Falsche Urteile in der Justiz

Verfasst von Finn Holzky

4 Deutsche Justizirrtümer & Fehlurteile

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Unerträglich für die Betroffenen und mehr als unangenehm für die Schuldigen. Öffentliche Statistiken gibt es nicht, doch selbst einer der höchsten deutschen Richter, BGH–Richter Ralf Eschelbach, hält jedes vierte strafrechtliche Urteil für ein Fehlurteil. Das wäre eine schockierend hohe Zahl bei rund einer Million strafrechtlicher Urteile pro Jahr und in der Tat lassen sich bei genauerer Betrachtung viele erschreckende Justizirrtümer in Deutschland finden.

Ein Grundpfeiler des Rechtssystems:

Josef Jakubowski – ein Argument gegen die Todesstrafe

Der 26. März 1925 ist ein besonders trauriger Tag, nicht nur für Josef Jakubowski, seine Familie und Freunde, sondern auch auch für die deutsche Justiz. Einer der schlimmsten Justizirrtümer des 20. Jahrhunderts in Deutschland versteckt sich schwarz auf weiß unter dem Urteil und wurde bis heute zumindest formal nicht einmal berichtigt. Kaum ein Jahr später, am 15. Februar 1926, wurde die damals noch angewandte Todesstrafe gegen Josef Jakubowski vollstreckt.

Was aber war passiert? Josef Jakubowski war für den Mord an einem dreijährigen Jungen zum Tode verurteilt worden. Sein Prozess ließ dabei in vielerlei Hinsicht zu wünschen übrig. So wurde Jakubowski, der seinerseits kaum Deutsch sprach oder dieses verstand, ein Dolmetscher verweigert. Darüber hinaus stützte sich das Urteil auf die Aussagen eines geistig Verwirrten, der aufgrund seines Zustands nicht vereidigt, aber trotzdem als Hauptbelastungszeuge zugelassen wurde. Schließlich war es die Familie des Verstorbenen, die einstimmig auf den Verurteilten hinwies und dessen Anmerkung, es handele sich hier um eine Verschwörung gegen ihn, führte zu einem Wutausbruch des vorsitzenden Richters.

Es kam, wie es kommen musste. Josef Jakubowski wurde zum Tode verurteilt und das Urteil wurde vollstreckt, obwohl Beobachter der Verhandlung dieses Urteil kritisierten, die Begnadigung forderten und der Anwalt Jakubowskis noch in letzter Minute eine Aufschiebung der Vollstreckung forderte. Kaum zwei Jahre später kam ein Ermittler der Wahrheit auf die Spur und legte einen Komplott der Familie des Dreijährigen offen und offenbarte diese als die eigentlichen Täter. Für Josef Jakubowski kam diese Einsicht zu spät und auch ein von seinen Eltern beantragtes Verfahren zur nachträglichen Freisprechung wurde eingestellt.
 

Harry Wörz, das Opfer einer Polizeiintrige?

Glück, dass es 1998 die Todesstrafe nicht mehr gab, hatte Harry Wörz, der wegen versuchter Tötung seiner Frau höchstrichterlich verurteilt wurde und 55 Monate in Haft verbrachte, bevor ein Wiederaufnahmeverfahren gravierende Ermittlungsfehler der Polizei und Staatsanwaltschaft aufdeckte.

Das Landgericht Mannheim stellte später, nach einer Aufhebung des Urteils durch den Bundesgerichtshof, fest, dass die Schuld von Wörz auf keinen Fall bewiesen worden war und vielmehr der damalige Liebhaber seiner Frau als Täter in Betracht käme.

Besonders brisant war dabei dessen Beruf. Der Liebhaber war nämlich Polizist und die Akten legen nahe, dass seine Kollegen aus beruflicher Solidarität nicht gegen ihn ermittelten. Wörz wurde freigesprochen und konnte darüber hinaus eine recht stattliche Entschädigung von insgesamt rund einer halben Millionen Euro erstreiten.

Josef Jakubowski war für den Mord an einem dreijährigen Jungen zum Tode verurteilt worden. Sein Prozess ließ dabei in vielerlei Hinsicht zu wünschen übrig.

Der Fall Peggy Knobloch und die Verurteilung von Ulvi Kulaç

Ein Justizdrama der jüngeren Geschichte ist der Fall der 2001 verschwundenen Peggy Knobloch. Die Vorkommnisse sind so umfangreich und verwirrend, dass im Folgenden nur das Wesentliche skizziert werden kann.

Nachdem das neunjährige Mädchen Peggy Knobloch am 7. Mai 2001 verschwand, begann eine intensive Suche, die medial sehr großes Aufsehen erreichte. Trotz einer ausführlichen Suche bis in die Türkei und nach Tschechien gab es zunächst kaum hilfreiche Hinweise. Nach einiger Zeit und auf Anraten der Mutter Peggys verdächtigten die Ermittler den geistig behinderten Ulvi Kulaç und untersuchten dessen Kleidung ohne Befund. Für die Tatzeit hatte dieser doch ein Alibi durch seine Mutter.

Bei späteren Verhören gestand Kulaç jedoch überraschend, die Tat doch begangen zu haben und stellte seine Version des Tathergangs dar. Das Geständnis ist aber weder aufgezeichnet, noch war sein Verteidiger vor Ort; es beruht daher lediglich auf dem Gedächtnisprotokoll eines Ermittlungsbeamten.

Aufgrund des Geständnisses wurde Kulaç angeklagt. Im Verlauf des Prozesses gab es zwar viele Ungereimtheiten, insbesondere was den zeitlichen Ablauf der angeblichen Tat anging, allerdings kam ein Gutachter zu dem Ergebnis, dass der geistig behinderte Ulvi Kulaç gar nicht dazu in der Lage wäre, sich eine solche Geschichte auszudenken und merken zu können. Als Ergebnis wurde Kulaç für schuldig befunden und auch eine Revision wurde vor dem Bundesgerichtshof verworfen. Ulvi Kulaç war rechtskräftig verurteilt.

Später kamen weitere Zweifel an seiner Schuld auf und eine Bürgerinitiative, die unter anderem sogar von Peggys leiblichem Vater und ihren Großeltern unterstützt wurde, setzte sich für Ulvi Kulaç ein. Ein Belastungszeuge widerrief seine Aussage und begründete sie mit dem Versprechen der Polizei, man hätte ihm Hafterleichterung gewährt. Folglich wurde Kulaç am 14. Mai 2014 freigesprochen und Ende Juli 2015 auch aus der psychiatrischen Einrichtung entlassen.

Neueste Erkenntnisse werfen nun völlig neue Fragen auf, nachdem Teile des Skeletts von Peggy im Jahr 2016 in einem nahegelegenen Waldstück aufgetaucht sind. An einem Stoffrest wurde zudem die DNA von Uwe Böhnhardt, seinerseits Mitglied des NSU, festgestellt. Nach heutigem Kenntnisstand geht man jedoch davon aus, dass diese DNA–Spur eine Trugspur ist, die durch die mehrfache Benutzung eines Werkzeugs an verschiedenen Tatorten entstanden ist. Die Ermittlungen im Fall Peggy Knobloch dauern daher noch immer an, obwohl bereits vor Jahren rechtskräftige aber wohl falsche Urteile ausgesprochen worden waren.

„Einspruch, Euer Ehren!"

Verwirrende Geständnisse im Fall Rupp

Auf ein genauso großes Medienecho stieß der Fall des ebenfalls im Jahr 2001 verschwundenen Rudolf Rupp. Der Fall sah zunächst noch recht eindeutig aus, denn der Landwirt Rupp galt als Tyrann und seine Frau, seine beiden Töchter und ein Ex–Freund einer Tochter gestanden recht schnell, Rupp getötet, seinen Körper zerteilt und an Tiere verfüttert zu haben.

Doch was zunächst eindeutig schien, wurde immer fragwürdiger, da sich die Aussagen der Geständigen teilweise extrem widersprachen. Dennoch kam es aufgrund dieser Geständnisse, die ihrerseits noch vor Beginn der Verhandlung widerrufen wurden, zu Verurteilungen.

Spätestens am 10. März 2009 wird dieser Fall zu einem der bizarrsten in der deutschen Rechtsgeschichte. Denn der vermisste Wagen von Rudolf Rupp wird aus der Donau gezogen. Doch dem nicht genug, denn darin befindet sich sein vollständiges und offensichtlich unbeschadetes Skelett. Die Geständnisse der Verurteilten sind somit völlig wertlos und offen bleibt nur die Frage, warum sie überhaupt falsch aussagten. Gleiches gilt ganz nebenbei für die Verurteilung eines Schrotthändlers, der wegen Beihilfe in Form des Verschwindenlassens des Wagens von Rupp verurteilt wurde.

Schließlich wurden die Verurteilten in einem Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen. Lediglich Entschädigungen waren, wenn überhaupt, sehr begrenzt, da die Geständnisse natürlich Mitschuld an den ergangenen Fehlurteilen hatten. Der Tod des Rudolf Rupp ist bis heute nicht gänzlich geklärt worden.
 

Deutschland ist also sichtlich nicht frei von Justizirrtümern. Erst jüngst hatte der Fall des Gustl Molath, der gegen seinen Willen und ohne hierfür nötige Gründe jahrelang in einer Psychiatrie untergebracht worden war, die Öffentlichkeit erschüttert. Auch dieser Fall ist bis heute nicht gänzlich aufgeklärt worden, doch es sieht alles danach aus, dass Gustl Molath einer Intrige seiner Ex–Frau und einem Versagen der Justiz und Politik zum Opfer gefallen war.

Hengeler Mueller
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