So werden Bundesverfassungsrichter gewählt

Verfasst von Annika Lintz

Wie werden Bundesverfassungsrichter:innen gewählt?

Und wer ist dafür geeignet?

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) oder auch "The Federal Constitutional Court" mit Sitz in Karlsruhe nimmt für den deutschen Rechtsstaat eine entscheidende Position ein. Es genießt in weiten Teilen der Bevölkerung großes Vertrauen und entscheidet beispielsweise über die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen - hütet somit die deutsche Verfassung und ist das höchste deutsche Gericht, wenn es um das Aufheben von Entscheidungen der Vorinstanzen geht, die das Grundgesetz nicht eingehalten haben. Wie die Arbeit des Verfassungsgerichts ausgestaltet ist, hängt maßgeblich davon ab, welche Richterinnen und Richter in Karlsruhe die Entscheidungen treffen. Diese werden abwechselnd von Bundestag und Bundesrat gewählt.

Zusammensetzung des Bundesverfassungsgerichts

Das Bundesverfassungsgericht besteht aus zwei Senaten mit jeweils acht Richterinnen und Richtern. Andreas Voßkuhle ist Vorsitzender des Zweiten Senats und zugleich Präsident des gesamten Gerichts. Er vertritt das Verfassungsgericht bei offiziellen Terminen und spielt eine große Rolle in der öffentlichen Wahrnehmung des Gerichts.

Vorsitzender des Ersten Senats und Vizepräsident des Verfassungsgerichts ist seit November 2018 Stephan Harbarth. In jedem Senat muss ein Minimum von drei Richter:innen sitzen, die vor ihrer Wahl ans Bundesverfassungsgericht mindestens drei Jahre an einem oberen deutschen Gerichtshof tätig waren. Die übrigen fünf Richter:innen pro Senat können auch aus anderen Berufsfeldern stammen. 

Aktuell sind vor allem Juraprofessor:innen am Verfassungsgericht vertreten, aber auch der ehemalige Innenminister Thüringens Peter Huber und der ehemalige saarländische Ministerpräsident Peter Müller. Eine Amtszeit dauert zwölf Jahre oder bis zum 68. Geburtstag der Richter:innen – je nachdem, was früher eintritt. Eine Wiederwahl ist nicht möglich.
 

Voraussetzungen für das Amt von Verfassungsrichter:innen

Um als Verfassungsrichter:in in Frage zu kommen, müssen Kandidaten und Kandidatinnen zunächst gewisse formale Voraussetzungen erfüllen. Zugelassen sind nur Volljurist:innen, die mindestens 40 Jahre alt und zum Bundestag wählbar, also Deutsche im Sinne des Grundgesetzes sind.

Es ist nicht zwingend erforderlich, vorher als Richter:in tätig gewesen zu sein.

Die Kandidat:innen sollen jedoch besonders gute juristische Kenntnisse haben, vor allem im öffentlichen Recht. Da für die Wahl stets eine Zweidrittelmehrheit erforderlich ist, werden angesehene und mehrheitsfähige Persönlichkeiten gesucht, mit denen verschiedene politische Parteien einverstanden sind.

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Ablauf der Wahl im Bundestag

Im Vorfeld einer Wahl gibt es politische Diskussionen über mögliche Kandidat:innen. Es hat sich ein System des Vorschlagsrechts etabliert, das zwischen den Parteien wechselt. Bis zu einer Reform des Verfahrens im Jahr 2015 wurden die Verfassungsrichter:innen durch einen Wahlausschuss gewählt. Dieser besteht aus zwölf Abgeordneten des Bundestages, die durch das Parlament entsprechend der Größe der einzelnen Fraktionen in den Ausschuss gewählt werden.

Dieses Verfahren wurde jedoch häufig wegen fehlender Transparenz kritisiert und schließlich reformiert. Den Wahlausschuss gibt es immer noch, allerdings bereitet er die Wahl nur noch vor. Die tatsächliche Entscheidung trifft der gesamte Bundestag. Der Ausschuss berät zunächst vertraulich und kann dann mit Zweidrittelmehrheit beschließen, dem Parlament einen Kandidaten vorzuschlagen.

Anschließend erfolgt die Wahl im Bundestag geheim und ohne vorherige Diskussion. Wenn der Kandidat bzw. die Kandidatin zwei Drittel der abgegebenen Stimmen erhält, ist er oder sie gewählt und wird durch den Bundespräsidenten ernannt und vereidigt.
 

Ablauf der Wahl im Bundesrat

Im Bundesrat wurden die Verfassungsrichter:innen schon immer durch das Plenum gewählt. Bis 2016 waren Union und SPD abwechselnd an der Reihe, eine:n Kandidat:in vorzuschlagen. Seitdem werden auch die Grünen einbezogen, da die Partei in zahlreichen Bundesländern an der Regierung beteiligt ist und Union und SPD keine Zweidrittelmehrheit mehr ohne sie erreichen können.

Die Grünen sollen nun jede:n fünfte:n Kandidat:in vorschlagen, CDU/CSU und SPD jeweils zwei von fünf. Bundestag und Bundesrat wählen abwechselnd einen Richter:in zum Präsidenten bzw. Präsidentin beziehungsweise Vizepräsident:in des Bundesverfassungsgerichts.

Zugelassen sind nur Volljurist:innen, die mindestens 40 Jahre alt und zum Bundestag wählbar, also Deutsche im Sinne des Grundgesetzes sind.

Kritik an der Wahl

Gegen die Wahl durch Bundestag und Bundesrat gibt es auch Bedenken, insbesondere im Hinblick auf die Unabhängigkeit der Richter:innen. Das Bundesverfassungsgericht kann Gesetze für verfassungswidrig erklären und der Politik Vorgaben machen, die dann zwingend umzusetzen sind. Dies können die Parteien bei ihrer Auswahl berücksichtigen und Kandidat:innen möglicherweise auch nach politischen Positionen bestimmen.

Besonders umstritten ist deshalb die Wahl amtierender oder ehemaliger Politiker:innen ans Bundesverfassungsgericht. Stephan Harbarth ist nach seiner Wahl im November 2018 direkt vom Bundestag nach Karlsruhe gewechselt. Es kann zu Situationen kommen, in denen das Verfassungsgericht über Gesetze urteilen muss, die von seinen ehemaligen Fraktionskolleg:innen formuliert wurden.

Dadurch könnte das Vertrauen der Bevölkerung in die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts geschwächt werden. Harbarth ist zudem Vizepräsident des Gerichts und wird wahrscheinlich 2020 zum Präsidenten gewählt, nachdem die Amtszeit von Andreas Voßkuhle beendet ist. Dadurch würde sich ein ehemaliger Politiker zur wichtigsten und prominentesten Stimme des Gerichts entwickeln. Dies könnte von der Öffentlichkeit eher kritisch aufgefasst werden. 
 

Sicherung der Unabhängigkeit

In der Praxis hat sich jedoch gezeigt, dass ehemalige Politiker:innen als Richter:innen am Bundesverfassungsgericht frei und ohne direkten Bezug zu ihren politischen Positionen entscheiden. Im Falle eines Interessenkonflikts gibt es die Möglichkeit, einzelne Verfahren ohne die Teilnahme eines bestimmten Richters oder einer Richterin durchzuführen.

Das Bundesverfassungsgericht entschied 2018, über eine Verfassungsbeschwerde gegen das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe (§ 217 StGB) ohne den Richter Peter Müller zu verhandeln. Müller hatte sich als saarländischer Ministerpräsident zum Thema Sterbehilfe klar positioniert. Er hatte einen Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht, der inhaltlich weitgehend mit dem Gesetz übereinstimmt, über das in dem Verfahren entschieden werden sollte.

Deshalb war der Eindruck einer möglichen Befangenheit nicht vollkommen auszuschließen. Das Verfassungsgericht achtet also sehr darauf, Interessenkonflikten dieser Art keinen Raum zu bieten. Die persönliche Unabhängigkeit der Richter:innen wird auch dadurch gestärkt, dass sie nicht wiedergewählt werden können. So entsteht gar nicht erst der Eindruck, Urteile könnten von dem Willen geprägt sein, noch eine Amtszeit ableisten zu dürfen.

Modelle anderer Staaten

Es gibt verschiedene Modelle, nach denen andere Staaten ihre obersten Richter:innen bestimmen, die sich mehr oder weniger stark vom deutschen System unterscheiden.

Der österreichische Verfassungsgerichtshof hat 14 Mitglieder und sechs Ersatzmitglieder, die durch den Bundespräsidenten ernannt werden. Die Vorschläge erfolgen durch die Regierung, den Nationalrat und den Bundesrat. Voraussetzungen für eine Berufung an das Verfassungsgericht sind ein abgeschlossenes Jurastudium und mindestens zehn Jahre juristische Berufspraxis. Die Amtszeit der Richter:innen endet mit Ablauf des Jahres, in dem diese 70 Jahre alt werden und ist somit unterschiedlich lang.

In den USA nominiert der Präsident eine:n Kandidat:in seiner Wahl für das Amt eines Verfassungsrichters oder der Verfassungsrichterin. Dieser wird durch den Justizausschuss des Senats öffentlich angehört. Die Anhörung hat einen hohen Stellenwert; etwas Vergleichbares gibt es in Deutschland nicht. Der Senat muss dann den bzw. die Kandidat:in bestätigen. Die Richter:innen werden auf Lebenszeit ernannt.

Auch das System in Frankreich unterscheidet sich in einigen Punkten von dem deutschen Modell. Das französische Verfassungsgericht hat neun Mitglieder, ihre Amtszeit beträgt neun Jahre. Alle drei Jahre wechselt ein Drittel der Mitglieder. Die Richter:innen werden zu gleichen Teilen durch den Staatspräsidenten, den Senatspräsidenten und den Präsidenten der Nationalversammlung ernannt. Alle ehemaligen französischen Staatspräsidenten sind automatisch Mitglieder auf Lebenszeit. Eine juristische Ausbildung ist für das Amt der Verfassungsrichter:innen nicht erforderlich.  

 

Richter:in am Bundesverfassungsgericht können nur Menschen werden, die eine Zweidrittelmehrheit im Parlament und damit einen breiten politischen Konsens erreichen. Fachliche Kompetenz alleine reicht deshalb nicht aus, auch die Person insgesamt muss überzeugen. Das deutsche System sichert den Richter:innen eine freie und unabhängige Amtsausübung trotz der Wahl durch die Politik. So kann das Verfassungsgericht seine rechtsstaatlichen Aufgaben ausüben.