Unternehmen und Kanzleien verzichten zunehmend auf das Anschreiben
Aus den genannten Gründen verzichten immer mehr Unternehmen und auch Kanzleien auf ein Anschreiben. Jedoch liegt die Frage auf der Hand, ob das Anschreiben neben der Darlegung der eigenen Motivation auch anderen Zwecken dient, wie beispielsweise der Prüfung der Rechtschreibkenntnisse. In der Tat offenbaren Anschreiben so manche Information zwischen den Zeilen. Dennoch rückt auch hier die Aussagekraft der Anschreiben in den Hintergrund, insbesondere wenn andere validere Methoden eingesetzt werden, welche die Eignung von Bewerber:innen objektiv feststellen. Dazu gehören unter anderem Assessment Center, die unterschiedliche Skills, wie das sprachliche oder logische Denkvermögen gezielt testen.
Der Wegfall des Anschreibens ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass sich Bewerber:innen intensiv über ihren potenziellen neuen Arbeitgeber informieren sollten. Wurde früher bereits im Anschreiben erläutert, weshalb sich ein Kandidat für eine bestimmte Stelle oder einen Arbeitgeber interessiert, ist diese Diskussion nun vollständig auf das Bewerbungsgespräch übergegangen. Dementsprechend sicher sollten Bewerber:innen begründen können, weshalb sie Interesse an einem Einstieg bei Unternehmen/Kanzlei XY haben.
Finden oder gefunden werden?
"Active Sourcing" oder "Aktive Suche" bezeichnet eine Methode, die auf die proaktive Ansprache geeigneter Kandidat:innen durch den Arbeitgeber oder auch durch externe Dienstleister setzt – dass hier die Kontaktaufnahme nicht in einer bloßen Aufforderung besteht, sich auf offene Vakanzen zu bewerben, sollte selbstverständlich sein. Auch hier hat das Anschreiben ausgedient, denn schließlich klopft in diesem Szenario das Unternehmen bzw. die Kanzlei bei dem*der Bewerber:in an und nicht umgekehrt.
Dem Trend der Aktiven Suche ist auch Talent Rocket gefolgt und bietet Bewerber:innen die Möglichkeit, ihr Bewerbungsprofil anzulegen, entsprechende Zeugnisse anzuhängen und einen vollständigen Lebenslauf zu erstellen. Mit diesem Profil kann man sich aktiv bewerben oder sich von Arbeitgebern kontaktieren lassen, die den passenden Job zum Profil haben. Sofern die Voraussetzungen für beide Seiten stimmen, kommt es zum Match. Das erspart beiden Seiten Zeit und Energie. Der erste Eindruck entsteht dann hauptsächlich durch Noten, Zusatzqualifikationen und vor allem auch durch den Lebenslauf. Der persönliche Eindruck ist nach wie vor am wichtigsten, doch diesen erhält man weiterhin beim persönlichen Kennenlernen im ersten Gespräch.
Schließlich hielt sich lange Zeit noch das Gerücht, Partner:innen von Großkanzleien seien als Vertreter einer eher konservativen Branche Anhänger des Anschreibens. Doch auch das stimmt laut Nikola Bergmann heute so nicht mehr. Aufgrund der spürbaren Konsequenzen des Fachkräftemangels haben auch die Partner:innen erkannt, dass innovative Plattformen und veränderte Trends wichtig sind, um auch im Recruiting wettbewerbsfähig zu bleiben. Einen Nachteil gibt es also auch auf dieser Ebene nicht mehr.
Vergeudet daher keine Zeit für das Verfassen von Bewerbungsschreiben, sondern sorgt besser für gute Unterlagen, einen sinnvoll strukturierten Lebenslauf und - als Jurist:in - idealerweise für gute Noten und einschlägige Erfahrungen.