Status Quo: Klassische Verhandlungs- und Prozessstrategien
Bevor wir mit Dir in die modernen Strategien eintauchen, wollen wir Dir zunächst einen Einblick in die etablierten Verhandlungsmodelle und -strategien geben:
Harvard Konzept
Dieses altbewährte Modell konzentriert sich auf sachorientiertes Verhandeln mit Fokus auf Win-win-Lösungen, objektiven Entscheidungsgrundlagen und der Trennung von Person und Problem. Für eine erfolgreiche Verhandlungsstrategie nach dem Harvard Konzept sind vier Grundsätze entscheidend:
- Menschen und ihre Probleme werden getrennt voneinander behandelt;
- es werden Interessen statt Positionen verhandelt;
- es werden Lösungsalternativen für beide Seiten entwickelt;
- es wird sich an objektiven Bewertungskriterien (z. B. rechtlichen oder ethischen Maßstäben) orientiert.
Das Harvard Konzept bietet den Vorteil, dass es keine Verlierer im klassischen Sinn gibt, die grundsätzlich konträren Seiten zur Kompromissfindung zusammenarbeiten und sich ernst nehmen. Kritisiert wird allerdings, dass das Modell eine hohe Informationsdichte voraussetzt, was in der Praxis oft nicht gewährleistet ist, da sich viele Parteien ungern „in die Karten schauen lassen wollen“.
Fiktives Beispiel für das Harvard Konzept: In einem Zivilprozess fordert ein Unternehmen 100.000 Euro Schadensersatz wegen Vertragsverletzung, die Gegenseite bietet lediglich 30.000 Euro. Nach dem Harvard Konzept legen beide Seiten ihre Interessen offen: Die Klägerin will ihre Verluste ausgleichen und ein Zeichen setzen, die Beklagte will zahlungsfähig bleiben und die Geschäftsbeziehung erhalten. Am Ende einigen sich die Parteien auf 50.000 Euro zahlbar in Raten und die Festlegung verbindlicher Qualitätsstandards für die Zukunft – eine Lösung, die beiden Seiten gerecht wird.
BATNA („Best Alternative to a negotiated Agreement“);
Frei ins Deutsche übersetzt: „Günstigste Handlungsoption bei Scheitern der Verhandlung“)
Sollte das Harvard Konzept scheitern, da keine Einigung zwischen den Streitenden zustande kommt, besteht weiter die Möglichkeit, nach dem BATNA Modell vorzugehen. Dieses geht grundsätzlich davon aus, dass die eigene Verhandlungsposition entscheidend davon abhängt, wie gut die Alternativen zum Verhandlungsergebnis sind. Die BATNA fungiert dabei wie ein innerer Referenzwert: Ist das (vorläufige) Verhandlungsergebnis schlechter als die BATNA, sollte man die Verhandlung lieber abbrechen. Ist das Ergebnis hingegen besser, lohnt sich ein Abschluss.
Eine klar definierte BATNA gibt dir Sicherheit und verhindert, dass du dich unter Druck auf ungünstige Konditionen einlässt. Zudem bietet sie den Vorteil, dass du selbstbewusster und strategisch klüger verhandeln kannst, wenn du deine Alternativen kennst. Umgekehrt kann Unklarheit über die eigenen Optionen dazu führen, dass du entweder ein vorteilhaftes Angebot ausschlägst oder ein schlechtes akzeptierst – beides potenziell folgenschwer.
Deshalb gilt: Vor jeder Verhandlung solltest du deine BATNA sorgfältig analysieren und bewerten, um souverän entscheiden zu können, ob und unter welchen Bedingungen ein Verhandlungsabschluss sinnvoll ist.
Fiktives Beispiel für die BATNA: Du vertrittst als Rechtsanwält:in ein Unternehmen in einem Zivilprozess wegen Vertragsverletzung. Die Gegenseite zeigt sich wenig kompromissbereit und bietet einen Vergleich zu ungünstigen Bedingungen für deinen Mandanten an. Deine BATNA könnte in diesem Fall darin bestehen, das Verfahren fortzuführen, weil du gute Erfolgsaussichten im Prozess siehst oder bereits ein verbindliches Angebot eines Dritten zur Schadens- übernahme vorliegen hast. Mit dieser starken Verhandlungsposition kannst du selbstbewusst auftreten und gezielt bessere Bedingungen aushandeln.
ZOPA („Zone of Possible Agreement“)
Dieses Konzept gilt als Grundvoraussetzung für ein gegenseitiges Nachgeben und einen Verhandlungserfolg. Denn es bezeichnet den gemeinsamen Verhandlungsspielraum, in dem beide Parteien Potenzial für eine Einigung sehen. Nur wenn sich die jeweiligen Vorstellungen und Interessen der Beteiligten (auch wenn nur in einem kleinen Teil) überschneiden, besteht überhaupt die Möglichkeit für einen erfolgreichen Verhandlungsabschluss.
Der Vorteil besteht darin, dass die Beteiligten wissen, in welchem Rahmen sie verhandeln können, was Klarheit und Struktur schafft. Voraussetzung dafür ist jedoch – wie auch bei dem Harvard Konzept –, dass beide Seiten ihre Interessen und Grenzen offen kommunizieren und zur Grundlage der Verhandlung machen.
Prozessvergleich
Der Vergleich, eine Art Einigung zwischen den Parteien, die nach Erhebung der Klage geschlossen wird, ist eines der bevorzugtesten Mittel zur Streitbeilegung. Er ermöglicht es den Parteien, den Rechtsstreit einvernehmlich durch gegenseitiges Nachgeben zu beenden, ohne dass ein streitiges Urteil ergeht. Der Vergleich kann nicht nur die streitgegenständlichen Ansprüche, sondern auch darüber hinausgehende Regelungen umfassen.
Er hat für sämtliche Beteiligte erhebliche Vorteile, indem sich der Zeit- und Kostenaufwand deutlich reduziert, sich die Verfahrensdauer verkürzt und das Risiko eines ungewissen Prozessausgangs entfällt. Für Rechtsanwält:innen bedeutet ein Vergleich oft zufriedenere Mandant:innen, da schneller eine praktikable Lösung erzielt werden kann. Auch das Gericht wird entlastet, da ein aufwendiges Verfahren vermieden wird. Ein möglicher Nachteil besteht jedoch darin, dass ein Vergleich zwar den Rechtsstreit formal beendet, dabei aber häufig tiefer liegende Interessenkonflikte unberührt bleiben und keine nachhaltige Klärung des Streits erfolgt.
Die aufgezeigten, klassischen Methoden sind und bleiben weiterhin relevant, wobei wir dir nun im Folgenden zeigen wollen, dass sie im Jahr 2025 nicht mehr ausreichen, um anspruchsvolle Verfahren zu dominieren.