Staatsminister für Justiz Georg Eisenreich im New Lawyers Podcast

Verfasst von Laura Hörner|Veröffentlicht am 25.10.2023

Georg Eisenreich – Wo steht die Justiz bei Digitalisierung und KI?

Der bayerische Staatsminister für Justiz im New Lawyers Podcast

Zum ersten Mal live: Bei der Legal Tech Night in Berlin spricht Alisha Andert vor Publikum mit Georg Eisenreich, dem bayrischen Staatsminister für Justiz. Unter anderem geht es um die Digitalisierung der Justiz, um KI und Jura sowie um die Förderung von Legal Tech durch den Staat.

 

Als ehemaliger Staatsminister für Digitales kennt Georg Eisenreich die Herausforderungen der Digitalisierung – und deren Potenziale. Sein Ziel ist es, eine moderne, bürgernahe und leistungsfähige Justiz zu schaffen, welcher die Menschen vertrauen. Dazu müsse man auch die Chancen der Digitalisierung nutzen. Jeder nehme schließlich im Alltag digitale Dienste in Anspruch – und erwarte solche auch beim Staat.

Um in dieser Hinsicht voranzukommen, konzentriert sich das Ministerium auf zwei Zielrichtungen: Einerseits steht im Fokus, Innovationen in der Justiz selbst zu nutzen und dadurch effizienter, digitaler und zugänglicher zu werden. Andererseits gehe es um den rechtlichen Rahmen, um gesellschaftliche, rechtspolitische und ethische Fragen.

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Im New Lawyers Podcast fragen wir genau nach:

Der rechtliche Rahmen steht der Digitalisierung noch im Weg

Auch wenn wir die Ansprüche an eine digitale Justiz in Deutschland noch nicht erfüllen, befänden wir uns laut Eisenreich doch auf dem Weg dorthin. In den letzten Jahren wurde viel in die digitale Infrastruktur investiert: So wurde unter anderem ab 2022 der elektronische Rechtsverkehr eingeführt, ab 2026 wird die elektronische Akte Pflicht für alle Länder. Auch in Videoverhandlungen investierte der Staat.

Der Weg zur modernen Justiz gestaltet sich aber nicht ganz so einfach, wie man es sich erhoffen würde. Eisenreich weist auf die träge Verwaltung hin sowie auf die Tatsache, dass der Staat – im Gegensatz zur freien Wirtschaft – keine Konkurrenz hat. Beides führe dazu, dass die Digitalisierung nur langsam vorangeht.

Und dann ist da natürlich auch der rechtliche Rahmen, der beachtet werden muss und nicht viel Spielraum biete. Die Prozessordnungen seien schließlich für Papierakten gemacht worden. „[...] Man kann das Potential der Digitalisierung überhaupt nicht nutzen. Und deswegen bräuchten wir dringend eine große Reform, zum Beispiel des Zivilprozesses, und diese Reform lässt leider auf sich warten“, erklärt Eisenreich.

[...] Man kann das Potential der Digitalisierung überhaupt nicht nutzen. Und deswegen bräuchten wir dringend eine große Reform, zum Beispiel des Zivilprozesses, und diese Reform lässt leider auf sich warten.
- Georg Eisenreich

Projekte für mehr Innovation in der juristischen Branche

Trotzdem versprechen viele spannende Projekte eine Veränderung in der Justiz und in der juristischen Branche. Da ist zum Beispiel das Legal Tech Colab, das vom bayrischen Justizministerium ins Leben gerufen wurde – ein Start-up-Netzwerk, in dem Legal Tech Start-ups explizit gefördert werden und Zugang zu Expert:innen bekommen. Ebenso wurde eine Abteilung für Digitalisierung und Innovation im Ministerium eingerichtet. Diese unterstützt mithilfe von Legal Tech beispielsweise ein Projekt zur Anonymisierung von Urteilen, damit die Daten veröffentlicht und somit eine Datenbasis für kommende Projekte geschaffen werden kann.

Einen weiteren wichtigen Baustein sieht Eisenreich im Jurastudium. Viele Unis würden bereits Zusatzangebote wie Bachelor- und Masterstudiengänge und Zertifikate anbieten. Bayern hat sich zudem entschieden, im Referendariat das Berufsfeld IT-Recht und Legal Tech anzubieten.

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Nicht nur KI ist ein Tool, um Jurist:innen zu entlasten

Nicht fehlen darf in dem Gespräch natürlich das Thema, das momentan in aller Munde ist: künstliche Intelligenz. Eisenreich sieht große Chancen in KI, generative Sprachmodelle würden das Niveau in der Breite erhöhen und können auch von Bürger:innen genutzt werden. Gefahren und Risiken müssten jedoch im Blick behalten werden – vieles sei noch nicht geklärt und Handlungsempfehlungen sowie eine KI-Strategie seien momentan in Arbeit. Wichtig zu betonen ist es Eisenreich allerdings, dass es auch abseits von KI viele Möglichkeiten gibt, um Jurist:innen in Deutschland zu unterstützen und so dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.

 

Aus dem Publikum gab es ebenfalls Fragen an Georg Eisenreich: Möchtest du auch wissen, ob Rechtsberatung durch KI erlaubt sein sollte? Oder machst du dir Sorgen, dass die Justiz zu langsam ist, um mit der freien Wirtschaft mitzuhalten? Was Eisenreich dazu sagt, kannst du in dieser Folge des New Lawyers Podcasts von Talent Rocket hören!

Die Themen dieser Folge im Überblick:

 

  • Ab 04:20: Icebreaker-Frage: Was ist Ihr bester Party Tipp?
  • Ab 06:20: Was ist Ihre Vision der digitalen Justiz?
  • Ab 07:30: Wo sehen Sie ungenutzte Potenziale?
  • Ab 09:20: Tut sich die Justiz besonders schwer bei der Digitalisierung?
  • Ab 12:00: Welche Projekte wurden in Bayern umgesetzt?
  • Ab 14:20: Warum sollte sich der Staat für die Förderung von Legal Tech einsetzen?
  • Ab 16:00: Was wird sich durch KI verändern?
  • Ab 17:40: Gibt es schon konkrete Anwendungsfälle für KI?
  • Ab 20:30: Wie bereitet man die Rechtswelt auf die Zukunft vor?
  • Ab 22:20: Welchen Beitrag leistet die Politik?
  • Ab 24:30: Sollte Rechtsberatung durch KI erlaubt sein?
  • Ab 27:10: Ist die Justiz schnell genug, um mit dem freien Markt mitzuhalten?
  • Ab 28:00: Muss das Jurastudium reformiert werden?

Hier findest du das komplette Transkript der Folge mit Georg Eisenreich

Intro & Icebreaker

Alisha Andert: Heute darf ich einen ganz besonderen Gast ankündigen. Es ist Georg Eisenreich, er ist der bayerische Staatsminister der Justiz und zwar schon seit 2018. Zuvor war er außerdem auch schon mal Staatsminister für Digitales, was vielleicht auch erklärt, wo sein Fable für Legal Tech herkommt. Auf jeden Fall macht er überhaupt kein Geheimnis daraus, dass er ein großer Unterstützer der Digitalisierung des Rechtsmarktes ist, was uns natürlich besonders freut. Und er hat bereits einige spannende Projekte ins Leben gerufen, unter anderem, um nur eins zu nennen, das Legal Tech CoLab in Bayern, was ein Startup Netzwerk ist, wo wirklich Legal Tech Startups explizit gefördert werden. Das ist nur eins von vielen Projekten, ich bin mir sicher, wir werden das ein oder andere heute auch erfahren. Schön, dass Sie da sind, Herr Eisenreich. So, ich habe schon gesagt, es ist alles etwas anders heute hier, denn wir haben zum ersten Mal eine Live-Podcast-Aufnahme. Aber es gibt ein paar Dinge, die immer gleich sind beim Podcast. Wer ihn hört, weiß es. Und zwar gibt es immer mindestens eine Frage, die nicht abgesprochen war. Und zwar eine Icebreaker-Frage. Auch wenn es jetzt mit Ihnen gar nicht so notwendig ist, das Eis zu brechen. Wir haben uns ja schon ganz gut unterhalten. Traditionellerweise kommt die trotzdem. So, es sind ja gerade Wiesn. Und ich finde es auch ganz toll, dass trotzdem so viele Münchner es heute her geschafft haben. Das überrascht mich. Weil sie ja sicherlich da sehr geübt sind, habe ich mir gedacht, was will ich eigentlich schon immer mal von einem bayerischen Justizminister wissen. Und das ist, was ist ihr bester Party-Tipp?

Georg Eisenreich: Also erst einmal einen schönen guten Abend, liebe Frau Andert. Ich muss jetzt irgendwie Zeit schinden. Also für Party-Tipps bin ich, glaube ich, der wirklich falsche Ansprechpartner. Aber zur Wiesnzeit ist natürlich der beste Party-Tipp die Wiesn selber. Dass so viele Münchner da sind, liegt daran, dass dieses Jahr die Wiesn länger dauert. Normalerweise ist es am Sonntag zu Ende, diesmal geht sie bis Dienstag. Und deswegen kann man da auf jeden Fall einen Tag auf die Wiesn verzichten und nach Berlin fahren. Also während der Wiesn ist das beste bis 10:30 Uhr die Wiesn, dann schließen alle Zelte bis auf zwei, nämlich bis auf das Käferzelt und das Weinzelt. Da wollen dann allerdings alle hin, ist ein bisschen schwierig. Und dann ist die ganze Stadt im Grunde genommen offen. Jedes Lokal, jedes Wirtshaus, jede Disko, da kann man auch noch ganz viel Freude haben.


Vision einer digitalen Justiz

Alisha Andert: Okay, vielen Dank. Also wer noch spontan rüberfahren möchte, weiß jetzt auf jeden Fall, wo er hingehen soll. Wir werden heute in unserem Gespräch natürlich jetzt nicht nur über Party-Tipps und Wiesn sprechen, sondern vor allem uns mit der Digitalisierung des Rechtsbereichs auseinandersetzen. Und da möchte ich gerne mit Ihnen über Digitalisierung der Justiz sprechen, über Legal Tech und Förderung in Legal Tech und natürlich auch über das Thema künstliche Intelligenz, weil da kommt man ja nicht mehr dran vorbei heutzutage. Fangen wir doch mal vorne an mit der Digitalisierung der Justiz und auch mit so einer ganz kleinen humble Frage, sag ich mal. Für uns ist es natürlich ein wahnsinnig wichtiges rechtsstaatlich relevantes Thema. Was ist denn Ihre Vision der digitalen Justiz?

Georg Eisenreich: Also was ist denn das Ziel? Das Ziel ist, dass wir eine moderne, eine bürgernahe, eine leistungsfähige Justiz haben. Und die Menschen in unserem Land der Justiz vertrauen. Das sind eigentlich die grundlegenden Dinge. Also die Justiz muss funktionieren und die Menschen müssen der Justiz vertrauen. Deswegen ist zum Beispiel auch unser Motto der Bayerischen Justiz, die Justiz ist für die Menschen da. Und das ist ganz, ganz wichtig. Und zum Thema Leistungsfähigkeit, Bürgernähe, Modernität gehört natürlich auch, dass man die Chancen der Digitalisierung nutzt. Jeder nutzt in seinem Alltag digitale Werkzeuge, Smartphones und andere Dinge. Und möchte kostengünstig, zeitsparend Dienste in Anspruch nehmen. Und das erwartet man natürlich dann auch vom Staat, von der Verwaltung und damit auch von der Justiz. Und diesen Anspruch erfüllen wir in Deutschland noch nicht. Das muss man ganz klar sagen. Wir sind da auf dem Weg. Die einen etwas schneller, die anderen etwas langsamer. Aber wir haben noch einiges vor uns.

Alisha Andert: Ich glaube, das ist fair ausgedrückt. Wir sind noch nicht ganz da. Und von der Vision und was schön wäre, wollen wir natürlich auch ein bisschen direkt mal den Finger in die Wunde legen. Und mich würde mal interessieren, wo sehen Sie denn ungenutzte Potenziale heute, die vielleicht schon da sind, aber die wir einfach noch nicht ausreichend nutzen?

Georg Eisenreich: Also in den letzten Jahren ist ziemlich viel in die digitale Infrastruktur investiert worden. Es waren ja alle Länder verpflichtet, den elektronischen Rechtsverkehr einzuführen, was ein großer Fortschritt ist. Die Länder sind bis Ende 2025 verpflichtet, die elektronische Akte einzuführen. Das werden einige Länder schaffen, aber nicht alle. Das sind ganz riesige Investitionen. Wir haben dann auch noch viel in Videoverhandlungen gesteckt. Aber was natürlich fehlt, ist, dass wir den notwendigen rechtlichen Rahmen haben. Also wir haben ja ein ganz enges Korsett in der Justiz mit den Prozessordnungen. Und wenn die Prozessordnungen, die ZPO zum Beispiel - die ist für die Papierakte gemacht worden, wenn ich das mal zuspitze und nicht für die E-Akte und nicht für die Videoverhandlung - und es ändert sich dazu wenig, dann kann man natürlich schon einzelne Schritte in die digitale Welt überführen, aber man kann das Potenzial der Digitalisierung überhaupt nicht nutzen. Und deswegen bräuchten wir dringend eine große Reform, zum Beispiel des Zivilprozesses. Und diese Reform lässt leider auf sich warten.

Alisha Andert: Ja, das kann man so sagen. Sie haben gerade angesprochen, die E-Akte bis 2026. Ich erinnere mich, als ich das erste Mal von der E-Akte gehört habe oder von diesen Projekten. Das war irgendwie so um 2019, als ich mich angefangen habe, mit Legal Tech auseinanderzusetzen und war in einer Gruppe von Richterinnen und Richtern und einer Justizverwaltung. Und alle wurden ganz nervös bei diesem Datum 2026. Da guckt man aus der Wirtschaft so ein bisschen drauf und sagt, was genau ist das Problem. Vielleicht haben Sie ja da noch mal einen speziellen Blick darauf, da Sie, wie ich ja bereits gesagt habe, auch schon mal Digitalminister waren. Vielleicht haben Sie also auch noch mal außerhalb der Justiz Erfahrungen gesammelt. Tut sich die Justiz besonders schwer? Haben wir strukturelle Probleme, die dazu führen, dass es hier besonders kompliziert ist? Oder ist es eigentlich in den anderen Bereichen genauso?

Georg Eisenreich: Also zunächst einmal tut sich der Staat schwer. Da gibt es überhaupt keinen Unterschied zwischen Verwaltung und Justiz. Der Staat tut sich schwer. Warum? Weil der Staat nicht wie Unternehmen am Markt Konkurrenz hat. Es gibt halt nun mal nur einen Staat in Deutschland. Es gibt zwar übergeordnet einen Wettbewerb mit anderen Ländern in Europa, in der Welt, aber wirklich eine echte Konkurrenz in Deutschland gibt es nicht, es gibt nur einen, das ist ein riesen Unterschied. Und wir sind natürlich ganz eng an Gesetze gebunden, die einfach unseren Handlungsrahmen darstellen, oft natürlich auch entsprechend einengen. Dann kommt dazu, dass Verwaltung natürlich immer etwas träger ist. Auch die ganzen Verfahren, wie wir Dinge umsetzen müssen, das heißt, wir brauchen erst einmal das Geld. Dann Haushaltsverfahren, dann muss man anmelden, dann muss man das durchsetzen, bis dann der nächste Haushalt beschlossen ist und so weiter. Das sind einfach alles, ja auch aufgrund der Gesetzeslage, Prozesse, die einfach dauern. Ich bin Anwalt, Wirtschaftsanwalt, also eher ein Manager unter den Politikern. Und selbst wenn ich Dinge wirklich entscheide und wie ich Justizminister geworden bin, habe ich entschieden, nachdem ich das analysiert habe, dass wir eine Digitale Offensive in der Justiz brauchen, selbst dann dauert es einfach, bis man die Lage geklärt hat, bis man die Handlungsbedarfe hat, dann braucht man den entsprechenden Plan, dann braucht man die Finanzen. Da muss man sich natürlich überlegen, wie nimmt man die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit. Also muss man ganz, ganz viel Zeit investieren, um zu überzeugen. Weil wenn man Menschen einteilt beim Thema Digitalisierung, gibt es drei Gruppen. Die einen sind affin, die anderen sind überzeugbar, wenn es funktioniert, und die dritten warten auf die Rente. Die drei Bereiche, und die, die auf Pension und Rente warten, ist sowieso völlig hoffnungslos. Und den großen Teil, den man überzeugen kann, kostet Zeit, muss man mitnehmen, muss dann eben auch die ganze Technik funktionieren. Und jetzt nach viereinhalb Jahren haben wir einen wirklich guten Stand erreicht, sind da wirklich gut unterwegs. Elektronischer Rechtsverkehr ist eingeführt, E-Akte werden wir am Ende des Jahres bei den Zivilgerichten, jetzt mal im Großen und Ganzen mit durch sein, Videoverhandlungen sind dann allen Gerichten in Bayern möglich und natürlich haben wir das Thema Legal Tech und KI auch ganz oben auf der Agenda.


Umgesetzte und geplante Projekte im Bereich der Digitalisierung

Alisha Andert: Ja, man kann vielleicht doch sagen, dass etwas Wettbewerb auch in Deutschland, zumindest zwischen den Ländern herrscht, wenn man so darauf blicken möchte. Da muss man sagen, hat sich Bayern ja tatsächlich auch sehr hervorgetan. Können Sie mal vielleicht ein paar Projekte nennen, die Sie umgesetzt haben oder was gerade in Planung ist?

Georg Eisenreich: Vielleicht noch zum Verhältnis Bund-Länder, weil das wichtig ist. Also die Treiber der Digitalisierung in Deutschland sind die Länder und nicht der Bund. Das muss man dazu sagen und es ist leider eine nicht ganz glückliche Aufgabenteilung, weil den Rahmen macht der Bundesgesetzgeber mit den Bundesgesetzen, ZPO, STPO und so weiter. Aber die Dinge, die umsetzen und finanzieren, das sind die Länder und bis vor einem Jahr hat es zwischen Bund und Ländern, also dem Bundesjustizministerium und den Ländern überhaupt nicht funktioniert. Es gab einen riesen Streit, ich war letztes Jahr Vorsitzender der Justizministerkonferenz, da war ja dann auch eine Idee von mir, dass wir einen Digital-Gipfel Bund und Länder machen, da hatten wir jetzt dieses Jahr auch schon den ersten und ich hoffe, dass das jetzt insgesamt besser geworden ist. Ansonsten haben wir ganz viele Projekte im Bereich Legal Tech, also zunächst mal habe ich die Strukturen geändert, eine Stabstelle Legal Tech eingerichtet im Ministerium, inzwischen eine Abteilung Digitalisierung und Innovation, wo wir unsere Experten auch zusammengeführt haben und dann haben wir wirklich Projekte. Das eine ist, wir unterstützen zum einen die Anonymisierung von Urteilen, weil Legal Tech braucht eine Datenbasis, die Urteile sind da, nur können sie nicht veröffentlicht werden, wenn sie nicht auch anonymisiert oder pseudonymisiert sind, wenn man das per Hand oder durch Personen macht, ist es zu teuer. Darum haben wir auch nur diese niedrige Quote, also muss man schauen, dass man das mit Legal Tech schafft, da unterstützen wir ein Projekt. Dann geht es natürlich um die Sachbearbeitung. Wir wollen unsere Richter, Richterinnen, Staatsanwälte, Staatsanwältinnen unterstützen. Bei Massenverfahren, bei der Strukturierung von Sachverhalten, beim Herausfiltern von Metadaten, Textvergleichen, bei der Recherche. Da haben wir also Projekte. Und was auch so ein Lieblingskind von mir ist, ist natürlich unser Start-up-Projekt. Es entwickelt sich in den letzten Jahren einiges. Es gibt viele gute Ideen. Und dazu brauchen die Start-ups einfach ein Umfeld, wo sie finanziell unterstützt werden, Zugang zu Experten haben, Zugang zu einem Ökosystem. Und das habe ich letztes Jahr mit Unternehmertum gegründet, das Legal Tech CoLab. Gestern war der erste Geburtstag, einige waren ja da. Ein wirklich schöner Erfolg.

Alisha Andert: Das leitet sehr gut zum nächsten Themenbereich über, nämlich Förderung von Legal Tech, auch Investitionen in Legal Tech. Warum sollte aus Ihrer Sicht der Staat aktiv sich tatsächlich für die Förderung von Legal Tech-Unternehmungen, ich sage jetzt mal breit betrachtet, einsetzen? Welche Vorteile sehen die darin?

Georg Eisenreich: Ja, der Staat ist in vielen Bereichen Förderer. Also generell im ganzen Bereich der Wissenschaft, der Forschung, Innovation und natürlich auch der Wirtschaft. Und deswegen wäre eher die Frage, wieso nicht auch Legal Tech? Also das war im Grunde genommen eine Lücke. Und hier ist viel Innovationskraft und auf der anderen Seite ist da unfassbarer Bedarf. Also wenn man sich die Arbeit der Kanzleien anschaut, Rechtsabteilungen anschaut, auch der Justiz, dann ist da ein Riesenbedarf, zumindest mal zur Unterstützung von denen, die dort arbeiten. Da muss man auch gar nicht gleich zur KI kommen. Es gibt unterhalb von KI so viele Möglichkeiten, die die Arbeit von Anwälten, der Mitarbeiter in den Rechtsabteilungen der Justiz, einfach unterstützen. Dass sie effizienter werden, dass die Zeit besser genutzt wird. Und wenn man sich die demografische Entwicklung in Deutschland anschaut, dann ist es auch dringend notwendig, weil wir natürlich in allen Bereichen auch in einen Fachkräftemangel hineinlaufen. Also müssen diejenigen, die wir haben, bestmöglich unterstützt werden. Und jetzt haben Sie gesagt, es gibt unterhalb von KI alles Mögliche. Da bin ich 100 Prozent bei Ihnen. Es ist sogar fast ein bisschen anstrengend, wie sehr wir uns immer zu schnell auf künstliche Intelligenz als das zentrale Legal Tech-Thema stürzen. Ich glaube, wir wissen alle hier in diesem Raum, dass es wesentlich breiter ist. Und nichtsdestotrotz wollen wir über künstliche Intelligenz sprechen. Und zwar hat sich natürlich jetzt in den letzten Monaten dadurch noch mal einiges verändert. KI ist ja nicht neu, aber generative KI hat noch mal völlig neue Höhen erreicht, möchte ich mal sagen. Wie blicken Sie darauf? Was, glauben Sie, wird sich verändern für uns?

Georg Eisenreich: Ja, also wir sind da am Anfang einer neuen Ära, eines neuen Zeitalters. Anders kann man das gar nicht beschreiben. Vieles ist noch überhaupt nicht absehbar. Also wenn man sich jetzt anschaut, was sich jetzt in diesem einen Jahr seit ChatGPT auf den Markt gekommen ist, was sich da entwickelt hat. In einem Jahr! Natürlich gibt es immer auch einen Hype, aber auf der anderen Seite ist das ja auch wirklich hinterlegt, weil die Sprachqualität faszinierend ist. Man muss sagen, wirklich faszinierend, auch auf Deutsch. Man hätte meinen können, es kommt aus Amerika, dann sind die vielleicht nur in Englisch gut. Nein, die sind auch auf Deutsch wirklich ganz hervorragend. Und wir sind trotzdem am Anfang und wie so oft bei technologischen Entwicklungen, wird es große Chancen geben, also wir wollen die nutzen, wir haben dann eine sehr offene Haltung, auf der anderen Seite wird es natürlich auch Risiken und Gefahren geben und beides muss man im Blick haben, als Staat, als Justiz sowieso, aber wir wollen nutzen, dort wo es sinnvoll ist und auf der anderen Seite wird man dann auch sehen, wo es dann entsprechende Regulierungsbedarfe gibt und die wird es mit Sicherheit auch geben im Bereich Datenschutz, Persönlichkeitsrechte, Urheberrechte, also da ist vieles noch einfach nicht geklärt. Also wir sind momentan im Justizministerium dabei, zum einen Handlungsempfehlungen zu erarbeiten, weil wenn was auf dem Markt ist, dann braucht man sich nicht einbilden, dass das nicht genutzt wird, natürlich wird es genutzt, also muss man auch Handlungsempfehlungen geben und wir sind natürlich auch dabei eine KI-Strategie zu entwickeln.


Konkrete Anwendungsfälle für KI im juristischen Bereich

Alisha Andert: Sehen Sie auch schon ganz konkrete Anwendungsfälle und Potenziale, wo vielleicht mit Hilfe von künstlicher Intelligenz auch der Zugang zum Recht für Bürgerinnen und Bürger verbessert werden kann? Und wo sehen Sie vielleicht auch die Grenzen dafür?

Georg Eisenreich: Ja, also man muss sich klar sein, zunächst einmal werden diese generativen Sprachmodelle das Niveau in der Breite heben. Also das, was Sprachmodelle leisten können und das, was von jedem abgerufen werden kann, wird das neue Niveau sein und das wird natürlich viel, viel höher sein, als es bisher der Fall ist. Und ich war jetzt beim EDV-Gerichtstag in Saarbrücken, da habe ich das Beispiel auch genannt. Also angenommen, es gibt Streit zwischen einem Vermieter und einem Mieter. Dann kann sich der überlegen, zum Mieterverein zu gehen, einen Anwalt zu nehmen, alles irgendwie teuer. Aber der kann natürlich auch ChatGPT nutzen, dann bekommt der, ob es stimmt oder nicht, zumindest ein sprachlich gut formuliertes Schreiben und das ist dann in dieser Beziehung zwischen Mieter und Vermieter auf dem Markt und tut seinen Dienst, weil der andere muss sich auch beschäftigen, kennt dann die Rechtslage vielleicht auch nicht, überlegt sich, geht er zum Haus- und Grundbesitzerverein, es kostet einen Haufen Geld, der Anwalt kostet auch einen Haufen Geld und dann führt das vielleicht dazu, dass man sich dann einigt. Also das hat schon eine Wirkung, das heißt, das Niveau der Sprachmodelle ist das neue Niveau, das in der Breite abgerufen werden kann. Das heißt, es ist ein höheres Niveau, das wird nicht immer alles richtig sein, im Gegenteil, das ist auch das Problem, was sprachlich gut formuliert ist, aber Unsinn ist, hat leider auch eine große Wirkung, aber es ist halt einfach Unsinn. Deswegen brauchen wir Experten die dann am Ende auch wieder unterscheiden können. Und das könnte ein Problem sein, dass es in der Qualität von oben dazu führt, dass die abnimmt. Weil, wenn ein neuer Standard gesetzt wird, dann wirklich die Energie zu investieren, dass man den Experten hat, der prüft, was jetzt da stimmt und was nicht, wird man oft nicht immer haben oder nicht immer haben wollen. Aber zunächst mal hebt es das Niveau tatsächlich in der Breite.

Alisha Andert: Ich finde, man kann immer den Eindruck bekommen, wie ich gerade schon sagte, dass wirklich sich alles um KI dreht und auf einmal Organisationen oder auch Unternehmen, auch gerne mal der Staat, der einerseits irgendwie noch damit kämpft, das WLAN einzurichten, auf der anderen Seite schon immer direkt ganz weit vorne mit dabei ist, wenn es um KI geht und Robo-Judges und Robo-Lawyers und alles ist Robo. Dazwischen ist ja eine ganz, ganz große Lücke zwischen dem, was tatsächlich draußen ist und was mit KI eventuell irgendwann mal möglich wäre und ich würde jetzt mal vielleicht so breit sagen, nicht nur KI, sondern generell eben mit Technologie und Digitalisierung. Und mein Eindruck ist immer, dass wir da noch ganz, ganz, ganz weit weg sind und ich frage mich, was muss denn passieren? Also wie bereitet man denn diese Rechtswelt, die teilweise noch gar nicht verstanden hat, dass sie davon auch noch ganz, ganz weit weg ist, wie bereitet man die denn mal darauf vor, realistisch?

Georg Eisenreich: Also bevor wir jetzt dazu kommen, dass perfekte Schriftstätze von Anwälten durch KI gemacht werden oder Urteile, was nicht passieren wird, weil am Ende Menschen immer entscheiden müssen, gibt es unterhalb von KI noch so unglaublich viele Möglichkeiten, dass wir die erst einmal nutzen sollten, beziehungsweise dann KI in den Bereichen, wo es Sinn macht, zum Beispiel bei der Recherche, bei Textvergleichen, bei Textstrukturierungen, also zur Unterstützung von denen, die arbeiten, einzusetzen. Genau, ein Teil beschäftigt sich mit diesen Zukunftsthemen, der größere Teil ahnt, dass da irgendwas kommen wird, hat irgendwie eine vage Ahnung, aber jetzt keine vertiefte Kenntnis und ein Teil ist da völlig unbeleckt von diesen Themen. Das ist ja immer so. Aber das bedeutet natürlich, dass wir frühzeitig auch im Studium, in der Ausbildung, Referendariat, alle sich mit diesem Thema beschäftigen müssen. Die Welt zum Teil oder größeren Teil von heute, aber zumindest von morgen, ist digital. Also muss ich mich da auch entsprechend bewegen können, weil das natürlich auch das Marktumfeld sein wird, auch der Wettbewerb. Und diejenigen, die das nutzen können, sinnvoll einsetzen können, haben natürlich einen Vorteil gegenüber anderen. Aus meiner Sicht wird das auch einen Kostendruck auf dem Anwaltsmarkt, in der Anwaltsberatung zur Folge haben. Und wer sich nicht beschäftigt hat, natürlich ganz schwere Nachteile. Die Mandanten werden auch entscheiden. Wenn jemand gute Ergebnisse bringt mit Einsatz von KI und der braucht dann zwei Stunden und ein anderer braucht acht Stunden, der wird nicht mehr bereit sein, die sechs Stunden mehr zu zahlen.

Alisha Andert: Ja, wir denken die ganze Zeit, irgendwann muss dieser Punkt ja mal kommen und irgendwann wird er wahrscheinlich auch kommen.

Georg Eisenreich: Ja, das wird ein Prozess sein.

Alisha Andert: Und welche Rolle sehen Sie da für sich als Politiker oder für die Politik generell? Was ist Ihr Beitrag dazu, diese Lücke zu schließen?

Georg Eisenreich: Also, wir haben verschiedene Handlungsfelder. Der eine ist zunächst einmal der eigene Bereich Justiz. Das heißt, wir beschäftigen uns mit zwei Zielrichtungen. Wo können wir selbst nutzen? Wo können wir besser werden, effizienter werden, digitaler werden? Wo können wir den Zugang zum Recht erleichtern? Das ist ein ganz wichtiges Thema, das viele Menschen bei uns im Land einfach eine Scheu haben, auch die Justizanwälte in Anspruch zu nehmen, weil es eine andere Welt ist, weil Kosten ausgelöst werden. Also hier einen niederschwelligeren Zugang zum Recht zu schaffen, ist ja auch ein großer Anspruch des Staates. Also wir wollen nützen, wir wollen besser werden. Auf der anderen Seite geht es immer auch um den rechtlichen Rahmen, weil hier geht es nicht nur um wirtschaftliche Themen, sondern auch um gesellschaftliche, rechtspolitische, ethische Themen. Eine Gesellschaft muss entscheiden, was sie möchte, was sie nicht möchte. Also geht es um das Thema natürlich Regulierung. Und es geht darum, besser zu werden, digitaler zu werden, die Chancen der Digitalisierung zu nutzen. Und deswegen sind wir da eben als Förderer und Unterstützer auch unterwegs.


Outro

Alisha Andert: Herr Eisenreich, ich möchte mich bei Ihnen bedanken, dass Sie heute bei der allerersten Legal Tech Night und bei der allerersten Live-Podcast-Aufnahme dabei waren. Ich glaube, es hätte kaum einen besseren Gast geben können für diese Themen, für diese auch politische Veranstaltung heute. Ich möchte mich ganz herzlich bei Ihnen bedanken und wünsche Ihnen viel Spaß heute Abend noch. Ich hoffe, Sie bleiben noch auf den ein oder anderen Drink, auch wenn wir den Partytip nur in München anwenden können.

Georg Eisenreich: Vielen Dank für die Einladung, bin gern gekommen.


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Laura Hörner
Kulturwirtschaft Uni Passau

Als freie Autorin schreibt Laura Hörner bei TalentRocket über Themen rund um die juristische Karriere. Besonders interessiert sie sich dabei für die vielfältigen Karrierewege, die Jurist:innen offenstehen.