Mann im Home Office

Veröffentlicht am 12.03.2024

Wie steht es um die Work-Life-Balance in der Rechtsbranche?

Ergebnisse unserer Talentumfrage

In der Rechtsbranche gelten lange Arbeitstage und wenig Freizeit oft als Standard – doch auch hier rückt ein Thema immer mehr in den Fokus: Die Work-Life-Balance. Viele Jurist:innen sind erschöpft vom Alltag und nicht nur vor dem Hintergrund steigender Burnout-Diagnosen wächst die Bedeutung eines gesunden Gleichgewichts zwischen Beruf und Privatleben. Besonders in den jüngeren Generationen wird der Ruf nach Veränderung laut. Zu Recht, denn eine gute Work-Life-Balance sorgt nicht nur für Wohlbefinden – auch die Produktivität kann nachhaltig gesteigert werden: Eine Win-Win-Situation für Arbeitgeber und Mitarbeitende. Doch findet in der Rechtsbranche tatsächlich ein Wandel hin zu einer ausgeglicheneren Work-Life-Balance statt?

In unserer aktuellen Talentumfrage haben wir den Status Quo beleuchtet: Wie steht es um die Work-Life-Balance unter Jurist:innen und was tun Arbeitgeber, um diese zu verbessern? Und: Was wünschen sich die befragten Jurist:innen eigentlich? Wir haben die Insights unserer Online Umfrage mit 119 Teilnehmenden im Folgenden aufbereitet.*

Die wichtigsten Insights im Überblick

  • Die Work-Life-Balance wird bei Großkanzleien am schlechtesten bewertet
  • 92 % der Talente, die in Unternehmen arbeiten, sind zufrieden mit ihrer Work-Life-Balance
  • Die jüngere Altersgruppe ist unzufriedener mit ihrer Work-Life-Balance als ältere Gruppen
  • Befragte zwischen 36 und 45 Jahren machen pro Woche die meisten Überstunden (8)
  • Das Home-Office trägt am meisten zu einer guten Work-Life-Balance bei

Work Life Balance nach Arbeitgebertypen

Für ein entspanntes Arbeitsumfeld ist die Rechtsbranche nicht bekannt und lange Arbeitstage stehen bei vielen Jurist:innen auf der Tagesordnung. Soweit nichts Neues. So lange das Wochenende frei bleibt, mögen sich viele Arbeitnehmer:innen mit der Situation abfinden – doch auch dies ist nicht immer der Fall: Zusätzlich zur 5-Tage-Woche nutzen viele Anwält:innen auch Samstage und Sonntage, um wichtige Aufgaben zu erledigen. Doch wie hoch ist der Anteil derjenigen, die auch am Wochenende arbeiten, tatsächlich? Wir haben nachgefragt:

 

Arbeitest du auch am Wochenende?

  • Über die Hälfte der Befragten (55 %), die in Großkanzleien angestellt sind, arbeiten gelegentlich an Wochenenden
  • Ganze 10 % der Befragten in Großkanzleien arbeiten sogar regelmäßig an Wochenenden
  • Im Kontrast dazu stehen Unternehmen – 75 % der Befragten arbeiten nicht an Wochenenden

Damit sind Großkanzleien “Vorreiter” in Sachen Wochenendarbeit – und werden dem Ruf, der ihnen vorauseilt, damit durchaus gerecht. Spiegelt sich das auch in den Wochenstunden wider? 

 

Wie viele Wochenstunden arbeitest du laut Vertrag/tatsächlich?

In der Online-Umfrage wurden die Befragten sowohl nach ihren vertraglichen als auch den Wochenstunden, die sie tatsächlich arbeiten, gefragt.

  • Auch hier sticht die Großkanzlei hervor: Durchschnittlich machen die Befragten jede Woche 11 Überstunden
  • Im Vergleich dazu können auch an dieser Stelle die Unternehmen genannt werden: Hier wird im Durchschnitt nicht einmal eine Überstunde gemacht (0,9 Stunden)
  • Im öffentlichen Dienst und in Boutique Kanzleien werden wöchentlich etwa 6 Überstunden geleistet

Zurück zu den Großkanzleien: Überstunden mögen für viele Arbeitnehmer:innen, vor allem in Hochphasen, dazu gehören. Doch können diese, beispielsweise in Form von Freizeit oder Geld, wieder ausgeglichen werden? Oder reicht das hoch angesetzte Gehalt in Großkanzleien schon aus? Wir haben die Antworten:

 

Kannst du deine Überstunden ausgleichen?

Die Ergebnisse sind, vor allem für die Kanzleien, ernüchternd:

  • Über 70% der Befragten, die in mittelständischen und Boutique Kanzleien arbeiten, können ihre Überstunden weder in Form von Geld noch in Form von Freizeit ausgleichen
  • Die Großkanzleien schneiden noch schlechter ab: Rund 90 % bleiben auf ihren Überstunden “sitzen” – mit Blick auf die hohen Gehälter bei Großkanzleien scheinen diese seitens des Arbeitgebers in den meisten Fällen schon abgegolten zu sein 
  • Anders sieht es in Unternehmen aus: 87 % der Befragten können ihre gesammelten Überstunden mit Freizeit ausgleichen

Wie wirkt sich dieses Gesamtbild auf die Wahrnehmung der Work-Life-Balance aus?

 

Bist du zufrieden mit deiner Work-Life-Balance?

Die bisherigen Ergebnisse spiegeln sich auch im Ergebnis der Frage “Bist du zufrieden mit deiner Work-Life-Balance?” wider: 

  • In Großkanzleien und mittelständischen Kanzleien sind über die Hälfte der Befragten (58 % und 54 %) nicht zufrieden mit ihrer Work-Life-Balance
  • Bei den Befragten, die in Unternehmen arbeiten, sind dagegen ganze 92 % zufrieden mit ihrer Work-Life-Balance 

Besonders im Fall der Großkanzleien wird an dieser Stelle deutlich, dass ein hohes Gehalt keine fehlende Work-Life-Balance aufwiegen kann. Da diese für viele Arbeitnehmer:innen eine wichtige Rolle im Berufsalltag spielt, sollten Arbeitgeber die Unzufriedenheit, welche die Umfrage widerspiegelt, nicht auf die leichte Schulter nehmen.

Im Folgenden sehen wir uns deshalb an, an welchen Stellen dafür angesetzt werden kann und welche Faktoren für Arbeitnehmer:innen zu einer guten Work-Life-Balance beitragen. 

 

Welcher der folgenden Faktoren trägt für dich am meisten zu einer guten Work-Life-Balance bei?

Für fast alle Talente, unabhängig davon bei welchem Arbeitgebertyp sie arbeiten, steht das Home Office in Sachen Work-Life-Balance an erster Stelle – dicht gefolgt von flexiblen Arbeitszeiten, die für Arbeitnehmer:innen in mittelständischen Kanzleien als wichtigster Faktor für eine funktionierende Work-Life-Balance empfunden wird. Eine eher untergeordnete Rolle spielen zusätzliche Urlaubstage und die Option auf Remote Work.

Dass hinsichtlich der Work-Life-Balance vor allem bei den Kanzleien noch Luft nach oben ist, zeigt auch die durchschnittliche Zufriedenheit mit bereits vorhandenen Angeboten: 
 

Wie zufrieden bist du mit den Angeboten deines Arbeitgebers?

Auf einer Skala von 0 (überhaupt nicht zufrieden) bis 10 (sehr zufrieden) erreichen die Großkanzleien einen Durchschnitt von 5, während Unternehmen auf der Skala fast eine 8 erreichen – es ist also definitiv ein Zusammenhang zwischen Workload, Freizeitausgleich und Zufriedenheit mit der Work-Life-Balance erkennbar. Im Falle der Kanzleien müssen Jurist:innen sich häufig zwischen einem hohen Gehalt und einer ausgewogenen Work-Life-Balance entscheiden.

 

Besonders im Fall der Großkanzleien wird an dieser Stelle deutlich, dass ein hohes Gehalt keine fehlende Work-Life-Balance aufwiegen kann.

2. Work Life Balance nach Altersgruppen

Neben den Arbeitgebertypen zeichnen sich auch in den ausgewerteten Altersgruppen Unterschiede ab, welchen definitiv Beachtung geschenkt werden sollte. Beginnen wir mit der Wochendarbeitszeit, die wir bereits nach Arbeitgebertypen analysiert haben:

 

Arbeitest du auch am Wochenende?

  • Über die Hälfte der Befragten, die 45 Jahre oder jünger sind, arbeiten am Wochenende nicht
  • Über die Hälfte der Befragten, die älter als 45 sind, arbeiten gelegentlich am Wochenende (58 %)
  • Auffällig ist allerdings, dass es in der jüngeren Altersgruppe mehr Arbeitnehmer:innen gibt, die regelmäßig an Wochenenden arbeiten

Wird die zusätzliche Arbeit am Wochenende  auch in den Wochenstunden ersichtlich? 

 

Wie viele Wochenstunden arbeitest du laut Vertrag/tatsächlich?

 

  • Befragte zwischen 36 und 45 Jahren machen jede Woche etwa 8 Überstunden und liegen damit im Vergleich zu den anderen Altersgruppen vorne
  • Bis 35 Jahre sind es durchschnittlich ca. 6 Überstunden pro Woche 
  • Befragte zwischen 46 und 55 Jahren machen wöchentlich im Schnitt nur 2,5 Überstunden 

Insbesondere in der Altersgruppe von 46-55 Jahren, welche auch regelmäßig am Wochenende arbeitet, fallen die Überstunden besonders hoch aus. Wie wirkt sich das auf die Zufriedenheit der Mitarbeitenden aus?

 

Bist du zufrieden mit deiner Work-Life-Balance?

  • Nur 27 % der Befragten von 36 bis 45 Jahre sind unzufrieden mit ihrer Work-Life-Balance
  • Ganze 43 % der Befragten bis 35 Jahre sind unzufrieden mit ihren Möglichkeiten auf einen Ausgleich zur Arbeit
  • 75 % der Befragten zwischen 46 und 55 Jahre sind mit ihrer Balance zwischen Berufs- und Privatleben zufrieden

Obwohl die Altersgruppe zwischen 36 und 35 Jahren am meisten arbeitet, ist ein Großteil dieser Gruppe zufrieden mit der Work-Life-Balance.

Dass vor allem die jüngste Altersgruppe unzufrieden mit den Gegebenheiten ist, könnte unter anderem am Umdenken der jüngeren Generationen liegen – ein gesundes Gleichgewicht zwischen Arbeit und Privatleben wird inbesondere hier immer wichtiger. Arbeitgeber, die sich zukunftssicher aufstellen wollen, sollten deshalb insbesondere die Bedürfnisse junger Arbeitnehmer:innen ernst nehmen. Doch an welchen Punkten kann hier angesetzt werden?
 

Welche der folgenden Faktoren tragen für dich am meisten zu einer guten Work-Life-Balance bei?

  • Für alle Befragten steht das Home Office in Sachen Work-Life-Balance an erster Stelle (insgesamt 40 %) 
  • Auch flexible Arbeitszeiten haben für die Altersgruppen einen hohen Stellenwert: Mit insgesamt 40 % schafft es dieser Faktor auf den zweiten Platz
  • Zusätzliche Urlaubstage und Remote Work spielen bei allen Altersgruppen eine eher untergeordnete Rolle

Die Ergebnisse sind auch hier eindeutig: Für die Befragten trägt der Faktor Home Office am meisten zu einer guten Work-Life-Balance bei. Dennoch wird auch bei den Altersgruppen deutlich, dass hinsichtlich Angeboten für ein Ausgleich zwischen Arbeit und Freizeit noch Luft nach oben ist:

 

Wie zufrieden bist du mit den Angeboten deines Arbeitgebers?

Auf einer Skala von 0 (überhaupt nicht zufrieden) bis 10 (sehr zufrieden) schafft es die jüngste Altersgruppe (25-35 Jahre) im Schnitt gerade einmal auf einen Wert von 5,5 – das sollte, vor allem im Hinblick auf die Zukunft, einigen Arbeitgebern zu denken geben. Mit welchen Faktoren können Arbeitgeber über die gängigsten Angebote hinaus bei ihren Mitarbeiter:innen punkten? Die Antwort findest du im nächsten Kapitel.

43% der Befragten bis 35 Jahre sind unzufrieden mit ihrer Work-Life-Balance.

3. Aktuelle & potentielle Maßnahmen

Dass die Work-Life-Balance für viele Arbeitnehmer:innen im Berufsalltag von hoher Bedeutung ist, sollte für viele Arbeitgeber keine neue Information sein.
Doch welchen Beitrag leisten sie in diesem Bereich? 

Was macht dein Arbeitgeber, um die Work-Life-Balance der Mitarbeiter:innen zu fördern?

  • Mit 29 % liegt das Home Office auf Platz 1 – somit wird eine wichtige Nachfrage der Arbeitnehmer:innen von einigen Arbeitgebern bereits abgedeckt**
  • 16 % der Arbeitgeber bieten ihren Mitarbeiter:innen flexible Arbeitszeiten an, womit auch der zweitwichtigste Faktor von Arbeitgebern aufgegriffen wird**
  • Auf Platz 3 hat es das größte “Problem” geschafft: Ganze 16 % der Befragten geben an, dass ihre Arbeitgeber nichts für die Work-Life-Balance unternehmen

In Zeiten von New Work ist dieses Ergebnis sehr überraschend – insbesondere wenn man bedenkt, wie wichtig Home Office und Co. für jüngere Generationen sind (siehe auch Abschnitt 2).

Mit welchen Faktoren können Arbeitgeber darüber hinaus bei ihren Mitarbeiter:innen in Sachen Work-Life-Balance punkten? Wir haben nachgefragt:

 

Was trägt für dich darüber hinaus zu einer guten Work-Life-Balance bei?


*Antworten wie “Home Office” und “Flexible Arbeitszeiten” wurden aufgrund der vorherigen Frage nicht berücksichtigt

 

  • Rund 13 % der Befragten wünschen sich über Home Office und flexible Arbeitszeiten hinaus geregelte Arbeitszeiten – dazu zählt beispielsweise die Arbeitszeiterfassung 
  • Für 11 % der Befragten zählt auch ein gutes Arbeitsklima zu einer guten Work-Life-Balance 
  • Keine Erreichbarkeit an freien Tagen und “wirklich” frei haben – das ist für weitere 7 % der Befragten ein ausschlaggebender Faktor hinsichtlich Ausgleich zum Arbeitsleben

Neben Home Office und flexibler Arbeitszeit können Arbeitgeber also auch in anderen Bereichen was für die Work-Life-Balance ihrer Mitarbeiter:innen tun. 

Ganze 16 % der Befragten geben an, dass ihre Arbeitgeber nichts für die Work-Life-Balance unternimmt.

4. Fazit & Ausblick

Die Work-Life-Balance wird auch in der Rechtsbranche zu einem immer bedeutenderen Faktor und wird – wie auch in anderen Branchen – insbesondere für die jüngeren Generationen zu einem wichtigen Bestandteil des privaten und beruflichen Lebens. Unsere Umfrage macht deutlich, dass insbesondere jüngere Altersgruppen mit ihrer aktuellen Work-Life-Situation unzufrieden sind. Auch hohe Gehälter, die insbesondere in den Großkanzleien gezahlt werden, können dieses Defizit nicht ausgleichen.

Um sich zukunftssicher aufzustellen, müssen Arbeitgeber dem Ruf nach einer besseren Work-Life-Balance nachkommen, sich aktiv dafür engagieren und entsprechende Angebote schaffen. Die beliebtesten – und vermutlich am einfachsten umzusetzenden – Maßnahmen sind die Option auf Home Office und flexible Arbeitszeiten. Doch auch darüber hinaus gibt es Stellschrauben, an denen gedreht werden kann: Die Einhaltung der vorgegebenen Wochenstunden und ein gutes Arbeitsklima sind für viele Arbeitnehmer:innen weitere Optionen, mit denen Arbeitgeber im Bereich Work-Life-Balance punkten können – und das ohne viel Geld in die Hand nehmen zu müssen. Da der Ausgleich von viel Arbeit mit einem hohen Gehalt nicht funktioniert, können hier vor allem Arbeitgeber, die nicht das höchste Gehalt zu bieten haben, punkten. 

Letztendlich sollte auch die Kommunikation zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmer:innen nicht außer Acht gelassen werden. Die Tatsache, dass ganze 16 % der Arbeitgeber "nichts" für die Work-Life-Balance ihrer Mitarbeitenden unternehmen, kann auch das Ergebnis fehlender Kommunikation sein – Unter Umständen ist Talenten gar nicht bekannt, dass und welche Angebote ihr Arbeitgeber offeriert. Somit sind auch Transparenz und der Austausch untereinander wichtige Parameter, die für eine Verbesserung der Zufriedenheit der Mitarbeitenden sorgen können.


* Infos zur Stichprobe

Im Februar 2024 wurde eine anonyme Online Umfrage mit 119 Talenten durchgeführt (Geschlechterverteilung: 44 % weiblich, 56 % männlich, 0 % divers; Verteilung auf Arbeitgebertypen: 26 % Großkanzlei, 20 % Unternehmen, 16 % Boutique Kanzlei, 22 % Mittelständische Kanzlei, 13 % Öffentlicher Dienst, 3 % Andere).

** Der Anteil der Arbeitgeber, die Home Office sowie flexible Arbeitszeiten anbieten, liegt über 29/16 %, was u.a. die Analyse im Talent Rocket Benefit Report zeigt. Die hier genannten Zahlen verdeutlichen, dass nur 29/16 % der Talente Home Office/flexible Arbeitszeiten als einen Faktor wahrnehmen, der sowohl vom Arbeitgeber angeboten wird, als auch die Work-Life-Balance verbessert.