Deutschland belegt im EU-Vergleich den drittletzten Platz bezüglich Lohngleichheit. Welche Ursachen hat die Gender-Pay-Gap Ihrer Auffassung nach, insbesondere mit Blick auf die Kanzleiwelt?
Sarah Klachin: Es gibt viele Ursachen für die Gender Pay Gap, insbesondere wenn wir uns die unbereinigte Lohnlücke ansehen. Eine Ursache ist unter anderem die Berufswahl von Frauen. Frauen arbeiten viel häufiger in sozialen Berufen. Diese oftmals als „typische Frauenberufe“ bezeichneten Berufe werden generell schlechter bezahlt. Zudem arbeiten überwiegend Frauen in Teilzeit, weil sich immer noch Frauen hauptsächlich um Kinder und Familie kümmern – und damit schlechter verdienen. Das zeigt der Part-time wage Gap. Im Durchschnitt erhalten Teilzeitbeschäftigte niedrigere Stundenlöhne als Vollzeitbeschäftigte. Der Part-time wage Gap ist im Gegensatz zum Gender Pay Gap zwar zunächst unabhängig vom Geschlecht, da die Lücke zwischen dem Stundenlohn derjenigen, die in Teilzeit arbeiten, zu denen, die Vollzeit arbeiten, geschlechterunabhängig gemessen wird. Da aber, wie gesagt, hauptsächlich Frauen in Teilzeit arbeiten, hat der Part-time wage gap im Endeffekt eben doch eine Genderkomponente. Auch oftmals längere Unterbrechungen der Berufstätigkeit durch Schwangerschaft und Elternzeit und ein erschwerter Wiedereinstieg können ursächlich sein. Zu den Gehaltsunterschieden führt auch die immer noch niedrigere Besetzung von Führungspositionen durch Frauen. In höheren Hierarchieebenen sind Frauen oftmals nur noch selten vertreten. Das sehen wir gerade auch in konservativeren Berufsfeldern, wie es die Anwaltschaft zum Beispiel ist.
Sie sind als Arbeitsrechtlerin bei Pinsent Masons tätig. Werden Sie durch Ihre Mandant:innen oft mit der Thematik „geschlechtsspezifische Lohnlücke” konfrontiert?
Sarah Klachin: Bisher wurden wir mit dieser Thematik eher selten konkret konfrontiert. Ich denke, das liegt vor allem daran, dass bisher der Großteil der Unternehmen in Deutschland nicht im Anwendungsbereich des Entgelttransparenzgesetzes liegt und daher wenig Interesse seitens der Unternehmen bestand, sozusagen freiwillig zu handeln. Die mediale Aufmerksamkeit der Entgelttransparenzrichtlinie hat aber dazu geführt, dass in letzter Zeit vermehrt Mandanten Interesse an diesem Thema zeigen und Nachfragen haben, insbesondere in Zusammenhang mit den auf sie zukommenden Pflichten aufgrund der Entgelttransparenzrichtlinie.
Die Financial Times zählt Pinsent Masons – mit einem Anwältinnen-Anteil von 53% bei TalentRocket – zu den 20 führenden Unternehmen für Diversität in Europa. Wie fördert Ihre Kanzlei Vielfalt und Gleichberechtigung?
Sarah Klachin: Bei Pinsent Masons fördern wir Vielfalt und eine integrative Kultur in vielerlei Hinsicht, unter anderem durch unsere globale Initiative für ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis, dem Project SKY. Die Ziele sind die Erhöhung der Transparenz in Bezug auf die Karriereentwicklung von Frauen und die Umsetzung einer Reihe von Initiativen zur Förderung des Geschlechtergleichgewichts im gesamten Unternehmen. Seit Mai 2023 sind 31 % unserer Partnerschaft, 44 % unserer Board Member, und 46 % unser Heads of Office weiblich – Tendenz weiter steigend.
Noch ein Beispiel ist unser Female Futures-Netzwerk. Dieses hat über 450 Mitglieder und sich zum Ziel gesetzt, Frauen bei Pinsent Masons jetzt und in Zukunft die Möglichkeit zum echten und nachhaltigen Einfluss zu geben. Das Netzwerk setzt sich für positive Veränderungen ein, um ein besseres Gleichgewicht zwischen den Geschlechtern zu fördern und bietet Veranstaltungen und Gelegenheiten zum Ideenaustausch und zur internen und externen Vernetzung.
Der bis dato geltende individuelle Auskunftsanspruch hat nur begrenzte Auswirkungen in der Praxis. Was muss sich Ihrer Meinung nach in den (Arbeits-)Gesetzen ändern, um effektiv gegen die Gender-Pay-Gap in Deutschland vorzugehen?
Sarah Klachin: Wenn wir konkret vom individuellen Auskunftsanspruch des Entgelttransparenzgesetzes ausgehen, führen diverse Hürden dazu, dass dieser kaum bis gar nicht genutzt wird. Der hohe Schwellenwert und die Bildung einer Vergleichsgruppe mit mindestens sechs Kollegen des anderen Geschlechts führen dazu, dass die meisten Beschäftigten schon allein deswegen keinen Auskunftsanspruch haben, selbst wenn sie diesen geltend machen wollen würden. Zudem sehen die meisten Beschäftigten von der Geltendmachung des Auskunftsanspruches und von Diskriminierungsklagen während des laufenden Arbeitsverhältnisses ab. Wenn überhaupt passiert dies erst bei Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses.
Daher setze ich meine Hoffnung eher auf Maßnahmen, die auf Unternehmensebene ansetzen. Neben Änderungen des Entgelttransparenzgesetzes, um diesem mehr Effektivität zu verleihen, sind noch andere weitreichendere Maßnahmen notwendig, die dazu führen, dass sich die Entgeltlücke schließt. Hierzu gehören mit Sicherheit die gerechte Verteilung von Erwerbsarbeit und unbezahlter Care Arbeit, der weitere Ausbau und die gute Qualität der Kinderbetreuung sowie erleichterte und faire Bedingungen für den Wiedereinstieg in den Beruf.
Haben Sie im Laufe Ihrer Karriere spürbare Veränderungen der Gender-Pay-Gap feststellen können?
Sarah Klachin: Ich persönlich habe schon das Gefühl, dass in den letzten Jahren zumindest die Aufmerksamkeit für geschlechterspezifische Gehaltsunterschiede deutlich gestiegen ist. Das hängt bestimmt auch mit der Einführung des Entgelttransparenzgesetzes zusammen. Auch wenn sich dieses nicht als besonders effektiv erwiesen hat, hat es zumindest zu medialer Aufmerksamkeit für dieses Thema geführt. Zudem gab es in den letzten Jahren erste Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts (BAG), die zur Klärung der Rechtslage beigetragen haben. Dennoch ist die Umsetzung der Entgeltgleichheit in Deutschland noch extrem ausbaufähig.
Was ist Ihre Zukunftsprognose bezüglich der geschlechtsspezifischen Entgeltlücke in Deutschland?
Sarah Klachin: Die mediale Aufmerksamkeit, die die Entgelttransparenzrichtlinie erfahren hat und die Umsetzungspflicht innerhalb von drei Jahren werden mit Sicherheit dazu führen, dass die Thematik vorangetrieben wird. Wie genau die Entgelttransparenzrichtlinie umgesetzt wird, wissen wir aktuell noch nicht, es besteht Gestaltungsspielraum für die Mitgliedstaaten. So oder so wird es zu erheblichen Veränderungen für deutsche Unternehmen kommen. Hoffen wir, dass der deutsche Gesetzgeber die Entgelttransparenzrichtlinie zum Anlass nimmt, die Umsetzung der Entgeltgleichheit in Deutschland bestmöglich zu unterstützen.
Vielen Dank, Frau Klachin!