Jurist vor Gebäude

Veröffentlicht am 11.04.2025

Strategische Verhandlungs- & Prozessführung 2025

Wie gewinnen erfahrene Anwält:innen Prozesse in 2025? Alle Insights zu Hidden Litigation Tactics, KI-gestützter Prozessführung & mehr!

Die juristische Prozesslandschaft verändert sich rapide. Neue Technologien, datenbasierte Strategien und tiefere Einblicke in menschliches Entscheidungsverhalten bewirken, dass klassische Taktiken wie das Harvard Konzept, BATNA oder der traditionelle Prozessvergleich allein nicht mehr ausreichend sind, um im Jahr 2025 strategisch Verhandlungen zu führen. Um Prozesse heute und in einer technologieorientierten Zukunft zu gewinnen, ist es wichtig zu verstehen, wie Psychologie, Strategie und Technologie in der juristischen Arbeit zusammenwirken und welche Rolle sie dabei spielen.

Erfahrene Jurist:innen, die heute erfolgreich verhandeln und vor Gericht bestehen wollen, brauchen weit mehr als juristisches Know-how: Sie müssen strategisch denken, digital handeln und psychologisch wirken. Dieser Artikel zeigt dir, wie erfolgreiche Verhandlungsführung und Prozessstrategie im neuen, digitalen Zeitalter tatsächlich aussehen können.

Status Quo: Klassische Verhandlungs- und Prozessstrategien

Bevor wir mit Dir in die modernen Strategien eintauchen, wollen wir Dir zunächst einen Einblick in die etablierten Verhandlungsmodelle und -strategien geben:
 

Harvard Konzept

Dieses altbewährte Modell konzentriert sich auf sachorientiertes Verhandeln mit Fokus auf Win-win-Lösungen, objektiven Entscheidungsgrundlagen und der Trennung von Person und Problem. Für eine erfolgreiche Verhandlungsstrategie nach dem Harvard Konzept sind vier Grundsätze entscheidend:

 

  • Menschen und ihre Probleme werden getrennt voneinander behandelt;
  • es werden Interessen statt Positionen verhandelt;
  • es werden Lösungsalternativen für beide Seiten entwickelt;
  • es wird sich an objektiven Bewertungskriterien (z. B. rechtlichen oder ethischen Maßstäben) orientiert.

Das Harvard Konzept bietet den Vorteil, dass es keine Verlierer im klassischen Sinn gibt, die grundsätzlich konträren Seiten zur Kompromissfindung zusammenarbeiten und sich ernst nehmen. Kritisiert wird allerdings, dass das Modell eine hohe Informationsdichte voraussetzt, was in der Praxis oft nicht gewährleistet ist, da sich viele Parteien ungern „in die Karten schauen lassen wollen“.

Fiktives Beispiel für das Harvard Konzept: In einem Zivilprozess fordert ein Unternehmen 100.000 Euro Schadensersatz wegen Vertragsverletzung, die Gegenseite bietet lediglich 30.000 Euro. Nach dem Harvard Konzept legen beide Seiten ihre Interessen offen: Die Klägerin will ihre Verluste ausgleichen und ein Zeichen setzen, die Beklagte will zahlungsfähig bleiben und die Geschäftsbeziehung erhalten. Am Ende einigen sich die Parteien auf 50.000 Euro zahlbar in Raten und die Festlegung verbindlicher Qualitätsstandards für die Zukunft – eine Lösung, die beiden Seiten gerecht wird.

 

BATNA („Best Alternative to a negotiated Agreement“);

Frei ins Deutsche übersetzt: „Günstigste Handlungsoption bei Scheitern der Verhandlung“)

Sollte das Harvard Konzept scheitern, da keine Einigung zwischen den Streitenden zustande kommt, besteht weiter die Möglichkeit, nach dem BATNA Modell vorzugehen. Dieses geht grundsätzlich davon aus, dass die eigene Verhandlungsposition entscheidend davon abhängt, wie gut die Alternativen zum Verhandlungsergebnis sind. Die BATNA fungiert dabei wie ein innerer Referenzwert: Ist das (vorläufige) Verhandlungsergebnis schlechter als die BATNA, sollte man die Verhandlung lieber abbrechen. Ist das Ergebnis hingegen besser, lohnt sich ein Abschluss.

Eine klar definierte BATNA gibt dir Sicherheit und verhindert, dass du dich unter Druck auf ungünstige Konditionen einlässt. Zudem bietet sie den Vorteil, dass du selbstbewusster und strategisch klüger verhandeln kannst, wenn du deine Alternativen kennst. Umgekehrt kann Unklarheit über die eigenen Optionen dazu führen, dass du entweder ein vorteilhaftes Angebot ausschlägst oder ein schlechtes akzeptierst – beides potenziell folgenschwer.

Deshalb gilt: Vor jeder Verhandlung solltest du deine BATNA sorgfältig analysieren und bewerten, um souverän entscheiden zu können, ob und unter welchen Bedingungen ein Verhandlungsabschluss sinnvoll ist.

Fiktives Beispiel für die BATNA: Du vertrittst als Rechtsanwält:in ein Unternehmen in einem Zivilprozess wegen Vertragsverletzung. Die Gegenseite zeigt sich wenig kompromissbereit und bietet einen Vergleich zu ungünstigen Bedingungen für deinen Mandanten an. Deine BATNA könnte in diesem Fall darin bestehen, das Verfahren fortzuführen, weil du gute Erfolgsaussichten im Prozess siehst oder bereits ein verbindliches Angebot eines Dritten zur Schadens- übernahme vorliegen hast. Mit dieser starken Verhandlungsposition kannst du selbstbewusst auftreten und gezielt bessere Bedingungen aushandeln.

 

ZOPA („Zone of Possible Agreement“)

Dieses Konzept gilt als Grundvoraussetzung für ein gegenseitiges Nachgeben und einen Verhandlungserfolg. Denn es bezeichnet den gemeinsamen Verhandlungsspielraum, in dem beide Parteien Potenzial für eine Einigung sehen. Nur wenn sich die jeweiligen Vorstellungen und Interessen der Beteiligten (auch wenn nur in einem kleinen Teil) überschneiden, besteht überhaupt die Möglichkeit für einen erfolgreichen Verhandlungsabschluss.

Der Vorteil besteht darin, dass die Beteiligten wissen, in welchem Rahmen sie verhandeln können, was Klarheit und Struktur schafft. Voraussetzung dafür ist jedoch – wie auch bei dem Harvard Konzept –, dass beide Seiten ihre Interessen und Grenzen offen kommunizieren und zur Grundlage der Verhandlung machen.

 

Prozessvergleich

Der Vergleich, eine Art Einigung zwischen den Parteien, die nach Erhebung der Klage geschlossen wird, ist eines der bevorzugtesten Mittel zur Streitbeilegung. Er ermöglicht es den Parteien, den Rechtsstreit einvernehmlich durch gegenseitiges Nachgeben zu beenden, ohne dass ein streitiges Urteil ergeht. Der Vergleich kann nicht nur die streitgegenständlichen Ansprüche, sondern auch darüber hinausgehende Regelungen umfassen.

Er hat für sämtliche Beteiligte erhebliche Vorteile, indem sich der Zeit- und Kostenaufwand deutlich reduziert, sich die Verfahrensdauer verkürzt und das Risiko eines ungewissen Prozessausgangs entfällt. Für Rechtsanwält:innen bedeutet ein Vergleich oft zufriedenere Mandant:innen, da schneller eine praktikable Lösung erzielt werden kann. Auch das Gericht wird entlastet, da ein aufwendiges Verfahren vermieden wird. Ein möglicher Nachteil besteht jedoch darin, dass ein Vergleich zwar den Rechtsstreit formal beendet, dabei aber häufig tiefer liegende Interessenkonflikte unberührt bleiben und keine nachhaltige Klärung des Streits erfolgt.

Die aufgezeigten, klassischen Methoden sind und bleiben weiterhin relevant, wobei wir dir nun im Folgenden zeigen wollen, dass sie im Jahr 2025 nicht mehr ausreichen, um anspruchsvolle Verfahren zu dominieren.

Warum verändern sich die Prozessstrategien aktuell?

Du fragst dich vielleicht, warum die in der Praxis bewährten, klassischen Modelle im digitalen Zeitalter an ihre Grenzen stoßen. Wir zeigen dir, welche Entwicklungen einen Wandel erfordern und warum ein Umdenken zunehmend unvermeidlich wird.
 

  1. Gerichtslandschaft im Umbruch

    Die Justiz steht vor spürbaren Veränderungen – ein Blick auf die aktuellen Zahlen aus dem Jahr 2023 macht diese Entwicklungen deutlich:
     
    • Berufungsverfahren nehmen drastisch ab – allein bei den Landgerichten von über 57.000 (2021) auf knapp 12.600 (2023).
    • Die Vergleichsquote lag 2021 durchschnittlich bei etwa 35 %, vor allem in erster Instanz​, wobei rund 40 % der Verfahren mit einem streitigen Urteil beendet wurden. Damit wurden nahezu ebenso viele Verfahren durch einen Prozessvergleich beendet wie durch ein Urteil. Die zunehmende Belastung der Gerichte trägt maßgeblich zu dieser Entwicklung bei, indem immer mehr Richter:innen vermehrt den Abschluss von Vergleichen fördern und anstreben, nicht zuletzt, um den zeitintensiven Aufwand der Urteilsbegründung zu vermeiden und knapper werdende Ressourcen effizienter einzusetzen.
       
  2. Verfahrensdruck und Ressourcenknappheit

    Gerichte sind zunehmend überlastet, was alternative Streitbeilegungsverfahren und frühzeitige Vergleiche attraktiver macht. Anwält:innen müssen diese Entwicklung bei Bedarf antizipieren und Mandant:innen strategisch beraten, wann es sich lohnt, einen Prozess zu führen und wann man ggf. aus Ressourcengründen davon absieht.
     

Diese Entwicklungen zeigen: Wer zeitgemäß prozessstrategisch denkt, kann Verfahren verkürzen, Mandanten entlasten und trotzdem gewinnen.

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Verhandlungsführung neu gedacht: Wie Psychologie und Daten den Wandel treiben

Die moderne Verhandlungsführung bedient sich zunehmend psychologischer und neurowissenschaftlicher Erkenntnisse, um die Gegenseite gezielt – oft auch unbewusst – zu beeinflussen und so strategische Vorteile zu erzielen.

Ein Beispiel dafür ist der Einsatz von Framing-Effekten z.B. in Schriftsätzen. Framing meint in diesem Zusammenhang das bewusste Verpacken von Informationen, sodass sie beim Gegenüber bestimmte Gefühle, Bewertungen oder Entscheidungen auslösen, ohne den eigentlichen Inhalt zu verändern. So kann die bewusste Wortwahl Erwartungen formen oder Emotionen wecken (z.B. Benennung als „Verstoß“ statt als „Abweichung“). Wer es versteht, die Darstellung der Gegenseite als irrational oder wenig glaubwürdig zu rahmen („framen“), verschafft sich einen Vorsprung, noch bevor das Verfahren richtig beginnt.

Auch kognitive Verzerrungen wie der Confirmation Bias (Bestätigungsfehler) oder der Anchoring-Effekt (Ankereffekt) können in juristischen Verhandlungen gezielt eingesetzt werden, um die Wahrnehmung und Entscheidungsfindung der Beteiligten zu beeinflussen. So kannst du etwa durch das frühe Setzen eines hohen Vergleichsbetrags einen psychologischen Anker schaffen, an dem sich die weitere Verhandlung zu deinem Vorteil orientiert. Ebenso führt der Confirmation Bias dazu, dass einmal angenommene Deutungsmuster, etwa zur Glaubwürdigkeit einer Partei, späteren Argumenten gegenüber resistent bleiben. Wer es schafft, früh eine bestimmte Lesart des Sachverhalts zu etablieren, kann damit sowohl Richter:innen als auch die Gegenseite unmerklich in eine bestimmte Richtung lenken. Dies geschieht dann oft, ohne dass die gedankliche Steuerung überhaupt bemerkt wird. Solche Effekte sind insbesondere in der Schriftsatzgestaltung, bei mündlichen Verhandlungen oder auch in der Zeugenbefragung von strategischer Bedeutung.

Ein weiterer strategischer Aspekt moderner Verhandlungsführung ist der gezielte Einsatz von Körpersprache. Elemente wie Tonlage, bewusste Pausen, Blickkontakt oder das Verhalten im Raum wirken zumeist stärker als der gesprochene Inhalt selbst. Dies kannst du besonders in Gerichtsverhandlungen, in denen Glaubwürdigkeit, Autorität und Präsenz entscheidend sein können, gezielt und zu deinem Vorteil einsetzen. Inzwischen werden diese nonverbalen Signale nicht nur in Rhetorikseminaren geschult, sondern auch mit Hilfe KI-gestützter VR-Simulationen analysiert und optimiert. Technologien wie Eye-Tracking oder Körperspannungsanalysen liefern dabei präzises Feedback zur eigenen Außenwirkung, etwa zur Aufmerksamkeit von Richter:innen oder zur Reaktion von Verfahrensbeteiligten.

Die zunehmende Bedeutung solcher strategischen Fähigkeiten spiegelt auch den Wandel juristischer Tätigkeitsfelder wider – insbesondere dort, wo Verhandlungsgeschick, Technikaffinität und psychologisches Feingefühl gefragt sind. In diesem Zusammenhang lohnt sich ein Blick auf die steigende Nachfrage bzgl. bestimmter Rechtsgebiete.
 

Legal Tech & KI in der modernen Prozessstrategie

Der Einsatz von Legal Tech und künstlicher Intelligenz entwickelt sich zunehmend zu einem strategischen Instrument im anwaltlichen Alltag. In der forensischen Praxis ermöglicht Technologie heute nicht nur effizientere Abläufe, sondern auch einen echten taktischen Vorteil, wenn sie gezielt und reflektiert eingesetzt wird.

Ein Beispiel ist die prädiktive Analytik, bei der KI-gestützte Systeme anhand vergangener Entscheidungen gerichtlicher Muster erkennen. So kannst du als Rechtsuchende:r mithilfe digitaler Tools grundlegende Angaben zu deinem Fall eingeben und daraufhin eine erste Einschätzung erhalten, ob sich eine anwaltliche Beratung oder gerichtliche Auseinandersetzung lohnt. Auf Basis der eingegebenen Informationen wird automatisiert ermittelt, wie realistisch ein erfolgreicher Verfahrensausgang eingeschätzt werden kann. Auch wenn derartige Modelle im deutschen Recht wegen begrenzter Datenverfügbarkeit derzeit noch eingeschränkt einsetzbar sind, bieten sie ein hohes Zukunftspotenzial, etwa bei der Einschätzung von Vergleichswahrscheinlichkeiten oder Tendenzen in konkreten Kammern/Senaten.

Ebenso etabliert ist die Dokumentenautomation, bei der KI-gestützte Tools Schriftsätze nicht nur juristisch korrekt, sondern auch sprachlich präzise und wirkungsorientiert strukturieren können. Dies ermöglicht eine effizientere Mandatsbearbeitung und stärkt zugleich die Überzeugungskraft vor Gericht, was gerade bei umfangreichen Verfahren von erheblicher Bedeutung ist.

Fortschrittlichere Anwendungen betreffen interaktive Trainingsumgebungen, in denen virtuelle Gegenspieler mittels KI simuliert werden. Diese KI-gestützten Systeme reagieren in Echtzeit auf Argumentationsstrategien und sind auf verschiedene Branchen, kulturelle Kontexte oder Persönlichkeitstypen angepasst. Solche VR-Verhandlungssimulationen finden zunehmend Einsatz in Großkanzleien und im Rahmen spezialisierter Fortbildungen.
 

Worauf musst du in Bezug auf KI-Ethik achten?

Trotz aller Möglichkeiten bleibt der Einsatz von KI in der Prozessstrategie ethisch und rechtlich herausfordernd. Viele Systeme, insbesondere solche mit Deep-Learning-Architektur, agieren als sogenannte „Black Boxes“, d.h. sie liefern Wahrscheinlichkeiten, Rankings oder Vorschläge, jedoch ohne transparente Begründung. Dies widerspricht grundsätzlich dem juristischen Grundverständnis von Argumentationsklarheit und Nachvollziehbarkeit.

Um den Einsatz von KI im anwaltlichen Umfeld dennoch sinnvoll und effizient zu gestalten, gilt folgendes: Du solltest die KI nicht als Ersatz für juristische Entscheidungsfindung, sondern als diskursive Grundlage nutzen.

Praktisch kann das bedeuten: Wenn ein System eine Erfolgschance von 34 % ausgibt, stellt sich die Aufgabe, diese Zahl kritisch zu hinterfragen. Welche Prämissen liegen ihr zugrunde? Was ändert sich, wenn Annahme X entfällt oder Sachverhalt Y stärker gewichtet wird? In dieser kritischen Auseinandersetzung liegt der eigentliche Wert der KI. Nicht etwa in der automatisierten Empfehlung, sondern in der strukturierenden Unterstützung menschlicher, anwaltlicher Überlegung. Idealerweise entsteht daraus ein eigener Lösungsansatz für Rechtsanwender:innen, der die technische Präzision der Maschine mit der rechtlichen und menschlichen Einschätzung verbindet.

Du willst mehr zum Einsatz von Legal Tech und den neuesten Entwicklungen in diesem Bereich erfahren? Viele Infos hierzu findest du in unserem Beitrag zu Legal Tech und Automatisierung.

Fazit: Verhandlungs- & Prozessführung als Führungsdisziplin

Juristische Exzellenz ist wichtig, aber heute längst nicht mehr ausreichend. Wer Prozesse und Verhandlung wirklich imstande ist zu „führen“, ist unter anderem:

  • datenkompetent,
  • verhaltenspsychologisch geschult,
  • technologisch ausgestattet und
  • kommunikativ überlegen.

Damit haben erfahrene Jurist:innen wie du im Jahr 2025 nicht nur das Gesetz auf ihrer Seite – sondern auch eine große Auswahl an Strategien und Tools, mit denen sie nicht mehr nur reagieren, sondern führen. Sie sind damit nicht nur Rechtsanwender:innen, sondern Architekt:innen komplexer Auseinandersetzungen und Anwender:innen moderner Technologien.