Konkret zu Ihrer Tätigkeit: Was bedeutet (Re-)Strukturierung im Steuerbereich überhaupt und welche Seiten Ihrer Arbeit zählen Sie inzwischen zu Ihrem Steckenpferd?
Unter (Re-)Strukturierung fassen wir alle gesellschafts- oder auch nur schuldrechtlichen Maßnahmen, durch die Konzerne bzw. einzelne Unternehmen ihr Geschäftsfeld oder ihre Organisation ändern bzw. Kooperationen mit Dritten erweitern oder einschränken. Oft gibt es mehrere Wege, um das wirtschaftliche Ziel zu erreichen. Wir ermitteln, welcher Weg aus steuerlicher Sicht der günstigste ist. Der wird selten genauso umgesetzt, weil viele andere Faktoren eine wichtigere Rolle spielen. Es nutzt dem Mandanten nichts, wenn Sie ihm eine komplett steuerneutrale Lösung anbieten, durch die sein Unternehmen aber handlungsunfähig wird.
Neben der klassischen M&A-Steuerberatung befasse ich mich schwerpunktmäßig mit Verkehrsteuern (v.a. Umsatz- und Versicherungsteuer) sowie neuen Finanzprodukten. Es ist sehr spannend, wie schnell und umfassend sich die Finanzwirtschaft in den letzten Jahren entwickelt hat. Denken Sie nur an Mobile Banking, Kryptowährungen oder Instant Payments. Das alles hat es vor 20 Jahren noch nicht oder kaum gegeben.
Wie stark sind die einzelnen Niederlassungen von Allen & Overy im Steuerrecht miteinander vernetzt und wie viel Internationalität bringt dies für die Mitarbeiter mit sich?
Bei 55 Prozent unserer Mandate sind drei und mehr Rechtsordnungen involviert. Der Austausch und die Abstimmung mit den ausländischen Kollegen (nicht nur aus dem Steuerrecht) ist tägliche Routine. Nicht selten hat eine bestimmte rechtliche Wertung in einer Rechtsordnung Auswirkungen auf die Analyse aus Sicht einer anderen. Da ist es unerlässlich, dass wir miteinander reden und uns abstimmen. Am Ende soll der Mandant ein einheitliches Produkt der Kanzlei erhalten und nicht mehrere losgelöste Einzelauffassungen. Das erwartet er auch von uns.
Viele meiden (noch) den Steuerbereich als Tätigkeitsfeld. Attribute wie beispielsweise: „trocken“, „einseitig“ und „langweilig“ tauchen in diesem Zusammenhang häufig auf. Was setzen Sie dem entgegen?
Wer Jura langweilig findet, für den ist vermutlich auch das Steuerrecht „trocken“. „Einseitig“ habe ich noch nicht gehört. Tatsächlich ist das Steuerrecht sehr facettenreich. Zum einen weil es an die unterschiedlichsten Lebens- und Wirtschaftsbereiche anknüpft; zum anderen, weil der eigentlichen steuerlichen Beurteilung in aller Regel andere Rechtsfragen vorausgehen.
Die versicherungssteuerrechtliche Beurteilung kann an regulatorische Vorgaben anknüpfen. Bei Fragen zur Umsatzsteuer müssen Sie immer zunächst die zivilrechtlichen Leistungsbeziehungen bestimmen. Sollen die Wirkungen einer körperschaftsteuerlichen Organschaft greifen, muss der entsprechende Unternehmensvertrag gesellschaftsrechtlichen Anforderungen genügen. Interessanter kann es doch kaum sein!
Allen & Overy gilt als eine der innovativsten Großkanzleien – wo wird dies besonders gut sichtbar und welche Attribute machen die Kanzlei gerade für Berufseinsteiger attraktiv?
Der digitale Wandel verlangt auch in der juristischen Beratung nach hoher Innovationskraft und Lernbereitschaft. Dem begegnet Allen & Overy mit einer umfassenden Legal-Tech-Strategie. Mit FUSE haben wir in London ein Innovations-Hub mit internationaler Anziehungs- und Strahlkraft. Seine Forschungs- und Entwicklungsergebnisse fließen unmittelbar in unsere Arbeitsabläufe ein. So reduzieren speziell entwickelte Suchalgorithmen den Bedarf an individueller Durchsicht großer Dokumentenmengen erheblich – eine Tätigkeit, die früher insbesondere auch von Berufseinsteigern erledigt wurde.
Ein weiteres wichtiges Thema betrifft das automatische Erstellen von Dokumenten, womit ebenfalls viel manuelle Arbeit deutlich reduziert wird. In den kommenden Jahren werden wir weitere tiefgreifende Veränderungen im Beratungsalltag erleben. Berufseinsteiger, die aktiv an dieser Entwicklung teilnehmen, haben die besten Voraussetzungen für ihre weitere berufliche Laufbahn.
Ihr Fazit?
2015 war ich mir nicht sicher, wie lange mein Ausflug in ein neues Rechtsgebiet und an den Main dauern würde. Beides war für mich Neuland. Heute kann ich sagen, dass sich der Sprung ins kalte Wasser gelohnt hat. Meine Tätigkeit ist nach wie vor spannend, fordert immer wieder aufs Neue ein Nach- und Umdenken und auch mein Team ist großartig.
Vielen Dank, Herr Dr. Dieker!