Eine Polizeimütze, die auf einem Polizeiwagen liegt

Veröffentlicht am 10.07.2023

Von der Staatsanwaltschaft zur Führung der Polizei NRW

Vera Schwarzenecker von der Polizei NRW im Interview

Mehr als 12 Jahre ist Vera Schwarzenecker bereits als Oberamtsanwältin bei der Staatsanwaltschaft tätig, als sie sich dazu entscheidet, beruflich nochmal ein ganz neues Kapitel zu beginnen: als Führungskraft bei der Polizei NRW. Warum sie ausgerechnet zur Polizei umsattelte, inwiefern sich diese berufliche Umstellung gestaltete und wie sie nun – Spoiler Alert – ihrem Traumjob nachgeht, das alles verrät sie uns im Interview.

Vera Schwarzenecker
Vera Schwarzenecker

Frau Schwarzenecker, Sie sind Polizeirätin bei der Polizei NRW. Aus welchen Gründen haben Sie sich nach Ihrer Laufbahn bei der Justiz NRW für eine Karriere bei der Polizei entschieden?

Vera Schwarzenecker: Mit der Verfolgung von Straftaten habe ich beruflich für mich die richtige Nische gefunden, da es mir immer wichtig war, einer Tätigkeit nachzugehen, in der ich einen Sinn sehe und die mir gleichzeitig Spaß bereitet. Die Arbeit als Oberamtsanwältin ist in meinen Augen eine sehr anspruchsvolle und erfüllende Aufgabe, da man sich für eine gute Sache einsetzt und dabei die Menschen, über deren Schicksale man mitentscheidet, nie aus den Augen verlieren darf. Damit meine ich Täterinnen und Täter ebenso wie Geschädigte.

Leider ist dieser Beruf sehr an Papier und Computer gebunden und ich bin meist nur an einem Tag die Woche für Gerichtsverhandlungen unter Menschen gekommen. Den Rest der Zeit habe ich hauptsächlich alleine im Büro mit meinen Akten verbracht und auf einen Monitor gestarrt. Zudem hatte ich nach zwölf Jahren im Beruf das Bedürfnis, mich weiterzuentwickeln und war auf der Suche nach einer neuen Herausforderung.

Da ich aber Strafverfolger „durch und durch“ war und bin, war der Wechsel zur Polizei für mich die einzig logische Alternative. 


Im Januar 2009 wurden Sie als Amtsanwältin vereidigt und haben bis zu Ihrem Wechsel im Dienst der Polizei 2021 bei der Justiz gearbeitet. Wie hat sich der Wechsel für Sie gestaltet? Inwiefern unterscheiden sich die Tätigkeiten voneinander?

Vera Schwarzenecker: Nachdem ich die Staatsanwaltschaft in der Regel an einem Tag der Woche vor Gericht vertreten habe und den Rest meiner Arbeitszeit primär mit der Bearbeitung von Ermittlungsverfahren bis zu deren Abschluss z.B. in Form der Anklageerhebung, eines Antrags auf Erlass eines Strafbefehls oder einer Verfahrenseinstellung verbracht habe, befinde ich mich nun bei der Polizei in einer zweieinhalbjährigen Einführungsphase. Es mag etwas klischeehaft klingen, aber die Polizei NRW legt ganz besonderen Wert auf gute Führung. Aus diesem Grund wird jede:r Volljurist:in, der/die den Direkteinstieg in den höheren Dienst der Polizei NRW geschafft hat, auf seine/ihre erste eigene Führungsverantwortung aufwendig und intensiv vorbereitet. Als Jurist:in, der/die nicht den klassischen Werdegang eines Polizeibeamten bzw. einer Polizeibeamtin mit sich bringt, gibt es sehr viel zu lernen. Und so trifft auf meine aktuelle Tätigkeit der Grundsatz zu, dass kein Tag wie der andere ist.

Zunächst erhielt ich an einem der drei großen Ausbildungsstandorte der Polizei NRW eine Art komprimierte Grundausbildung. Schließlich musste ich lernen, wie man gefährlichen Situationen im Einsatz begegnet. Der Aspekt der Eigensicherung ist bei allen Trainings- und Lerneinheiten von besonderer Bedeutung. Hinzu kommen die Handhabung der Dienstwaffe und die Schießausbildung und vieles mehr. Dazu werden viele inhaltliche Themen vermittelt, da die Polizei breiter aufgestellt ist, als vielen bewusst ist. 

Nach dieser Ausbildung bin ich zweieinhalb Monate auf Streife gewesen. Das war eine beeindruckende Zeit. Im Anschluss habe ich alle weiteren Formen der Polizeiarbeit kennengelernt. So habe ich die Hundertschaft zu Fußballspielen und zum G7 Außenministertreffen in Münster begleitet und durfte u.a. mit dem Verkehrsdienst, der Autobahnpolizei, der K-Wache und verschiedenen Kommissariaten der Kriminalpolizei meinen Dienst versehen. Aktuell hospitiere ich bei einer Führungskraft im höheren Dienst der Kriminalpolizei und bekomme so einen sehr authentischen Blick auf eine Tätigkeit wie ich sie in gut einem Jahr vielleicht übernehmen werde. Und bis dahin warten noch so viele neue und interessante Einsatzgebiete auf mich.

Meine Tätigkeit als Polizeirätin unterscheidet sich in einem wesentlichen Punkt von meiner bisherigen Tätigkeit. Bei der Polizei werde ich Führungsverantwortung übernehmen und nicht nur als Entscheidungsträgerin in polizeilichen Sachverhalten in Erscheinung treten, sondern auch als Vorgesetzte mit Personalverantwortung. Sicher ist, dass ich viel Kontakt zu Kolleginnen und Kollegen haben werde. Inhaltlich kann ich das Tätigkeitsfeld noch nicht eingrenzen, da es unzählige, sehr unterschiedliche Einsatzmöglichkeiten für Führungskräfte des höheren Dienstes bei der Polizei gibt. 

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Wie ist die Ausbildung für Direkteinsteiger:innen bei der Polizei NRW aufgebaut?  Welche Bereiche oder Inhalte möchten Sie besonders hervorheben?

Vera Schwarzenecker: Besonders hervorheben möchte ich, dass der/die Direkteinsteiger:in wirklich alle Bereiche der Polizei erleben darf und dort seinen Dienst versieht. Nach zwei bis drei Monaten Ausbildung und gut einem halben Jahr Praxishospitation stehen noch eine viermonatige Hospitation im Innenministerium und ein knappes Jahr an der Deutschen Hochschule der Polizei in der Nähe von Münster an. Diese findet zusammen mit angehenden Führungskräften aus dem gesamten Bundesgebiet statt. Danach folgen noch zwei Führungshospitationen im höheren Dienst.. Zusätzlich beinhaltet die Ausbildung mehrere Fortbildungen und Studienreisen. Von Prüfungen ist man in der Zeit an der Hochschule aufgrund der beiden bestandenen Staatsexamina befreit. Und was man sonst noch so erlebt, hängt viel von einem selbst ab. Denn auf Nachfrage darf man fast überall reinschauen und mitmachen. Ziel dieser Ausbildung ist es, Polizei kennenzulernen und zu verstehen.


Welche Herausforderungen sind Ihnen in den ersten Wochen bei der Polizei begegnet?

Vera Schwarzenecker: Wenn man Familie hat, liegt eine besondere Herausforderung darin, den Dienstplan mit dem Privatleben in Einklang zu bringen und nichts zu kurz kommen zu lassen. Zum Glück bin ich da privat sehr gut aufgestellt und habe auch im Kolleg:innenkreis ausschließlich sehr gute Erfahrungen gemacht. Für die Belange der Familie hatte bisher jeder in meinem neuen Arbeitsumfeld absolutes Verständnis. Ich möchte nichts geschenkt bekommen und habe immer meinen Teil beigetragen – aber mit kleinen Kindern ist man einfach nicht immer zu 100 Prozent zeitlich flexibel. Zum Glück ist die Familie für die Polizei ein sehr großes Thema und findet Berücksichtigung. 

Eine weitere Herausforderung war es für mich, mit Ende 30/Anfang 40 und als dreifache Mutter nochmal fit für den Einsatz zu werden und meine Sportlichkeit unter Beweis zu stellen. Aber mit etwas Training und Durchhaltevermögen ist auch diese Herausforderung zu meistern. 


Sie waren zuletzt zur Hospitation im Ministerium des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen. Welche Aufgabenfelder beinhaltet diese Station der Ausbildung?

Vera Schwarzenecker: In den vier Monaten im Innenministerium werden Direkteinsteigerinnen und Direkteinsteiger ebenso wie Ratsbewerber:innen (dabei handelt es sich um die polizeiinternen Aufsteiger:innen in den höheren Dienst) auf die verschiedenen Referate des Innenministeriums verteilt und daher mit ganz unterschiedlichen Aufgaben aus Bereichen wie Verkehr, Gefahrenabwehr, Kriminalpolizei, Personal, Verwaltung, Recht, Liegenschaften und Logistik betraut. Ich habe meine Zeit in der Stabsstelle Controlling verbracht und daher mit meinen Kollegen unmittelbar dem Abteilungsleiter der Polizei zugearbeitet. Auf diese Art hatte ich Berührungspunkte mit allen Bereichen der Polizeiarbeit und habe einen Einblick in die Abläufe zwischen Minister, Abteilungsleiter, Gruppenleitern, Referatsleiterinnen und Referatsleitern und den einzelnen Behörden bekommen.

(...) zum Wesen des Polizeiberufs gehört es, dass wir mit immer wechselnden, neuen Sachverhalten konfrontiert werden.
Vera Schwarzenecker

Welche Rechtsgebiete oder Bereiche sind in Ihre Arbeit eingebunden und inwieweit spielt „juristisches Denken” eine Rolle? 

Vera Schwarzenecker: Wenn ich die Tätigkeit im höheren Dienst der Polizei NRW anhand der klassischen Rechtsgebiete einordnen müsste, kann man hier insbesondere mit den Vorschriften des Polizei- und Ordnungsrechts, des Straf- und Strafprozessrechts und des Arbeitsrechts in Berührung kommen. 

Polizeiarbeit hat sehr viel mit taktischem Denken zu tun. Das juristische Denken mit seiner analytischen Herangehensweise ist in diesem Zusammenhang von großer Hilfe. Da Polizist:innen oft dennoch etwas anders an Sachverhalte herangehen als Jurist:innen, befruchten sich die unterschiedlichen Denkansätze oft gegenseitig.


Wie gestaltet sich Ihr typischer Arbeitsalltag und was macht die Arbeit als Polizeirätin besonders spannend?

Vera Schwarzenecker: Typisch ist, dass es keinen wirklichen Alltag gibt. Natürlich gibt es bei einer späteren Tätigkeit oft feste Routinen wie z.B. eine morgendliche Besprechung, Mitarbeitergespräche, Ermittlungsabstimmungen und Rücksprachen mit Kolleg:innen. Aber zum Wesen des Polizeiberufs gehört es, dass wir mit immer wechselnden, neuen Sachverhalten konfrontiert werden. Je nachdem, was an einem Tag im eigenen Zuständigkeitsbereich ansteht oder passiert, setzt man sich mit Themen auseinander, von denen man beim Aufstehen noch nichts wusste.  


Was macht für Sie eine gute Führungskraft aus und welche Qualifikationen sollten junge Jurist:innen mitbringen?

Vera Schwarzenecker: Neben dem fachlichen Know-How, das man als Jurist:in mitbringen sollte, sind die wichtigsten Eigenschaften einer guten Führungskraft in meinen Augen Empathie und Menschlichkeit. Wer nicht gut mit Menschen umgehen kann, sollte nicht als Vorgesetzte oder Vorgesetzter für diese Verantwortung tragen. Zudem erachte ich eine tiefe moralische Festigung auf den Werten unseres Grundgesetzes als ebenso zwingende wie selbstverständliche Grundvoraussetzung für eine Bewerbung bei der Polizei. Wer moralisch nicht gefestigt ist, hat bei der Polizei nichts zu suchen.


Inwiefern können Sie in Ihrer Position Berufseinsteiger:innen auf dem Karriereweg unterstützen, Frau Schwarzenecker?

Vera Schwarzenecker: Bei der Polizei ist die Hilfsbereitschaft auch intern so groß, wie ich es noch nie zuvor erlebt habe. Wer hier neu ist, bekommt von allen Seiten ernstgemeinte Hilfsangebote. Und so kann auch jede neue Kollegin, jeder neue Kollege mich jederzeit anrufen oder anschreiben und ich werde ihr oder ihm mit meinen Erfahrungen weiterhelfen, wo immer ich kann. Wir alle teilen unseren Erfahrungsschatz miteinander, sodass jede:r die notwendige Unterstützung erfährt.


Wie bewerten Sie durch Ihre langjährige Erfahrung bei der Justiz sowie der Polizei die Entwicklung von Gleichstellung und Gleichberechtigung – insbesondere mit Blick auf weibliche Führungskräfte? 

Vera Schwarzenecker: Leider haben wir bei der Polizei noch keine Frauenquote von 50 % erreicht. Das liegt aber auch daran, dass erst seit 1982 Frauen ihren Dienst bei der Polizei NRW versehen. Ich bin aber zuversichtlich, dass wir diese Verhältnisse noch erreichen werden. Ich erlebe aktuell, dass Führung bei der Polizei immer weiblicher wird und denke, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

Gibt es bei der Polizei, vor allem in höheren Positionen, realistische Möglichkeiten, die Balance zwischen Karriere und Familie zu finden?

Vera Schwarzenecker: Führen in Teilzeit war bei der Polizei NRW einst undenkbar – habe ich gehört. Aber auch hier hat ein Wandel eingesetzt, denn es gibt inzwischen Führungskräfte in Teilzeit. Da die Work-Life-Balance immer größere Bedeutung erlangt hat, kann auch die Polizei NRW als Arbeitgeber es sich nicht (mehr) erlauben, entsprechende Regelungen nicht zuzulassen. 


Welchen Ausgleich wählen Sie nach einem langen Arbeitstag?

Vera Schwarzenecker: Mir bereitet die Arbeit viel Freude, sodass ich auf eine Art nicht das Bedürfnis habe, etwas auszugleichen. Aber um am Ende eines Arbeitstages zu entspannen, beschäftige ich mich am liebsten mit meinen Kindern. Die Welt sieht durch die Brille eines kleinen Menschen ganz anders aus, als ich sie wahrnehme und das finde ich sehr faszinierend. Daher entdecke ich nach Feierabend gerne wieder das Kind in mir und spiele mit der Familie.


Gibt es Ihrer Meinung nach ein „Erfolgsrezept” für eine erfolgreiche Laufbahn im öffentlichen Dienst?

Vera Schwarzenecker: Die Frage ist doch, was ist beruflicher Erfolg? Ich persönlich definiere Erfolg über Freiheiten. Dass ich unter Berücksichtigung unserer Regeln und meiner inneren Überzeugung freie Entscheidungen treffen und meine Meinung vertreten kann, betrachte ich als den größten beruflichen Erfolg.

Ich möchte jeden Morgen guten Gewissens in den Spiegel sehen können. Meiner persönlichen Wahrnehmung nach sind Führungskräfte im höheren Dienst der Polizei NRW daher sehr erfolgreich.

So sieht der Direkteinstieg bei der Polizei NRW aus

Welche zukünftigen Ziele und Vorsätze haben Sie sich als Polizeirätin gesetzt?

Vera Schwarzenecker: Mein Ziel ist es, eine gute Führungskraft zu werden und stets an mir zu arbeiten. Dass meine Mitarbeitenden sich wohlfühlen und mich als Vorgesetzte achten und schätzen. Und wohin immer es mich verschlagen wird, möchte ich daran mitarbeiten, die Arbeitsprozesse kontinuierlich zu überprüfen und zu verbessern, sollte ein entsprechender Bedarf festgestellt werden.


Welchen Rat können Sie Jurist:innen mit auf den Weg geben, die über einen Direkteinstieg bei der Polizei nachdenken?

Vera Schwarzenecker: Einer meiner Direkteinsteiger-Kollegen hat zu mir gesagt, er kann sich nicht vorstellen, wie man sich nicht bei der Polizei bewerben kann. Das wäre die beste berufliche Tätigkeit, die er sich vorstellen könne. Und ich habe aus voller Überzeugung gedacht: Er hat Recht! Also kann ich allen nur den Rat geben, sich unbedingt bei der Polizei NRW zu bewerben. Wir freuen uns auf Euch!

 

Ihr Fazit?

Vera Schwarzenecker: Wir verbringen viel zu viel Zeit auf der Arbeit, als dass wir uns mit einer Tätigkeit herumärgern sollten, die uns nicht glücklich macht. Wen also der Gedanke an eine spannende und abwechslungsreiche Tätigkeit bei der Polizei kitzelt, der sollte nicht länger zögern. Was ich seit meiner Vereidigung an Erfahrungen sammeln, an Erkenntnissen gewinnen, an Einblicken erhalten und an netten Kolleginnen und Kollegen kennenlernen durfte, macht meine Entscheidung, zum Team 110 zu wechseln, zur besten beruflichen Entscheidung meines Lebens.

 

Vielen Dank, Frau Schwarzenecker!