Anwältin sitzt vor Laptop bei einer Videoverhandlung

Verfasst von Laura Hörner|Veröffentlicht am 19.02.2024

Videoverhandlung: Wie 128a ZPO die Gerichte verändert

Voraussetzungen & Vor- und Nachteile von Gerichtsverhandlungen per Videokonferenz

Vor Gericht herrscht seit jeher Ordnung: Richterbank, Zeugentisch, Zuschauerbereich – jeder weiß, wo sein Platz ist. Spätestens seit der Corona-Pandemie hat sich diese räumliche Ordnung jedoch zunehmend aufgelöst. Denn Gerichtsverhandlungen per Videokonferenz waren zu dieser Zeit an der Tagesordnung. Möglich ist das schon seit 2002, im Rahmen der Digitalisierung der Justiz gewinnt die Videoverhandlung in den letzten Jahren aber auch unabhängig von Abstandsregelungen immer mehr an Bedeutung. Welche Möglichkeiten es gibt, ob Richterinnen und Richter nun wie andere Jurist:innen im Home Office arbeiten können und was Paragraf 128a ZPO beinhaltet, klären wir im Folgenden.

Die Videoverhandlung nach Paragraf 128a ZPO

Dass das Gericht online tagen darf, ist nicht neu. Die Rahmenbedingungen dafür sind in der Zivilprozessordnung festgelegt, genauer gesagt im Paragrafen 128a ZPO. Dieser besteht schon seit mehr als 20 Jahren – mit dem technischen Fortschritt sah aber auch die Politik Bedarf für eine Aktualisierung der Regelungen. Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung, der am 17. November 2023 beschlossen wurde, sieht vor allem eine wichtige Änderung vor: die vollvirtuelle Videoverhandlung.

Konkret bedeutet das, dass nicht nur die Anwält:innen, Mandant:innen, Zeug:innen und weitere Beteiligte sich online ins Gericht zuschalten können, sondern dass auch Richter:innen der Gerichtsverhandlung per Videokonferenz vorsitzen können. So ungewöhnlich das auch erst klingen mag: Richter:innen dürfen einem Verfahren künftig theoretisch von ihrem Wohnzimmer aus beiwohnen.

Die Entscheidung darüber, wo und wie die Verhandlung nun stattfindet und wer von wo aus teilnehmen darf, liegt immer noch beim Gericht. Dieses kann eine Videoverhandlung gestatten oder gar anordnen. Dafür reicht es schon, dass eine Partei oder eine beteiligte Person dies beantragt. Lehnt das Gericht einen Antrag ab, dann muss es dies begründen.

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So kommt eine Videoverhandlung zustande

Selbstverständlich gibt es für Gerichtsverhandlungen per Videokonferenz bestimmte Bedingungen – schließlich muss sichergestellt werden, dass alle Beteiligten ohne Nachteile und Einschränkungen an der Verhandlung teilnehmen können. Bei der Videoverhandlung gilt deshalb das Prinzip der sogenannten „allseitigen zeitgleichen Wahrnehmung“, das erfüllt sein muss. Das bedeutet konkret, dass die Vernehmung in Bild und Ton übertragen werden muss. Teilnehmer:innen müssen sich also nicht nur telefonisch zuschalten, sondern auch ihr Gesicht zeigen. Ebenfalls wichtig: Alle Beteiligten müssen einander zu jeder Zeit sehen und hören können.

Das gilt auch für die anwesenden Richter:innen. Der vorsitzende Senat des BFH entschied, dass alle Beteiligten feststellen können müssen, ob die Richter:innen "in der Lage sind, der Verhandlung in ihren wesentlichen Abschnitten zu folgen". Es reicht also nicht aus, nur einen Teil der Richterbank per Video zu übertragen. Genauso wichtig ist es etwa, dass die Streitparteien sich gegenseitig sehen können, da auch die Mimik und Gestik bei der Verhandlungstaktik eine Rolle spielen. Die Bildschirme für die Übertragung sollen deshalb im Verhandlungsraum so angebracht werden, dass sich die Beteiligten nicht erst drehen müssen, um diese zu sehen.

Nicht zuletzt ist eine wichtige Voraussetzung einer vollvirtuellen Videokonferenz nach 128a ZPO, dass die Öffentlichkeit an der Verhandlung teilnehmen kann. Dazu muss eine für jeden zugängliche Übertragung im Gerichtsgebäude stattfinden. Bei dem Raum muss es sich allerdings nicht zwingend um einen Sitzungssaal handeln. Einzelne Gerichte erproben zudem den Zugang zu Verhandlungen über einen Live-Stream. So wäre gar keine öffentliche Übertragung mehr notwendig.

So ungewöhnlich das auch erst klingen mag: Richter:innen dürfen einem Verfahren künftig theoretisch von ihrem Wohnzimmer aus beiwohnen.

Technische Voraussetzungen für die Online-Gerichtsverhandlung

Dass die Videoverhandlungen an der fehlenden Digitalisierung der Justiz scheitern könnten, ist, zumindest in der Theorie, nicht zu befürchten – schließlich hat sich schon während der Pandemie gezeigt, dass eine virtuelle Verhandlung durchaus möglich ist. Dennoch sind die technischen Rahmenbedingungen nicht überall ausreichend. Genug Kameras und Bildschirme, welche die „allseitige zeitgleiche Wahrnehmung“ gewährleisten würden, sind noch lange nicht überall vorhanden. Das BMJ geht von aktuell rund 435 videokonferenzfähigen Gerichtssälen aus, gerade bei ordentlichen Gerichten fehlt die notwendige Ausrüstung oft noch.

Eine einheitliche Software zur Durchführung der digitalen Verhandlungen gibt es noch nicht. Stattdessen greifen Gerichte auf kommerzielle Anbieter zurück – oftmals ist das Skype for Business. Teilnehmer:innen können darauf durch einen Einladungslink zugreifen und benötigen lediglich ein Endgerät mit Kamera und Mikrofon sowie eine stabile Internetverbindung.

Was passiert nun aber, wenn bei Teilnehmenden technische Probleme auftreten? Ganz eindeutig ist hier der Fall noch nicht. Klar ist aber, dass das Gericht die Verhandlung abbrechen muss, wenn die zeitgleiche Übertragung von Ton und Bild nicht (mehr) möglich ist. Die Überprüfung der Technik vor der Übertragung gehört zur Sorgfaltspflicht und Anwält:innen müssen prüfen, ob diese funktioniert. Kommt das jeweilige Gericht zu dem Ergebnis, dass sie dieser Pflicht nicht nachkamen, kann ein Versäumnisurteil erlassen werden.

Vor- und Nachteile der Videoverhandlung

Die Digitalisierung der Justiz schreitet langsam aber sicher voran – wenn auch nicht so schnell, wie es sich einige wünschen würden. Die Anpassungen in Paragraf 128a ZPO sind aber als Teil des Digitalpaktes der Justiz bereits ein Schritt in die richtige Richtung. Unter anderem beinhaltet der Digitalpakt auch einen Plan zur Entwicklung eines Videoportals, um die digitalen Verhandlungen zu standardisieren.

 

Die Vorteile der Online-Gerichtsverhandlung

Das Ziel ist klar: Die Gerichte sollen moderner werden. Und Verhandlungen per Video können dazu einen großen Beitrag leisten. Diese Vorteile bieten sie unter anderem:

  • Videoverhandlungen können eine Zeit- und Kostenersparnis bedeuten. Unnötige Reisen fallen zum Beispiel für Anwält:innen, Zeug:innen und andere Beteiligte weg. Auf diese Weise verringern sich auch Reiseaufwendungen.
  • Weniger Reisen bedeuten gleichzeitig auch eine Entlastung für die Umwelt.
  • Gerichtsverhandlungen per Videokonferenz können eine bessere Work-Life-Balance für Beschäftigte in der Justiz bedeuten. Diese haben auf diese Weise die Möglichkeit, öfters aus dem Home Office arbeiten. Das kann möglicherweise sogar einen Teil dazu beitragen, den Beruf attraktiver zu machen und so dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.
  • Die Möglichkeit zur Videoverhandlung erleichtert den Zugang zur Justiz. Menschen, die aufgrund von gesundheitlichen Problemen oder weiter Entfernungen Probleme haben, persönlich zu Gericht zu erscheinen, wird so eine Alternative geboten.
  • In Situationen wie der Pandemie, aber auch bei Krankheitswellen wie der Grippe kann es von Vorteil sein, wenn sich möglichst wenig Menschen in einem Raum aufhalten. Videoverhandlungen könnten so Krankheitsausfälle auch bei der Justiz vermindern.

 

Die Nachteile der Online-Gerichtsverhandlung

Verhandlungen online durchzuführen bringt selbstverständlich nicht nur Vorteile mit sich. Unter anderem können folgende Nachteile und Herausforderungen entstehen:

  • Eine der größten Herausforderungen ist wohl die Technik. Es kann vorkommen, dass diese bei Teilnehmenden versagt und die Verhandlung verzögert oder gar unmöglich macht. Zudem müssen viele Gerichte noch mit den notwendigen Geräten ausgestattet werden.
  • Die digitale Kommunikation unterscheidet sich vom persönlichen Austausch. Die Möglichkeiten zur direkten Interaktion sind dadurch eingeschränkt. Das kann einen negativen Einfluss auf die Qualität der Kommunikation zwischen den Beteiligten haben.
  • Kritiker:innen sehen einen möglichen Autoritätsverlust der Richter:innen, wenn diese die Verhandlung zum Beispiel aus ihrem Zuhause heraus durchführen.
  • Bei sensiblen Fällen, zum Beispiel solchen, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden, könnte es zu Problemen bei der Sicherheit kommen. Wird die Verhandlung vor Gericht online durchgeführt, besteht zum Beispiel die Möglichkeit zur unerlaubten Aufzeichnung des Verfahrens oder die Gefahr von Hackerangriffen. Auch datenschutzrechtliche Bedenken sind möglich.

Videoverhandlungen sind ein wichtiger Beitrag zur Digitalisierung der Justiz und können, wenn sie richtig und konsequent angewandt werden, nicht nur eine Entlastung für die Gerichte, sondern auch für alle anderen bedeuten, die an den Verfahren beteiligt sind. Sie reihen sich damit ein in zahlreiche Maßnahmen, welche die Justiz modernisieren und entlasten sollen. Es bleibt noch abzuwarten, in welchem Ausmaß sich Online-Verfahren auch in der Zeit nach der Pandemie durchsetzen werden.

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Laura Hörner
Kulturwirtschaft Uni Passau

Als freie Autorin schreibt Laura Hörner bei TalentRocket über Themen rund um die juristische Karriere. Besonders interessiert sie sich dabei für die vielfältigen Karrierewege, die Jurist:innen offenstehen.