Entwicklung
Auch wenn der Begriff “Recht” im Wort Kartellrecht eine rein juristische Disziplin vermuten lässt, so ist dessen Entwicklung und die Bewertung kartellrechtlicher Fragestellungen mindestens einer weiteren Wissenschaft zuzuschreiben: der Ökonomie.
Ein kleiner Sprung in die Geschichte: Der Ursprung des Kartellrechts geht auf die Vereinigten Staaten zurück, wo sich unter dem Einfluss der industriellen Zeitenwende zum Ende des 19. Jahrhunderts erstmals auf der Welt eine Antitrust-Gesetzgebung entwickelte. Jahrzehnte zuvor beschäftigen sich bereits Ökonom:innen in verschiedenen Theorien mit dem Funktionieren von Märkten. Sie untersuchten dabei zentral den Einfluss und die Auswirkungen von Wettbewerb auf Wirtschaft und Konsumentenwohlfahrt.
Im Mittelpunkt der Untersuchungen von Adam Smith, David Ricardo, John Maynard Keynes und Co. stand dabei folgende philosophisch anmutende Fragestellung: Sollte Wettbewerb frei oder fair sein? Die dahinterstehende Theorie lautet, dass vollkommen freier Wettbewerb nicht fair sei, da große Unternehmen ihre Marktmacht zum Nachteil kleinerer Konkurrenten sowie Konsument:innen ausnutzen würden. Fairer Wettbewerb hingegen sei nicht frei, da er marktmächtigen Unternehmen Verhaltensregeln auferlege, um gerechte Marktbedingungen zu schaffen.
Unter Ökonom:innen ist mittlerweile anerkannt, dass freier Wettbewerb zu einer größtmöglichen Maximierung der gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrt beiträgt. Allerdings erkennen Staaten zunehmend weitere Zwecke an, die eine Marktordnung zum Wohle ihrer Bevölkerung erfüllen sollten, wie zum Beispiel soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit. In diesem Sinne kommt dem Kartellrecht die Aufgabe zu, den rechtlichen Rahmen für eine Wettbewerbsordnung zu schaffen – und zu erhalten, welche Wirtschaftswachstum mit übergeordneten Zielen vereinbart.
Unter dem Einfluss voranschreitender Globalisierung haben sich mittlerweile in fast allen global agierenden Jurisdiktionen der Welt eigene Kartellrechtsordnungen entwickelt. In den USA herrscht traditionell ein eher freiheitsorientierter Rechtsrahmen vor, wohingegen die Europäische Union (EU) nach dem Vorbild der deutschen Kartellrechtsordnung eine soziale Marktwirtschaft mit Fokus auf die Integrität des EU-Binnenmarktes verfolgt.
In den folgenden Abschnitten erläutern wir dir die Umsetzung dieser Rechtsordnung im Detail.
Rechtliche Grundlagen
Wie in der Einleitung bereits angedeutet, verfügen fast alle auf globalen Märkten auftretende Länder der Welt über nationale Wettbewerbsgesetze. Der Anwendungsbereich dieser Gesetze bestimmt sich überwiegend nach dem so
genannten “Auswirkungsprinzip”, auch “effects doctrine” genannt. Einfach gesagt bedeutet dies, dass das Kartellrecht jener Jurisdiktion Anwendung findet, auf dessen Territorium sich das vermeintlich kartellrechtswidrige Verhalten auswirkt.
Treffen sich zum Beispiel Vertreter eines deutschen und eines französischen Unternehmens in einem Hotel in Polen, um ein Preiskartell zu vereinbaren, welches sich alleine auf die Preise im mexikanischen Markt auswirkt, so findet weder Polnisches, noch Deutsches, Französisches oder Europäisches Kartellrecht Anwendung, sondern einzig Mexikanisches.
Das Kartellrecht innerhalb der Deutschen wie auch der Europäischen Rechtsordnung wird in drei Säulen unterteilt:
- Wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen (Kartellverbot)
- Missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung (Missbrauchsaufsicht)
- Fusionskontrolle
Im Verhältnis zu nationalem Kartellrecht der EU-Mitgliedstaaten findet Europäisches Wettbewerbsrecht dabei immer dann Anwendung, wenn der zwischenstaatliche Handel innerhalb des EU-Binnenmarktes betroffen ist. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) legt diese Voraussetzung für die ersten beiden Säulen in ständiger Rechtsprechung allerdings sehr weit aus, sodass praktisch in jedem Fall Europäisches Kartellrecht Anwendung findet. Dies ist der Grund, weshalb sich Jurist:innen, die im Kartellrecht tätig sind, unbedingt auch mit dem Europäischen Kartellrecht vertraut machen sollten.
Darüber hinaus findet im Anwendungsbereich der ersten beiden Säulen des EU-Kartellrechts mitgliedstaatliches nationales Kartellrecht parallel Anwendung (siehe Art. 3 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003). Inwiefern mitgliedstaatliche Abweichungen von den unionsrechtlichen Vorschriften allerdings zulässig sind, ist im Anwendungsbereich der beiden Säulen unterschiedlich zu bewerten (siehe unten).
Im Folgenden soll auf die drei Säulen des Kartellrechts und das Verhältnis zwischen deutschem und europäischem Kartellrecht näher eingegangen werden.