2. Reich und Recht endlich vereint: Die Kodifikation des Bürgerlichen Rechts
Natürlich drängt sich nun auch die Frage auf, wann genau das „Allgemeine Privatrecht“ kodifiziert, das BGB – so wie wir es heute kennen – formuliert wurde. Vor der Kodifikation des Bürgerlichen Rechts war der deutsche Rechtsraum im 19. Jahrhundert von einer großen Diversität und entsprechend zahlreichen Rechtssystemen geprägt.
Hierzu gehörten (traditionell) römische, französische, preußische, bayerische, sächsische, österreichische sowie dänische Privatrechtsordnungen. Als besonders bedeutsame zivilrechtliche Kodifikationen sind an dieser Stelle zudem noch der Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis (1756), das preußische Allgemeine Landrecht (1794) sowie der Code Civil (1804) zu nennen.
Was sich zunächst vielleicht nach einer spannenden Mischung diverser Rechtssysteme anhört, behinderte und störte in seiner Anwendung letztlich jedoch sowohl die ökonomische Entwicklung als auch das in Deutschland allmählich erwachende Nationalgefühl der Bevölkerung.
In politischer Hinsicht wurde die Kodifikation des Bürgerlichen Rechts jedoch erst mit der Reichsgründung im Jahre 1871 möglich. In den Jahren von 1874 bis 1888 rief der Bundesrat schließlich die sogenannte Erste Kommission ein, die dann über eine angemessene Form und Umsetzung beriet. Der anschließend publizierte erste Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuches stieß allerdings nicht ausschließlich auf positive Resonanz.
Kritisiert wurden unter anderem das komplexe System der Querverweise zwischen den einzelnen Normen sowie die für Laien teils schwer verständliche juristische und abstrakte Sprache. Anton Menger (1841-1906) merkte kritisch an, dass soziale Belange der zu diesem Zeitpunkt infolge der Industrialisierung riesigen Arbeiterschaft im ersten Entwurf des BGB viel zu wenig Anklang finden würden. Otto von Gierke (1841-1921) sprach bezüglich des Entwurfes von einem „in Gesetzesparagraphen gegossenen Pandektenkompendium“.
→ Rechtsgeschichtlicher Exkurs ins römische Reich: Die so eben genannte Bemerkung spielt unter anderem darauf an, dass das BGB durchaus auch als Produkt der Pandektenwissenschaft angesehen werden kann. Schließlich ist die komplexe Systematik und abstrakte Sprache des BGB – die Laien bekanntermaßen ja bis heute irritiert – der Pandektistik geschuldet. Damit ist die im 19. Jahrhundert weit verbreitete Strömung der Rechtswissenschaft gemeint, welche die Verarbeitung des „ius commune“, also des gemeinen, fortgeltenden römischen Rechtes, zum Ziel hatte.
Zur Quellenarbeit wurden die sogenannten Pandekten verwendet, also die Sammlungen des römischen Rechtes, deren Geschichte bis ins 6. Jahrhundert zurückreicht. Der oströmische Kaiser Flavius Petrus Sabbatius Justinianus ließ nämlich zwischen den Jahren 528 und 534 n. Chr. durch die bekanntesten römischen Juristen das bis dato geltende Recht zusammenfassen und in den Pandekten (ca. 50 Schriftrollenbände) sammeln. Diese Pandekten, auch Digesten genannt, wurden schließlich Teil des Corpus Juris Civilis, der außerdem die Institutiones Iustiniani, eine Art Anfängerlehrbuch, die Gesetzessammlung Codex Justinianus und die Leges Novellae, ein juristisches Sammelwerk, umfasste.
Durch eine neue und somit Zweite Kommission wurde der erste Entwurf des BGB zwischen 1891 und 1895 weiter angepasst, auch im Hinblick auf eine sprachliche Bereinigung. Anschließend kam es 1896 im Rahmen der Beratungen im Bundesrat und Reichstag noch zu kleineren Modifikationen.
Am 18.08.1896 wurde die finale Version durch den Kaiser jedoch endgültig unterschrieben. Schließlich trat das Bürgerliche Gesetzbuch am 1. Januar 1900 in Kraft und ist seitdem und bis heute die zentrale normierte Grundlage des allgemeinen deutschen Privatrechts. → Übrigens: Das ebenfalls bedeutsame und gleichfalls bis heute geltende Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch (ABGB) unserer österreichischen Nachbarn gilt bereits seit 1811 – der französische Code Civil sogar seit dem Jahr 1804.