Arbeitswelt Zukunft für Juristen

Veröffentlicht am 07.10.2020

Utopie oder nahe Zukunft

Wie könnte die Arbeitswelt der Zukunft für Juristen aussehen?

Digitalisierung und Fortschritt verändern die Arbeitswelt stetig. Die Juristerei als eine der wohl traditionellsten Branchen trifft dies noch vergleichsweise wenig, auch wenn sich erste Veränderungen bereits heute nicht mehr leugnen lassen. Doch was kommt noch auf uns zu und wie könnte die Arbeit von Anwälten, Richtern und Staatsanwälten in 5, 10, 20 oder gar 50 Jahren aussehen?
 

Es ist knapp 25 Jahre her, da konnte der Schachcomputer Deep Blue erstmals eine Partie Schach gegen einen amtierenden Schachweltmeister gewinnen. Ein Jahr später konnte der Rechner bereits einen Wettkampf aus insgesamt 6 Partien gewinnen. Den Entwicklern von Deep Blue wurde damals ein Quantensprung in der Entwicklung von Computern und ersten Schritten in der Künstlichen Intelligenz zugesprochen. Doch was hat das mit Juristen und den Veränderungen der Arbeitswelt zu tun?
 

Nach Deep Blue folgt Watson – IBM als Vorreiter für technologische Disruption

Es war der US-Technologiegigant IBM, der den Deep Blue Rechner entwickelte und damit einen Rechner, der in einem speziellen Gebiet dem Menschen überlegen wurde. Doch IBM will nicht nur Schach revolutionieren und das zeigt sich mit der Entwicklung der Rechensoftware Watson. Watson ist eine auf KI gestützte Software, die unter anderem aus digital aufbereiteten Mustern Entscheidungen ableiten kann. Und besonders interessant: Watson wird Jura beigebracht.

Mit ROSS, einem digitalen Anwalt der an der Universität Toronto entwickelt wurde, gibt es bereits ein digitales Angebot, um auf Rechtsrat, basierend auf der Watson-Software zurückgreifen zu können. Watson selbst greift in erster Linie auf Rechtsprechung und erkennbare Muster zurück, die er mit einem Sachverhalt vergleicht und diesen Vergleich auswertet. Das geschieht in kurzer Zeit und ist zumindest perspektivisch betrachtet sehr günstig.

Ist Watson also der Feind aller Anwälte?

Wohl kaum. Denn es gibt einerseits eine technische Herausforderung, die zumindest bestimmte Rechtsgebiete und komplexe Fälle für künstliche Intelligenz bisher unzugänglich macht und andererseits immer noch einen sozialen und gesellschaftlichen Faktor bei juristischen Sachverhalten.

Ersteres ist in erster Linie darin begründet, dass künstliche Intelligenz zum heutigen Zeitpunkt noch immer auf Regelmäßigkeiten, Strukturen oder Raster angewiesen ist. Das führt dazu, dass bestimmte Rechtsstreitigkeiten gerade zu prädestiniert für sogenannte Legal Tech Unternehmen sind.

Zu beobachten ist dies schon heute bei Fluggastrechten, Beschwerden gegen Bußgeldbescheide oder bei Mahnverfahren. Diese Verfahren haben gemeinsam, dass sie in sehr ähnlicher Konstellation sehr häufig auftreten und das Ergebnis von wenigen und vor allem klar definierten Bedingungen abhängt.

Es braucht nicht viel Fantasie, um sich vorstellen zu können, dass ein Rechner der heute die Höhe der Entschädigung und das Bestehen eines solchen Anspruchs aufgrund einer Flugverspätung berechnen und bewerten kann, in naher Zukunft zum Beispiel auch für bestimmte Konstellationen von Verkehrsunfällen belastbare Ergebnisse liefern wird.

Anders sieht es jedoch bei individuellen Lebens- und Sachverhalten aus. Die Auslegung von Verträgen und Willenserklärungen wird die künstliche Intelligenz auch mittelfristig nicht bewerkstelligen können. Eine Vielzahl von Rechtsangelegenheiten wird also aller Wahrscheinlichkeit nach weder von Watson, ROSS noch einer der vielen Konkurrenzprodukte in naher Zukunft den Anwälten und Kanzleien entrissen werden. Bestimmte Geschäftsfelder werden aber mit genauso hoher Wahrscheinlichkeit nach und nach aus dem Alltag von Anwälten verschwinden.

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Das Backoffice wird schrumpfen

Schlechter sieht es zumindest langfristig hingegen für das Backoffice und die wissenschaftlichen Mitarbeiter aus. Hintergrundrecherchen, aber vor allem auch Bürotätigkeiten werden zunehmend häufiger von Technologie übernommen werden.

Ob durch digitale Assistenzangebote, Automatismen bei der Erstellung von Schriftsätzen oder Online-Recherche-Tools, die Arbeit hinter den Anwälten ist für künstliche Intelligenz deutlich einfacher zu erlernen. 

Hier wird sich allerdings die Frage stellen, wie weit sich Anwälte in ihrem Alltag wirklich auf Technologie einlassen möchten und vor allem auch wie diese von Mandanten angenommen wird. So könnte bereits zum heutigen Stand der Technik eine erste Bestandsaufnahme und Sachverhaltsanalyse durch technologische Lösungen angeboten werden. Durchgesetzt hat sich bisher jedoch noch keine solcher Lösungen.


Die E-Akte als Vorreiter oder abschreckendes Beispiel: Ein Blick in die Justiz

Dass die Justiz massiv überlastet sowie finanziell und personell unterversorgt ist, ist kein Geheimnis. Es ist daher nach Ansicht vieler Experten sehr wahrscheinlich, dass früher oder später ein massiver Aufbau von unterstützender Technologie stattfinden muss und wird.

Die Mühlen der Justiz mahlen jedoch langsam und das zeigt sich nicht zuletzt an dem Debakel rund um die E-Akte. Noch heute – im Jahr 2020 – sind fast alle Gerichte weit davon entfernt, lediglich mit digitalen Akten zu arbeiten. Selbiges gilt dem Grunde nach auch für elektronische Postfächer und die Kommunikation zwischen Gerichten und Anwälten.

Unterstützende Software zum Auffangen der Personalnot insbesondere auch in der Verwaltung und in den Geschäftsstellen von Gerichten wird ein erster Schritt sein – doch früher oder später wird auch die Justiz nicht darum herum kommen, der Flut von Klagen und Verfahren zumindest in bestimmten Fallkonstellationen durch technologische Lösungen entgegenzutreten. 

Die Auslegung von Verträgen und Willenserklärungen wird die künstliche Intelligenz auch mittelfristig nicht bewerkstelligen können.

Was bedeuten solche Veränderungen für die Arbeit von Juristen?

In erster Linie werden es neue zusätzliche Fähigkeiten sein, die von Juristen verlangt werden. So sind aktuell technische Kenntnisse im Grunde auf das Nutzen von Office-Software beschränkt. Sicherlich wird auch in Zukunft kein Jurist nebenbei Programmieren lernen müssen, doch um ein Grundverständnis für technologische Analytik werden Bewerber in vielen Bereichen in naher Zukunft nicht mehr herumkommen. 

Vor allem aber werden sich die Tätigkeitsfelder verändern. Machen heute noch Verkehrsunfälle für viele Anwälte einen Großteil ihres Arbeitsalltags aus, wird es Verschiebungen innerhalb der Tätigkeitsfelder geben. Neue Technologien schaffen nämlich selbstverständlich auch neue rechtliche Fragen. So ist es sehr wahrscheinlich, das Verkehrsanwälte der Zukunft nicht mehr über Tempoüberschreitungen oder den Beweis eines fehlenden Blinkens streiten werden, sondern vielmehr über die Haftung von Unternehmen für deren autonom fahrenden Fahrzeuge. 

 

Veränderung ja – Juristensterben nein

Auch ohne eine funktionierende Glaskugel lässt sich feststellen, dass sich die Arbeitswelt für Juristen gravierend verändern wird. Das bedeutet in erster Linie aber Spezialisierung und Fokussierung auf bestimmte Rechtsgebiete, nicht aber dass die Juristerei der Zukunft von Rechnern und Algorithmen übernommen werden wird. Es werden gänzlich neue Rechtsgebiete entstehen und es wird zumindest mittelfristig eher mehr als weniger für Juristen zu tun geben.

Es gibt allerdings auch Rechtsgebiete, die tatsächlich bedroht sind. Wer sich hierfür interessiert oder bereits in diesen Geschäftsfeldern tätig ist, der sollte sich dringend mit diesen Veränderungen auseinandersetzen. Denn wie immer gilt: Wo Risiken sind – da sind auch große Chancen!

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