Welchen Stellenwert nimmt Life Sciences in der Industrie und auf dem juristischen Arbeitsmarkt ein, Frau Melin?
Anna-Shari Melin: Ich sehe mehr und mehr Anwält:innen, die sich im Bereich Life Sciences spezialisieren. Zum Beispiel gibt es einige Anwält:innen, die explizit Life Sciences M&A machen, Life Sciences Antitrust oder Trade. Gesellschaftliche Entwicklungen wie eine alternde Bevölkerung, der Krieg in der Ukraine und Covid-19, steigendes umweltrechtliches Bewusstsein oder Resistenzen von Antibiotika, Bestrebungen hinsichtlich der Reduzierung der Massentierhaltung und der Nachhaltigkeit unserer Lebensmittel – all dies und mehr führt zur stetig steigenden Relevanz des Life Sciences Sektors, insbesondere auch auf rechtlicher Ebene.
Gehen Life Sciences und Digitalisierung – insbesondere KI – Hand in Hand? Ergeben sich hierdurch Schwierigkeiten für Pharmaunternehmen?
Anna-Shari Melin: Meiner Einschätzung nach wird KI über kurz oder lang jeden betreffen, also auch die Life Sciences Branche. Life Sciences wird aber meines Erachtens eines der Rechtsgebiete sein, welches in Zukunft zwar durch künstliche Intelligenz unterstützt, aber nicht ersetzt werden kann.
Schwierigkeiten sehe ich insbesondere im Hinblick auf datenschutzrechtliche Belange und mit Blick auf das Vorbeugen von sog. „hallucinations“ – also Fehlern, die durch KI mit Überzeugung als richtig dargestellt werden.
Sidley Austin organisiert das Life Sciences College (LSC), welches 2012 ins Leben gerufen wurde. Was bietet das LSC? Inwiefern können Jurist:innen weltweit davon profitieren?
Anna-Shari Melin: Das LSC ist eine globale Konferenzreihe, die sich in den letzten Jahren stark etabliert hat. Auf Wunsch unserer Mandanten greift das LSC aktuelle Themen auf, die besonders für Medizinprodukte- und Arzneimittelhersteller wichtig sind, und beleuchtet sie aus der Sicht zuständiger Behörden, der Wissenschaft und der Industrie. Die letzten LSCs ermöglichten den direkten Diskurs zwischen der Europäischen Kommission und der Industrie, deren Teilnehmer:innen aus Asien, den USA und Europa kamen. Jurist:innen, die hieran teilnehmen, können mit den wichtigen Entscheidungsträgern sprechen, sich über „Hot Topics“ informieren und sich international vernetzen.
Teamplay gehört bei Sidley Austin zu den “Core Values”. Wie funktioniert die interne Kommunikation und die Zusammenarbeit im Bereich Life Sciences?
Anna-Shari Melin: Teamwork ist bei uns nicht umsonst Teil des Slogans. Wenn ein Mandant uns kontaktiert, ist unsere erste Frage immer: Wer ist hier am besten positioniert, den Lead zu übernehmen, und wessen Expertise sollten wir miteinbeziehen, damit die Interessen des Mandanten umfassend und praktisch berücksichtigt werden können. Sidley Life Sciences hat in meiner Karriere noch nie einen Alleingang dargestellt, denn unsere Mandanten sollen ja auch davon profitieren, dass sie zu einer internationalen Großkanzlei kommen, die schon Vieles von vielen verschiedenen Seiten beleuchtet hat. Bei uns gibt es Knowledge Management Databases und den Austausch in europäischen (wöchentlich) und globalen (monatlich) Team-Calls, in denen wir uns über die wichtigsten Mandate austauschen. Durch dieses Vorgehen hat sich eine hohe interne Vernetzung ergeben, die unsere Mandanten schätzen.
Wie können Sie in Ihrer Position Berufseinsteiger:innen bei der Arbeit im Bereich Life Sciences unterstützen?
Anna-Shari Melin: Ich persönlich unterstütze Berufseinsteiger:innen dadurch, dass ich sie vom ersten Tag an in die Mandatsarbeit einspanne. Es ist mir wichtig, dass ich mir genügend Zeit nehme, um Berufseinsteiger:innen die Fakten sowie die Zusammenhänge zu erklären, die hinter einem Mandat stehen. Dadurch wissen neue Kolleg:innen direkt, warum sie gebeten wurden, eine bestimmte Aufgabe zu übernehmen, und welche Relevanz die eigene Mitarbeit hat. Durch das oben erwähnte interne Sidley-Netzwerk und die engen Beziehungen zur Industrie kann insbesondere auch der Kontakt zu überörtlichen Kolleg:innen hergestellt und eine gute Vernetzung aller jungen Talente erreicht werden.
Welche Life Sciences Aspekte möchten Sie und Ihre Kolleg:innen vorantreiben? Gibt es noch Nachholbedarf?
Anna-Shari Melin: Den Austausch innerhalb von Industrieverbänden und sonstigen Foren, die Benchmarking ermöglichen, würde ich gerne vorantreiben. Insofern engagiere ich mich, indem ich meine Mandanten soweit wie möglich auf aktuelle Entwicklungen hinweise, die ihren Arbeitsalltag tangieren und bezüglich derer sie sich in Industrieverbänden engagieren können. Sidley gibt auch regelmäßig Trainings zu neuen Gesetzesentwicklungen und ermöglicht einen Industrieaustausch in sogenannten „Benchmarking-Groups“. Ich leite z.B. die Benchmarking Group „pvlegal“, die sich mit Fragen rund um die Arzneimittelsicherheit befasst.