Jurist in Großraumbüro

Veröffentlicht am 06.03.2025

Juristische Arbeitszeiten: Kanzleien vs. Unternehmen

Der ewige Balanceakt zwischen Karriere und Freizeit: Wie hoch ist die Arbeitsbelastung von Jurist:innen in Zahlen? → Jetzt informieren!

Sei es in einer Kanzlei oder in der Rechtsabteilung eines Unternehmens: die Rechtsbranche ist für ihre langen Arbeitszeiten bekannt. Gerade in Großkanzleien herrscht nicht selten ein enormes Wochenpensum, weit über eine 40-Stunden-Woche hinaus. Doch wie schneiden Unternehmen im Vergleich ab? Während in Kanzleien die "Hustle Culture" mit einer 60-Stunden-Woche zur Norm gehört, versprechen Unternehmen oft eine bessere Work-Life-Balance. Doch ist das tatsächlich so? Und wie entwickeln sich die Arbeitszeiten in der Branche? Dieser Artikel liefert einen faktenbasierten Vergleich und beleuchtet, welche Karrierewege die beste Balance zwischen Erfolg und Freizeit bieten.

Arbeitszeiten in der juristischen Branche - Wie lange arbeiten Anwält:innen in Kanzleien?

Die Arbeitszeiten in Kanzleien, insbesondere in Großkanzleien, sind bekanntlich anspruchsvoll. Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit liegt zwischen 50 und 70 Stunden, wobei sie in Hochphasen auch darüber hinausgehen kann. Anwält:innen arbeiten oft bis spät in die Nacht und auch Wochenendarbeit ist keine Seltenheit. Die Bedürfnisse der Mandanten bestimmen die Zeitpläne, sodass kurzfristige Deadlines häufig sind. Überstunden werden selten explizit vergütet, sondern fließen meist in Bonuszahlungen oder Karrierechancen ein. Nur wer konstant hohe Arbeitsleistung zeigt, hat eine realistische Chance innerhalb der Kanzlei aufzusteigen. Nicht selten wird in Großkanzleien zudem eine uneingeschränkte Verfügbarkeit erwartet. Ein typischer Arbeitstag kann um 9 Uhr beginnen und erst nach Mitternacht enden. Besonders in Bereichen wie M&A, Kapitalmarktrecht oder internationalem Wirtschaftsrecht sind extreme Arbeitszeiten die Regel. Kleinere Kanzleien bieten gelegentlich mehr Flexibilität, doch auch hier sind Überstunden eher die Norm als die Ausnahme.
 

Unternehmen: Geregelte Arbeitszeiten mit Ausnahmen

In Rechtsabteilungen von Unternehmen sind die Arbeitszeiten in der Regel strukturierter. Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit beträgt hier meist zwischen 40 und 50 Stunden. Die meisten Unternehmen bieten ihren Jurist:innen geregelte Arbeitszeiten mit der Möglichkeit von Homeoffice und flexiblen Modellen. Ein Mandantendruck wie in Kanzleien und kurzfristige Deadlines sind hier seltener. Überstunden kommen zwar vor, werden jedoch oft durch Freizeitausgleich kompensiert.

Die Karrierewege in Unternehmen unterscheiden sich ebenfalls stark von denen in Kanzleien. Während der Weg zum Partner in einer Kanzlei oft mit langjährigem, intensivem Arbeitseinsatz verbunden ist, bieten Unternehmen flachere Hierarchien mit langfristig sicheren Positionen. Große internationale Unternehmen oder Finanzinstitutionen verlangen allerdings auch von ihren Inhouse-Jurist:innen ein gewisses Maß an Flexibilität, insbesondere dann, wenn länderübergreifende Projekte betreut werden.
 

Das Arbeitspensum im Zahlenvergleich

Nach einer aktuellen Untersuchung von Talent Rocket

  • arbeiten etwa 65 % der Jurist:innen in Großkanzleien mindestens gelegentlich am Wochenende, während dieser Anteil in Unternehmen nur 25 % beträgt.
  • machen Jurist:innen in Großkanzleien im Schnitt 11,2 Überstunden pro Woche, in Boutique-Kanzleien etwa 5,8 Überstunden pro Woche. In Unternehmen leisten Jurist:innen nur etwa eine Überstunde pro Woche.
  • können 83 % der Jurist:innen in Unternehmen ihre Überstunden mit Freizeit ausgleichen, während in Kanzleien 90 % keine Möglichkeit zum Ausgleich haben. Dies führt langfristig zu einer besseren Work-Life-Balance und insgesamt höherer Zufriedenheit in Rechtsabteilungen von Unternehmen.

Arbeitsbelastung: Gesundheit & Zufriedenheit vs. Hustle Culture

Lange Arbeitszeiten, insbesondere in Großkanzleien, haben nachweisbare Auswirkungen auf die Gesundheit. Die hohe Stressbelastung durch extreme Deadlines kann das Burnout-Risiko erheblich erhöhen. Psychische Gesundheitsprobleme wie Depressionen und Angststörungen treten bei überarbeiteten Anwält:innen häufiger auf. Dazu kommen physische Folgen wie Schlafmangel, mangelnde Bewegung und ungesunde Ernährung, die das allgemeine Wohlbefinden beeinträchtigen können.

Dauerhafter Stress kann sich auch negativ auf die kognitive Leistungsfähigkeit auswirken. Konzentrationsprobleme und eine sinkende Effizienz sind die Folge. Zudem ist das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Personen mit dauerhaft hoher Arbeitsbelastung signifikant erhöht. Soziale Isolation ist ein weiterer Faktor, da lange Arbeitszeiten dazu führen, dass wenig Zeit für Familie und Freunde bleibt.
 

Zufriedenheit und Karriereperspektiven

In Kanzleien sind die Einstiegsgehälter zwar attraktiv, doch die hohe Arbeitsbelastung führt langfristig oft zu Unzufriedenheit. Unternehmen bieten in der Regel etwas geringere Gehälter, dafür aber eine ausgeglichenere Work-Life-Balance. Während Kanzleien oft mit Partneroptionen locken, sind in Unternehmen die Aufstiegschancen aufgrund flacherer Hierarchien begrenzter.

Trotz dieser Unterschiede bleibt das Prestige eines Jobs in einer Großkanzlei hoch, was viele junge Jurist:innen in den ersten Jahren ihrer Karriere anzieht. Gleichzeitig bevorzugen immer mehr Absolvent:innen aber auch Unternehmen oder alternative juristische Karrieren, da sie die langfristigen gesundheitlichen und sozialen Konsequenzen einer Tätigkeit in einer Kanzlei nicht in Kauf nehmen möchten.

Wie der New Work Report von Talent Rocket zeigt, dass nur 42 % der Jurist:innen in Großkanzleien mit ihrer Work-Life-Balance zufrieden sind, während dieser Wert in Rechtsabteilungen von Unternehmen 92 % beträgt. Insbesondere junge Jurist:innen (25-35 Jahre) sind mit den aktuellen Arbeitsbedingungen oft unzufrieden, da sie zunehmend Wert auf flexible Arbeitsmodelle und Freizeit legen.

Neue Ansätze: New Work vs. Tradition

Moderne Technologien, flexiblere Arbeitszeitmodelle und Homeoffice verändern die Arbeitswelt von Jurist:innen grundlegend. Doch während Automatisierung und neue Arbeitskonzepte Potenzial für Effizienzsteigerung und eine bessere Work-Life-Balance bieten, stoßen sie oft auf Skepsis oder Umsetzungsprobleme.
 

Legal Tech: Entlastung oder neue Belastung?

Technologische Innovationen wie KI-gestützte Vertragsprüfung oder Automatisierung könnten Arbeitsabläufe erheblich erleichtern. Viele Jurist:innen empfinden die Einführung neuer Tools jedoch als zusätzliche Belastung, da sie parallel zur normalen Arbeitsbelastung implementiert werden müssen.

Während die Automatisierung repetitiver Aufgaben eine Effizienzsteigerung verspricht, scheitert die Einführung oft an mangelnder Akzeptanz oder fehlender Schulung. Dennoch müssen sich Kanzleien und Unternehmen langfristig auf die digitale Transformation einstellen, um konkurrenzfähig zu bleiben.
 

Ist die Vier-Tage-Woche für Anwält:innen realistisch?

Die Vier-Tage-Woche wird in vielen Branchen erfolgreich getestet, doch Kanzleien stehen diesem Modell bislang skeptisch gegenüber. Erste Pilotprojekte in kleineren Kanzleien zeigen jedoch, dass mit effizienteren Arbeitsprozessen eine Reduzierung der Arbeitszeit durchaus möglich ist.

Einige Studien belegen, dass eine Vier-Tage-Woche die Produktivität steigern kann, während gleichzeitig Burnout-Raten sinken. Außerdem könnte ein solches Modell Kanzleien für junge Talente attraktiver machen, die zunehmend Wert auf eine ausgewogene Work-Life-Balance legen.
 

Work-Life-Balance in Kanzleien vs. Unternehmen: Homeoffice als Schlüsselfaktor?

Wie aus dem New Work Report hervorgeht, ermöglichen 90 % der Arbeitgeber in der Rechtsbranche Homeoffice, allerdings mit großen Unterschieden in der tatsächlichen Nutzung. Während in Unternehmen 36 % der Jurist:innen vier oder mehr Tage pro Woche im Homeoffice arbeiten, ist dies in Kanzleien deutlich seltener der Fall. Zudem wünschen sich 44 % der Jurist:innen mehr Homeoffice-Möglichkeiten, insbesondere in Großkanzleien (58 %).

Besonders alarmierend: 68 % der befragten Jurist:innen würden ihren Arbeitgeber wechseln, wenn dieser keine flexiblen Homeoffice-Regelungen anbietet. Dies zeigt, dass Flexibilität und moderne Arbeitsmodelle für viele Jurist:innen entscheidend für die Arbeitgeberwahl sind.

Kanzleien mit flexiblen Arbeitszeitmodellen und Work-Life-Balance-Initiativen

Während viele Kanzleien weiterhin auf lange Arbeitszeiten setzen, gibt es bereits einige Vorreiter in Deutschland, die moderne Arbeitszeitmodelle implementieren und gezielt auf Work-Life-Balance achten.

  • Baker McKenzie gehört zu den Kanzleien, die frühzeitig auf flexible Arbeitsmodelle gesetzt haben. Das Unternehmen bietet verschiedene Teilzeitmodelle für Anwält:innen an, ermöglicht Homeoffice-Regelungen und fördert eine Kultur der Eigenverantwortung bei der Arbeitszeitgestaltung.
  • Hengeler Mueller hat in den letzten Jahren verstärkt auf alternative Arbeitszeitmodelle gesetzt. Die Kanzlei bietet etwa „Smart Work“-Modelle an, bei denen Anwält:innen ihre Arbeitszeiten individueller gestalten können. Zudem gibt es Programme zur mentalen Gesundheit und Burnout-Prävention.
  • Die Luther Rechtsanwaltsgesellschaft gehört zu den Kanzleien, die früh auf Remote-Arbeit gesetzt haben. Das Unternehmen ermöglicht flexible Arbeitszeiten, mobiles Arbeiten sowie individuelle Sabbatical-Modelle, um eine gesunde Work-Life-Balance zu fördern.
  • Noerr bietet verschiedene Flexi-Modelle an, darunter reduzierte Arbeitszeiten für Associates, die sich auf eine ausgewogene Balance zwischen Beruf und Privatleben konzentrieren möchten. Zudem hat Noerr Initiativen zur Unterstützung von Eltern und Care-Arbeit eingeführt.
  • Gleiss Lutz hat in den letzten Jahren verstärkt auf familienfreundliche Arbeitsbedingungen gesetzt. Die Kanzlei bietet flexible Teilzeitmodelle und fördert alternative Karrierewege, die nicht zwingend mit einer Partnerschaft verbunden sind.

Diese Beispiele zeigen, dass sich der Markt langsam bewegt und einige Kanzleien erkannt haben, dass sie sich anpassen müssen, um talentierte Jurist:innen langfristig zu halten. Dennoch bleibt abzuwarten, ob diese Initiativen tatsächlich zu einer nachhaltigen Veränderung der Branche führen.

Fazit: Welche Karrierewege bieten die beste Work-Life-Balance?

Sind Kanzleien unattraktiv für junge Jurist:innen? Wer Prestige und hohe Einkommen priorisiert, wird in Großkanzleien gut aufgehoben sein – muss aber lange Arbeitszeiten in Kauf nehmen. Wer hingegen geregelte Arbeitszeiten bevorzugt, sollte eine Karriere in einem Unternehmen in Betracht ziehen. Alternativ bieten sich Spezialisierungen in weniger stressintensiven Rechtsgebieten an, etwa Jobs im öffentlichen Dienst, Compliance oder Datenschutz. Kanzleien, die moderne Arbeitsmodelle einführen, können eine attraktive Hybridlösung für junge Jurist:innen darstellen.

Erfahrene Anwält:innen stehen oft vor der Frage, ob sie weiterhin den hohen Belastungen in Kanzleien standhalten oder in ein Unternehmen wechseln sollen. Kanzleien, die flexiblere Arbeitsmodelle einführen, könnten langfristig im Vorteil sein. Unternehmen bieten dagegen eine größere Arbeitsplatzsicherheit und bessere Work-Life-Balance. Für viele ist auch ein Wechsel in Teilzeit- oder Beraterpositionen eine attraktive Alternative zur klassischen Kanzleikarriere.
 

Zukunftsausblick:

Die juristische Branche steht vor einem Wandel. Junge Talente fordern bessere Arbeitsbedingungen, und Kanzleien müssen sich anpassen – sei es durch flexiblere Arbeitszeiten oder durch verstärkten Einsatz von Legal Tech. Unternehmen könnten langfristig bevorzugt werden, wenn Kanzleien keine besseren Arbeitszeitmodelle anbieten. Der Trend geht zunehmend in Richtung hybrider Arbeitsmodelle und flexiblerer Stundenregelungen.

Die zentrale Frage bleibt: Sind Kanzleien noch attraktiv für junge Jurist:innen? Oder ist die Zeit der extremen Arbeitszeiten vorbei? Die nächsten Jahre werden zeigen, ob sich das Arbeitszeitmodell der Branche tatsächlich wandelt.

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