit sehr viel los ist. Dementsprechend muss das umgesetzt werden oder durchgeführt werden in den Mitgliedstaaten. Und dementsprechend müssen dann auch Juristinnen und Juristen natürlich sich vertraut machen mit diesen neuen Rechtsakten.