Kanzleien und Nachhaltigkeit

Veröffentlicht am 06.06.2024

Kanzleien & Nachhaltigkeit

Warum sich die Rechtsbranche in Sachen ESG engagieren sollte und wo dies heute schon geschieht

Innerhalb der letzten 10-15 Jahre hat sich der Begriff “Nachhaltigkeit” zu einem geradezu inflationär genutzten Begriff entwickelt. Ganze Industrien haben sich neu orientiert, um CO2-Emissionen zu reduzieren (oder dies zumindest im Rahmen von Greenwashing-Kampagnen zu propagieren). Aber auch Kanzleien können erheblich davon profitieren, sich tatsächlich nachhaltiger aufzustellen. Doch welche konkreten Vorteile bringt das mit sich und wie lässt sich Nachhaltigkeit in einer Kanzlei umsetzen?

Nachhaltigkeit in der Rechtsbranche

Nachhaltigkeit ist inzwischen auch in der traditionell konservativ verorteten Rechtsbranche angekommen. Neue Gesetze und Regularien, die aufgrund gesellschaftlichen Drucks eingeführt werden, erfordern es, dass Kanzleien sich mit dem Thema intensiv auseinandersetzen.

Das Bundesverfassungsgericht hat Nachhaltigkeit als neues Rechtsprinzip in mehreren Urteilen angewendet, insbesondere im Klimaschutzbereich. Ein wegweisendes Urteil vom März 2021 erklärte Teile des deutschen Klimaschutzgesetzes für verfassungswidrig, da sie nicht ausreichend Maßnahmen für die Reduktion der CO2-Emissionen ab 2030 enthielten und damit zukünftige Generationen unverhältnismäßig belasteten. Relevant für Großkanzleien: seit 2017 fordert die EU-Kommission, dass kapitalmarktorientierte Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeiter:innen sowie Banken, Versicherungen und Fondsgesellschaften ihrer Nachhaltigkeits-Berichtspflicht nachkommen. Grund genug, Nachhaltigkeit zur Chefsache zu erklären.

Aber auch losgelöst von der Rechtsprechung eröffnet das Thema ESG (Environmental, Social, Governance) für Kanzleien neue Arbeitsfelder und Geschäftsmöglichkeiten.

Vorteile einer nachhaltigen Kanzlei

Die Berücksichtigung bestimmter Nachhaltigkeitsprinzipien kann eine ganze Reihe von Benefits mit sich bringen, welche sich sowohl kurz- als auch langfristig positiv in der Geschäftsentwicklung von Kanzleien erweisen können.

 

  • Zugang zu Fördergeldern

    Kanzleien, die in Nachhaltigkeit investieren, können von staatlichen Förderprogrammen profitieren. Diese Förderungen, wie die Bundesförderung für Energieeffizienz in der Wirtschaft (EEW) in Deutschland oder das EU-Programm LIFE, unterstützen Projekte zur Verbesserung der Energieeffizienz und zur Reduktion von CO2-Emissionen. Die Gelder helfen, anfängliche Kosten für Maßnahmen wie die Umstellung auf Ökostrom, Installation von Photovoltaikanlagen oder Einführung eines papierlosen Büros zu decken. Langfristig führen diese Investitionen zu erheblichen Einsparungen bei Betriebskosten und tragen zur Einhaltung gesetzlicher Umweltvorgaben bei, während sie gleichzeitig das ökologische Image der Kanzlei stärken.
     
  • Wirtschaftliche Vorteile und Image

    Eine nachhaltige Kanzlei kann sich durch ein positives Image von der Konkurrenz abheben. Zwar ist es momentan noch selten, dass Mandant:innen ihre Kanzlei nach Nachhaltigkeitskriterien auswählen, aber das könnte sich bald ändern. Unternehmen, die früh auf Nachhaltigkeit setzen, können sich als Vorreiter etablieren und dadurch langfristig Wettbewerbsvorteile sichern. Schon heute sehen wir, dass Großkanzleien dieses Potenzial erkannt haben und aktiv daran arbeiten, ihre Nachhaltigkeitsstrategien umzusetzen.
     
  • Verbesserte PR und regionale Vernetzung

    Durch nachhaltige Initiativen kann eine Kanzlei positive PR generieren und ihr Ansehen in der Region stärken. Aktionen wie die Unterstützung lokaler Umweltprojekte oder die Reduktion des eigenen ökologischen Fußabdrucks schaffen Vertrauen und Sympathie bei bestehenden und potenziellen Mandant:innen. Eine Einzelhandelsstudie zeigte bereits im Jahr 2015, dass 68 % der Verbraucher:innen eher bei Unternehmen einkaufen, die sich um Nachhaltigkeit bemühen. Angesichts der stark wachsenden Relevanz der Thematik ist anzunehmen, dass knapp zehn Jahre später auch die Rechtsbranche bzw. Anwaltskanzleien hiervon profitieren können.

Wie lässt sich Nachhaltigkeit in Kanzleien konkret verwirklichen?

Der nachhaltige Wandel in einer Kanzlei ist nicht zuletzt dann erfolgreich, wenn er einfach und kosteneffizient umgesetzt wird. Neben den großen Maßnahmen gibt es noch kleinere, aber effektive Ansätze zur Steigerung der Nachhaltigkeit. Beispiele gibt es einige:
 

  • Wechsel zu Ökostrom

    Eine erste Möglichkeit ist der Wechsel zu Ökostrom. In Deutschland stammt bereits über 50% des Stroms aus erneuerbaren Quellen, und viele Anbieter ermöglichen einen unkomplizierten und oft kostenfreien Wechsel zu Ökostromtarifen. Tatsächlich können diese Tarife in einigen Fällen sogar günstiger sein als herkömmliche Stromtarife. Ein Beispiel hierfür ist der Anbieter "Naturstrom", der 2023 für seine Wettbewerbsfähigkeit ausgezeichnet wurde.

    Für Kanzleien mit höherem Budget gibt es die Option, in eine eigene Solaranlage zu investieren. Mit Hilfe staatlicher Förderprogramme wie dem "Erneuerbare-Energien-Gesetz" (EEG) können bis zu 40% der Investitionskosten gedeckt werden. Eine Solaranlage kann nicht nur zur Unabhängigkeit von steigenden Strompreisen beitragen, sondern auch die Gefahr von Blackouts verringern. Eine typische Solaranlage kann jährlich etwa 4.500 kWh erzeugen, was den Energiebedarf einer mittelgroßen Kanzlei signifikant decken kann. Neben dem Stromverbrauch ist die Reduktion von Energieverlusten ein wichtiger Aspekt. Durch den Einsatz energieeffizienter Geräte und die Verbesserung der Gebäudedämmung können Kanzleien ihre Energiekosten um bis zu 30% senken. Laut einer Studie der Deutschen Energie-Agentur (dena) amortisieren sich solche Investitionen innerhalb weniger Jahre durch die eingesparten Energiekosten.

    Ein weiterer Schritt zur Nachhaltigkeit ist die Förderung von Homeoffice und virtuellen Meetings. Dies reduziert nicht nur den Energieverbrauch im Büro, sondern auch die CO2-Emissionen durch Pendelverkehr. Studien zeigen, dass Homeoffice die Produktivität um 13% steigern kann und gleichzeitig die Zufriedenheit der Mitarbeiter:innen erhöht. Abschließend kann gesagt werden, dass der Wechsel zu nachhaltigen Praktiken in einer Kanzlei nicht nur ökologisch sinnvoll ist, sondern auch wirtschaftliche Vorteile mit sich bringt.
     
  • Umstellung auf 100% digitale Dokumente

    Der Gedanke an ein papierloses Büro mag für viele Kanzleien zunächst abschreckend wirken, da er die Digitalisierung aller vorhandenen Papierdokumente erfordert. Doch moderne Technologien wie speziell entwickelte Kanzleisoftware machen den Umstieg einfacher als gedacht. Diese Umstellung hat nicht nur ökologische Vorteile, sondern spart auch Geld und reduziert das Papierchaos. Statistiken zeigen, dass ein durchschnittliches Büro jährlich etwa 10.000 Blatt Papier pro Mitarbeiter:in verbraucht. Durch die Digitalisierung können Kanzleien bis zu 80% dieser Kosten einsparen. Zudem senkt die Umstellung auf digitale Aktenführung den Speicherplatzbedarf erheblich und reduziert die Archivierungskosten um bis zu 50%.

    Eine Studie von PricewaterhouseCoopers (PwC) ergab, dass die Umstellung auf digitale Dokumentenverwaltung die Produktivität um bis zu 30% steigern kann, da Suchzeiten und Zugriffszeiten auf Dokumente drastisch reduziert werden.
     
  • Regionaler Einkauf von Lebensmitteln

    Durch den Kauf von regionalen und saisonalen Produkten können Transportemissionen reduziert werden. Laut einer Studie des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) können so bis zu 30% der CO2-Emissionen eingespart werden.
     
  • Nutzung von E-Autos

    Elektrofahrzeuge produzieren etwa 60% weniger CO2-Emissionen als herkömmliche Fahrzeuge. Kanzleien können durch den Umstieg auf E-Autos nicht nur die Umwelt schonen, sondern auch von steuerlichen Vorteilen und staatlichen Förderungen profitieren.
     
  • CO2-Ausgleich

    Durch Investitionen in CO2-Ausgleichsprojekte können Kanzleien ihre Emissionen kompensieren. Solche Projekte werden oft durch Zertifikate bestätigt, die die Reduktion von Treibhausgasen nachweisen.
     
  • Gestaltung von Dienstreisen

    Spätestens seit dem Aufkommen der Corona-Pandemie und der damit verbunden Minimierung von Geschäftsreisen wurde klar, wie einfach sich viele Termine auch virtuell mit derselben Effizienz verwirklichen lassen und nebenbei eine enorme Menge an Zeit spart. Dass Bahnreisen dem Flugzeug gerade im Inland vorgezogen werden sollten, ist ebenfalls keine neue Erkenntnis.
     
  • Klimaneutraler Versand

    Viele Post- und Kurierdienste bieten klimaneutralen Versand an. So können Kanzleien sicherstellen, dass ihre Briefsendungen ohne zusätzliche CO2-Emissionen erfolgen.

Mehr als nur Greenwashing: Viele Kanzleien haben die Notwendigkeit von nachhaltigem Handeln erkannt.
Mehr als nur Greenwashing: Viele Kanzleien haben die Notwendigkeit von nachhaltigem Handeln erkannt.

Nachhaltigkeitsbeispiele in Kanzleien

Tatsächlich hat die Rechtsbranche bislang einige Beispiele hervorgebracht, in denen das Nachhaltigkeitsthema bereits in unterschiedlichem Maße gelebt wird.

Rödl & Partner: Vorreiter in Sachen Corporate Social Responsibility

Die Kanzlei Rödl & Partner hat im Jahr 2017 erstmals freiwillig einen Nachhaltigkeitsbericht erstellt und eine umfassende Nachhaltigkeitsstrategie entwickelt. Seitdem berichtet die Kanzlei in regelmäßigen Abständen über ihre Geschäftsaktivitäten. Die Hauptthemen sind dabei Aspekte der Personalführung und der ökologischen Nachhaltigkeit. Einige Maßnahmen hat die Kanzlei bereits umgesetzt: So wurde an allen Niederlassungen in Deutschland vollständig auf Ökostrom umgestellt. Statt Frischfaserpapier gibt es Recyclingpapier. Zudem wurde am Nürnberger Standort eine Photovoltaikanlage auf dem Firmendach installiert. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können seit Anfang des Jahres 2020 vom praktischen Fahrradleasing profitieren.

Im Rahmen der europäischen Nachhaltigkeitswoche im September 2020 beteiligte sich Rödl & Partner mit der ersten eigenen Nachhaltigkeitswoche. Dabei sammelte das Nürnberger Team um die Corporate Social Responsibility (CSR)-Referentin Sarah Haßdenteufel viele neue Ideen. Den Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen der anderen europäischen Standorte bezeichnete sie als vollen Erfolg.

Die Bemühungen von Rödl & Partner wurden bereits im Jahr 2019 honoriert: Damals erhielt die Kanzlei den Professional Management Network (PMN) Award in der Kategorie „Nachhaltigkeit“. Der Preis wird seit 2009 in sieben Kategorien an Kanzleien aus Deutschland, Österreich und der Schweiz für Innovationen im Bereich des Managements vergeben.

Mutter Erde als Mandantin: Die Organisation „ClientEarth“

Die Anwält:innen von „ClientEarth“ haben es sich zum Ziel gesetzt, Maßnahmen zum Umweltschutz gerichtlich durchzusetzen. Wenn Unternehmen und Staaten mit ihren Handlungen die Natur zerstören, werden sie vor Gericht gebracht. An den sechs Standorten in Berlin, Brüssel, London, Warschau, Madrid und Peking setzen sich die Mitarbeiter:innen täglich für die Themen Energiewende, Umweltschutz und Nachhaltigkeit ein. Das deutsche Büro in Berlin wurde 2018 eröffnet. Seitdem kämpft ClientEarth dafür, den Weg in eine grüne und nachhaltige Zukunft zu ebnen und die Folgen des Klimawandels abzumildern. Ein wichtiges Thema ist dabei vor allem der Kohleausstieg. Auch hat die Organisation in Zusammenarbeit mit der Deutschen Umwelthilfe gerichtliche Verfahren eingeleitet, um gegen die Luftverschmutzung in 28 Städten wie Stuttgart, München oder Düsseldorf vorzugehen.

Politische Empfehlungen, die Mitwirkung bei der Gesetzgebung und schließlich auch die gerichtliche Durchsetzung strengerer Umweltstandards stehen auf der Agenda. Als gemeinnützige Organisation ist ClientEarth dabei auf Spenden angewiesen.

Kanzlei Schwegler: Umweltschutz u. a. mit dem „Blauen Engel“

Einen kreativen Ansatz verfolgt die Kanzlei Schwegler. Nachdem bereits seit vielen Jahren möglichst viel Papier eingespart wird, insbesondere durch doppelseitiges Drucken, haben die Partner der renommierten Arbeitsrechtskanzlei sich 2019 dazu entschlossen, das gesamte Papier auf Recyclingpapier umzustellen. Briefpapier, Schreibblöcke mit Logo, Papierhandtücher und Toilettenpapier – jedes Produkt ziert das Umweltsiegel „Blauer Engel“. Auch in der Kommunikation mit Mandant:innen wird konsequent das Umweltpapier genutzt.

Der Kanzleibedarf-Lieferant Soldan hat anlässlich der Nachfrage der Kanzlei Schwegler eine umfangreiche Nachhaltigkeitsinitiative gestartet. Nach seinen Berechnungen sparen die 28 Anwält:innen der Kanzlei durch das Recyclingpapier jährlich über 75.000 Liter Wasser, den Strom von 52 Haushalten und drei 25 Meter hohe Bäume. Daneben bezieht die Kanzlei Strom von einem Ökostromanbieter und achtet auf eine lange Nutzungsdauer von Technik. Flüge werden möglichst vermieden und andernfalls über Atmosfair kompensiert.

Alles in allem sind dies sehr einfache, aber dennoch effektive Schritte, die zum Nachahmen animieren könnten. Zumal die positiven Reaktionen der Mandant:innen zeigen, dass inzwischen auch bei Rechtsdienstleistungen Nachhaltigkeit wertgeschätzt wird.

Das Projekt „RE:TREE“ von Linklaters

Auch eine Großkanzlei wie Linklaters widmet sich in unterschiedlicher Weise dem Umweltschutz. Das „Environmental Policy Statement“ von Linklaters legt die Themen Umweltschutz und nachhaltiges Ressourcenmanagement als Bestandteile der Kanzleikultur fest. Daneben unterhält die Kanzlei firmeneigene Leihfahrräder als umweltschonende Alternative zum Taxi. Als Ausgleich für die anfallenden CO2-Emissionen hat die Kanzlei schließlich die Initiative RE:TREE ins Leben gerufen. So können heimische Wälder wiederaufgeforstet werden. Entsprechend dem Slogan „One Pitch One Tree“ wird pro Pitch ein neuer Baum gepflanzt.

Herbert Smith Freehills

Herbert Smith Freehills hat sich zuletzt stark für Nachhaltigkeit engagiert und eine umfassende globale Nachhaltigkeitsstrategie entwickelt. Diese umfasst vier Hauptbereiche: Umweltwirkung, Mitarbeiterengagement, Führung und Pro Bono-Engagement. Die Kanzlei misst, verwaltet und berichtet über ihre bedeutendsten Umweltauswirkungen und hat sich verpflichtet, ihre Kohlenstoffemissionen zu reduzieren. Herbert Smith Freehills nimmt an mehreren branchenübergreifenden Umweltinitiativen teil, wie der "Greener Litigation Pledge" und der "Net Zero Lawyers Alliance", und unterstützt Pro-Bono-Projekte, die sich auf erneuerbare Energien und andere umweltfreundliche Initiativen konzentrieren​.

Fazit

Es ist klar, dass Kanzleien bereits bedeutende Maßnahmen ergriffen haben, um zu einer klimaneutralen Zukunft beizutragen. Obwohl Anwaltsbüros sicher nicht zu den größten Umweltverschmutzern gehören, nutzen und verbrauchen sie dennoch Ressourcen. Die Vorteile nachhaltigen Handelns sind für viele Kanzleien offensichtlich: So können erhebliche Kosten eingespart werden. Zudem ist Umweltschutz für den juristischen Nachwuchs oft von großer Bedeutung. Eine engagierte Kanzlei wird dadurch nicht nur für junge Talente, sondern auch für ihre bestehenden Mitarbeiter:innen attraktiver.

Es ist inzwischen durch zahlreiche Untersuchungen belegt, dass sich die Arbeit in einem werteorientierten Kontext als befriedigender erweist und Mitarbeiter:innen sich stärker mit ihrem Job identifizieren, wenn sie darin einen Sinn erkennen, der auch das Thema Nachhaltigkeit umfasst. Darüber hinaus schätzen wertebewusste Geschäftspartner:innen und Mandant:innen klare Bekenntnisse und kooperieren langfristig aus Überzeugung mit nachhaltigen Einrichtungen.

Ein vorbildliches Verhalten der Jurist:innen kann zudem andere Wirtschaftszweige dazu ermutigen, dem Thema „Nachhaltigkeit“ mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Oder um es mit den Worten von Mark Twain zu sagen: „Das Geheimnis des Vorwärtskommens besteht darin, den ersten Schritt zu tun.“