Kritik an der Wahl
Gegen die Wahl durch Bundestag und Bundesrat gibt es auch Bedenken, insbesondere im Hinblick auf die Unabhängigkeit der Richter:innen. Das Bundesverfassungsgericht kann Gesetze für verfassungswidrig erklären und der Politik Vorgaben machen, die dann zwingend umzusetzen sind. Dies können die Parteien bei ihrer Auswahl berücksichtigen und Kandidat:innen möglicherweise auch nach politischen Positionen bestimmen.
Besonders umstritten ist deshalb die Wahl amtierender oder ehemaliger Politiker:innen ans Bundesverfassungsgericht. Stephan Harbarth ist nach seiner Wahl im November 2018 direkt vom Bundestag nach Karlsruhe gewechselt. Es kann zu Situationen kommen, in denen das Verfassungsgericht über Gesetze urteilen muss, die von seinen ehemaligen Fraktionskolleg:innen formuliert wurden.
Dadurch könnte das Vertrauen der Bevölkerung in die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts geschwächt werden. Harbarth ist zudem Vizepräsident des Gerichts und wird wahrscheinlich 2020 zum Präsidenten gewählt, nachdem die Amtszeit von Andreas Voßkuhle beendet ist. Dadurch würde sich ein ehemaliger Politiker zur wichtigsten und prominentesten Stimme des Gerichts entwickeln. Dies könnte von der Öffentlichkeit eher kritisch aufgefasst werden.
Sicherung der Unabhängigkeit
In der Praxis hat sich jedoch gezeigt, dass ehemalige Politiker:innen als Richter:innen am Bundesverfassungsgericht frei und ohne direkten Bezug zu ihren politischen Positionen entscheiden. Im Falle eines Interessenkonflikts gibt es die Möglichkeit, einzelne Verfahren ohne die Teilnahme eines bestimmten Richters oder einer Richterin durchzuführen.
Das Bundesverfassungsgericht entschied 2018, über eine Verfassungsbeschwerde gegen das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe (§ 217 StGB) ohne den Richter Peter Müller zu verhandeln. Müller hatte sich als saarländischer Ministerpräsident zum Thema Sterbehilfe klar positioniert. Er hatte einen Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht, der inhaltlich weitgehend mit dem Gesetz übereinstimmt, über das in dem Verfahren entschieden werden sollte.
Deshalb war der Eindruck einer möglichen Befangenheit nicht vollkommen auszuschließen. Das Verfassungsgericht achtet also sehr darauf, Interessenkonflikten dieser Art keinen Raum zu bieten. Die persönliche Unabhängigkeit der Richter:innen wird auch dadurch gestärkt, dass sie nicht wiedergewählt werden können. So entsteht gar nicht erst der Eindruck, Urteile könnten von dem Willen geprägt sein, noch eine Amtszeit ableisten zu dürfen.