Alisha Andert: Also interessanterweise irgendwie so wie in so vielen Jobs. Man hat die großen wichtigen strategischen Projekte und das operative Tagesgeschäft, was einem dazwischen funkt und was man immer wieder versucht, irgendwie so ein bisschen kleiner zu kriegen, damit man wieder Zeit für seine Projekte hat. Auch das wird, glaube ich, vielen Leuten in ihren Jobs so gehen. Aber so ist es eben auch im Journalismus. Man hört schon, dass man wahnsinnig nah dran ist an der Politik. Und trotzdem soll man ja gleichzeitig als Journalistin auch neutral berichten. Zumindest wäre das das Zielbild, was ich vor Augen habe für den Journalismus. Wie schafft man das denn? Also wie schafft man das eigentlich, so eine kritische Distanz zu bewahren, wenn man so nah an den Leuten dran ist?
Helene Bubrowski: Ja, ganz wichtige Frage, über die viel zu wenig gesprochen wird, finde ich. Das funktioniert nur, wenn man sich seiner eigenen Rolle sehr bewusst ist. Und ich würde auch sagen, dass es nicht immer in Berlin funktioniert. Weil Politiker grenzüberschreitend sind, weil Journalisten teilweise eben auch, manchmal - ich will jetzt keinen Kollegenbashing machen - vielleicht zu weit gehen, sich vereinnahmen lassen. Das ist immer eine Gefahr, die es gibt. Und natürlich man trifft sich ständig, teilweise kennt man Politiker wirklich schon über Jahre. Man wird ja auch sozusagen gemeinsam groß, wenn man so will. Also meine älteren Kollegen, die kennen dann die heutigen Spitzenleute, als die auch Ende 20 waren und irgendwelche Vorsitzende von Jugendorganisationen waren oder Neulinge im Bundestag oder so. Und man trifft sich und das ist dann ja auch häufig sehr nett. Und manchmal trinkt man auch ein Bier und so weiter. Und dass man dann aber immer wieder ganz klar machen muss, was ist meine Rolle, was ist Ihre Rolle, und professionell damit umgehen. Das heißt, man darf als Politiker zum Beispiel, würde ich sagen, einfach nicht beleidigt sein und das passiert aber leider trotzdem häufig, also das ist dann manchmal die Erwartung... "ja aber sie sind doch eigentlich so nett" ..., ja, dann denke ich so, ja ich bin auch nett, aber ich muss meinen Job machen und wenn ich halt der Meinung bin, dieser Gesetzentwurf überzeugt mich nicht, dann schreibe ich das halt auf, oder wenn ich der Meinung bin, das und das war jetzt ungeschickt oder sonst was, dann ist das meine Aufgabe. Also es ist ein ständiges Ringen, man kriegt dann auch häufiger mal irgendwelche Direct Messages über Twitter oder sowas und sich auch dagegen zu verwahren, gleichzeitig natürlich echte Kritik, echte Fehler auch zu korrigieren, das auch ernst zu nehmen, also da zu unterscheiden, ja was ist jetzt, was ist ein Vereinnahmungsversuch, ein Versuch der Instrumentalisierung und was ist irgendwie jetzt vielleicht auch berechtigte Kritik, wo man sagen muss, ja stimmt. Das ist ein ständiger Kampf, man muss immer wieder nachjustieren und auch unter den Kollegen gegenseitig darüber sprechen, sich gegenseitig bestärken. Und es gibt so ein paar, würde ich sagen, Maßnahmen, wenn man so will, die man ergreifen kann, um das möglichst zu verhindern, dass zu große Nähe entsteht. Zum Beispiel für mich, ich würde einfach niemanden duzen. Also ich duze keine Politiker und keine Sprecher und niemanden, der da aus dieser politischen Blase ist. Das finde ich ganz wichtig, weil das so ein äußeres Zeichen ist von Distanz. Wir sitzen an einem Tisch, aber die Seiten sind unterschiedlich, die Blickrichtungen sind unterschiedlich, die Aufgabe ist unterschiedlich. Dass man zum Beispiel nicht klatscht, wenn Politiker sprechen. Das ist manchmal so ein bisschen unangenehm, weil da sind ja auch nur lauter Parteileute und dann sind da so ein paar Journalisten. Und dann passiert das manchmal so aus dem Gesamtgefühl heraus, so alle klatschen, klatsch ich auch, dass man sagt, so nein, ich mach hier nicht mit, ich bin nicht Teil der Partei. Das sind so ein paar Dinge, wo ich denke, das ist dann schon so nach außen sichtbar, was die eigene Rolle ist und dass man sich unterscheidet von irgendwelchen Leuten, die dann eben auch von der anderen Seite sind. Aber es ist gerade in Berlin glaube ich tatsächlich schwierig.
Alisha Andert: Kann ich mir vorstellen, wie ist das denn eigentlich so mit Freundschaften? Ich meine, man ist ja irgendwie in einem Umfeld. Das politische Berlin, wie es ja auch immer so genannt wird, ist dann doch eine ganz schöne Bubble, eine Kombination aus Politik, aus auch Verbänden, aus Journalisten und da kommt viel zusammen. Ich denke mal, man wird ja sicherlich an einer oder anderen Stelle auch mit Leuten irgendwie befreundet sein oder ist das etwas, was man dann wirklich aktiv versucht zu trennen?
Helene Bubrowski: Ja, aber das geht natürlich nicht immer. Unter Journalisten gibt es natürlich viele Freundschaften und manchmal wechseln die Leute auch die Seite. Der jetzige Regierungssprecher zum Beispiel war lange Zeit Journalist bei der Frankfurter Rundschau. Ich kannte ihn aus der Zeit noch nicht, aber viele meiner älteren Kolleginnen und Kollegen kannten ihn, duzen ihn. Also das heißt schon mit dem Duzen, man geht dann auch nicht ins "Sie" wieder zurück, wenn jemand die Seite wechselt. Also das meine ich halt. Das ist nicht immer durchzuhalten. In der Schulklasse meines Sohnes, ist das Kind einer Frau, die auch im politischen Berlin unterwegs ist, aber halt eine andere Rolle hat als ich. Und da mussten wir dann auch einmal kurz drüber reden, wie gehen wir damit um, dass wir jetzt auf einmal irgendwie auch privat miteinander zu tun haben. Das lässt sich halt nicht ganz vermeiden, es gibt einfach zu viele Überschneidungspunkte und Berlin ist groß, aber so groß dann halt irgendwie auch nicht.
Alisha Andert: Das fällt einem immer wieder auf, ja.
Helene Bubrowski: Ja, und dass man sich irgendwie so künstlich von einander fernhält, finde ich dann irgendwann auch albern, wir sind ja erwachsen. Aber ich glaube wirklich, wenn alle Profis sind und professionell ihren Job ausüben und wissen, was die Aufgabe des jeweils anderen ist, dann kriegt man das eigentlich ganz gut hin. Ja, und es gibt natürlich auch teilweise auch Freundschaften. Ich habe jetzt keine engen Freunde in der Politik, aber das gibt es auch zwischen Sprechern und Journalisten. Und auch da ist es dann, also die müssen dann in irgendeiner Form sozusagen eine Absprache machen, dass man sagt, okay, dass man das irgendwo trennt. Das wäre ja auch ein Verrat am eigenen Beruf auf beiden Seiten, wenn ein Sprecher jetzt irgendwie seinem Freund, dem Journalisten immer ständig exklusiv Informationen weitergibt oder umgekehrt, das macht man nicht, das geht auch im beruflichen Kontext nicht. Also ehrlich gesagt, im schlimmsten Fall verliert man dann seinen Job. Wirklich, ich bin immer älter, ich werde immer mehr der Meinung, wenn man professionell seinen Job macht, dann kann man mit fast allem zurechtkommen und schwierig wird es dann, wenn die Leute vergessen, was eigentlich ihre Aufgabe ist.
Alisha Andert: Was ich ganz interessant finde, ist das Bild, was sich hier zeichnet, also gerade wenn man im rechtspolitischen Bereich unterwegs ist, doch nochmal zeigt, dass es wirklich absolut nicht nur ein Schreibjob ist, sondern da wirklich sehr viele persönliche Beziehungen dazu gehören. Stakeholder-Management, wenn man so möchte. Also man muss einfach mit Menschen zurecht kommen, mit Menschen kommunizieren können und gegebenenfalls auch Grenzen aufzeigen oder auch mit dem Verhalten von anderen Personen gut zurecht kommen. Im schlimmsten Fall wirklich sowas wie Anfeindungen. Das ist natürlich die ganz unangenehme Seite, aber auch einfach damit, dass einen jemand doof findet, wenn man irgendwas geschrieben hat. Auch das ist ja etwas, was nicht selbstverständlich ist. Wobei ich sagen würde, dass da zumindest wir Juristinnen und Juristen ja für trainiert werden im Kern, dass man eben auch seine Position vertritt und vielleicht von der Gegenseite doof gefunden wird, aber eben nicht von seinen eigenen Mandanten. Und von daher ist das vielleicht wirklich wieder ein Argument dafür, mehr Juristinnen und Juristen in den Journalismus zu bewegen.
Helene Bubrowski: Das ist ein total guter Punkt. Ich denke ganz oft, dass sich bei Gericht Anwälte gegenüberstehen, aufs Schärfste argumentieren und vielleicht auch einander der Dummheit, Unwissenheit und sonst was bezichtigen und aus dem Gerichtsaal rausgehen, sich die Hand geben und möglicherweise ein Bier trinken. Und das meine ich halt mit dem das Bewusstsein der eigenen Rolle. Genau dieses Bild habe ich im Kopf, wenn Politiker sich beschweren, dann sage ich so Entschuldigung, also ja, wenn dann dieses kommt "sie sind doch so nett", dann denke ich so, das hat, das eine hat mit dem anderen einfach nichts zu tun. Ich muss meinen Job nach bestem Wissen und Gewissen machen und das heißt nicht, dass man nicht irgendwie beim nächsten Sommerempfang auch ein Bier zusammen trinkt. So, das ist, das finde ich, also deswegen finde ich dieses Bild und auch die Rolle des Juristen, der und die genau das lernt, sehr hilfreich.