Alisha: Du hast im Legal Tech-Bereich angefangen, nachdem du Juristin geworden warst. Und zwar hast du bei „Weniger Miete“ oder CONNY, wie das heute heißt, auch gearbeitet. Wie bist du denn in den Bereich eigentlich reingekommen?
Josephine: Ja, das war etwas durch einen Zufall oder einen Unfall, könnte man auch fast sagen. Denn eigentlich war mein Plan, nach dem Studium und dem Referendariat immer, Strafverteidigerin zu sein. Dieses Wege war ich mir auch relativ sicher. Und dann kam das Leben gewissermaßen dazwischen. Nämlich ein Erstversuch im zweiten Examen, der nicht unbedingt eine repräsentative Note hervorgebracht hat. Und gleichzeitig das Problem, dass während des Wartens auf die Noten nach dem Verbesserungsversuch und dann die mündliche Prüfung, ich durchaus gezwungen war, Erwerbsarbeit nachzugehen. Und da ich jetzt nicht die ganze Stadt mit Bewerbungen fluten wollte, die eine ja hoffentlich noch verbesserungsfähige Note vorweisen, habe ich mich einfach durchgefragt und bin auf dieses wahnsinnig spannende Thema Legal Tech und Verbraucherrecht gestoßen und dachte dann, ach na ja, ich probier's einfach mal aus, dümmer werden kann ich dabei nicht. Und dann hat es mich doch schon ganz schön gecatcht, weswegen ich einfach dabei geblieben bin.
Alisha: Es ist ja auch total spannend und ehrlich gesagt, so weit entfernt ist es, finde ich, von einer Strafverteidigung gar nicht, ne? Also, wo siehst du die Gemeinsamkeiten? Vielleicht sind das gar nicht die gleichen, die ich jetzt gerade sehe, aber was ist so das, was du da als Connector siehst?
Josephine: Es gibt auf jeden Fall Gemeinsamkeiten, wenn man sich die strukturelle Ebene des Ganzen anguckt. Es geht im Kern des Ganzen um Zugang zum Recht. Und Recht ist nun mal etwas, was vom Staat gegenüber den Bürger:innen ausgeübt wird. Das heißt, man hat kleine Menschen, normale Menschen, wie man vielleicht sagen würde, die einem übermächtigen Staat ausgesetzt sind, im Strafrecht und im Legal Tech -Bereich, im Verbraucherrechte-Bereich hat man häufig Situationen, natürlich nicht ausschließlich, aber doch oft, und bei „Weniger Miete“ war es auf jeden Fall der Fall, wo eben Menschen großen Konzernen ausgeliefert sind, was strukturell doch schon ähnlich ist und wo sie oft das Gefühl haben, ohnmächtig zu sein und ihre Rechte überhaupt nicht durchsetzen zu können, weil sie es faktisch auch nicht können, zumindest nicht unter zumutbaren Bedingungen.
Alisha: Ja, absolut. Das hätte ich nämlich auch so gesehen, dass man eigentlich ein ungleiches Kräfteverhältnis hat in diesen Bereichen und man vielleicht dafür sorgen möchte, dass es wieder ein bisschen ausgeglichener wird. Vielleicht musst du aber mal kurz erläutern, was „Weniger Miete“, die heute CONNY heißen, eigentlich machen.
Josephine: Ja, jetzt machen sie mittlerweile viel mehr. Als ich dort angefangen habe, ging es vor allem noch ausschließlich um die Durchsetzung von Rechten von Mieter:innen und auch am Rande um teilweise arbeitsrechtliche Themen oder Internetgeschwindigkeit, aber vor allem hatten wir den Fokus auf der Mietpreisbremse und anderen Mieter:innenrechten, die durchgesetzt werden müssen gegen große Konzerne, gegen übermächtige Firmen, die einfach in Berlin und in ganz Deutschland viel zu hohe Mieten berechnen und zwar gesetzwidrig hohe Mieten und Menschen, die Angst haben, gegen ihre Vermieter:innen vorzugehen, weil sie einfach Angst haben, ihre Wohnung zu verlieren und auf der Straße zu sitzen. Denn wenn man in Berlin oder in anderen Städten wohnt, dann ist der größte Albtraum, auf der Straße zu sitzen und eine neue Wohnung suchen zu müssen.
Alisha: Absolut, ich glaube, das können auch alle Leute, die in großen Städten wohnen, absolut nachempfinden. Man muss sagen, „Weniger Miete“ ist tatsächlich eins der erfolgreichsten Verbraucher-Legal Tech-Unternehmen, die es überhaupt gibt und haben unter anderem dafür gesorgt, dass die meisten Fälle, was diese Mietpreisbremse angeht, die vor Gericht verhandelt wurden, das ist ja immer vor den Amtsgerichten, dass die tatsächlich über „Weniger Miete“ gelaufen sind. Also das muss man sich mal vorstellen. Die haben einen wahnsinnigen Marktanteil, wenn man das so sagen möchte, da tatsächlich für sich gewinnen können. Was war das für eine Zeit? Was hast du für Learnings und Erfahrungen aus dieser Zeit mitnehmen können?
Josephine: Darauf habe ich natürlich eine persönliche Perspektive und eine fachliche Perspektive. Vielleicht erst mal aus persönlicher Sicht war es natürlich für mich eine etwas absurde Situation. Ich hatte gerade meine Anwaltszulassung in den Händen gehalten und wurde dann schon zu unfassbar vielen Terminen eingeladen. Ich glaube, ich hatte bestimmt 200, 300 Gerichtstermine in zwei Jahren, die ich dort alleine war.
Alisha: Sagen wir also mal direkt auf jeden Fall sehr viele Litigation-Erfahrungen.
Josephine: Auf jeden Fall. Also die ZPO konnte ich danach rauf- und runterbeten. Und natürlich auch in solchen Massenverfahren passieren auch immer wieder unvorhergesehene Konstellationen, mit denen man so erst mal nicht gerechnet hat und wo man dann lernen muss, spontan mit umzugehen. Und da saß ich dann mit den Anwältinnen der großen Wohnungskonzerne, die irgendwie schon seit Jahrzehnten Fachanwaltstitel haben und musste mich irgendwie behaupten. Und das war natürlich auch ein Lernprozess für mich. Wir haben uns häufig verglichen. Da gibt es natürlich auch viel Spielraum. Manchmal bin ich rausgegangen und dachte, haben die mich gerade über den Tisch gezogen? Dann habe ich mich da ein bisschen aufgeschlaut und bin besser geworden. Das hat auf jeden Fall viel Spaß gemacht. Ja, so auf der fachlichen Ebene kann ich sagen, dass es eine total interessante Zeit war, wo auch ich das Gefühl hatte, dass da ganz viel im Wandel ist. Nicht nur, was die Durchsetzung von Verbraucherrechten angeht und die Durchsetzung von Mietpreisbremsenrechten, sondern eben vor allem auch, wie Rechtsdienstleistungen in unserer Gesellschaft betrachtet werden. Wir standen da gegenüber einer sehr doch häufig konservativen Anwaltschaft, die sehr skeptisch war, um es mal vorsichtig zu formulieren, was da eigentlich passiert mit diesen Inkassofirmen, die jetzt Verbraucherrechte durchsetzen. Und gleichzeitig aber auch diesen Bedarf, den niemand von der Hand weisen konnte, weil die Mieten einfach zu hoch waren, und das massenhaft. Und die meisten Fälle einfach gewonnen wurden. Und zwar auch nicht mit einer Mietsenkung von mal zehn Euro im Monat, sondern mit 300 Euro, 200 Euro und manchmal sogar mehr. Es gab Fälle, wo die Leute 500, 600 Euro zu viel Miete gezahlt haben. Und Miete ist der größte Kostenblock in unserer Gesellschaft, gerade in Berlin, wo Mieten einen hohen gesellschaftlichen Wert hat. Und da hat man natürlich einerseits gemerkt, wofür man's macht. Diese Frage hab ich mir nie stellen müssen. Und gleichzeitig hat man eben auch gesehen, dass wir Zugang zum Recht ganz neu denken müssen in Deutschland, wenn wir wollen, dass Menschen unter zumutbaren Bedingungen vor Gerichte gehen können.
Alisha: Absolut, das ist natürlich der viel, viel größere Aspekt, der dahinter steckt und einem persönlich natürlich einen großen Purpose einfach mitliefert bei so einer Tätigkeit, die du auf jeden Fall dort hattest. Und ich kann aus meiner Zeit bei Flight Right natürlich auch berichten. Das waren die ähnlichen Diskussionen, die es da gab. Ist das jetzt eine richtige Rechtsdienstleistung? Ist das okay, dass es jetzt auf einmal andere Anbieter gibt in dem Markt, die eben nicht Kanzleien sind und die das anders machen, aber eben, wie du sagst, nicht von der Hand zu weisen, damit sehr, sehr erfolgreich sind und deswegen auch tatsächlich einer großen Gruppe von Menschen wirklich besseren Zugang zum Recht gewährt haben und wo man dann eigentlich auch nicht mehr richtig dagegen argumentieren könnte. Und ich finde, wenn man jetzt draufguckt, es ist ja auch schon ein paar Jahre her, hat sich da auch tatsächlich was massiv verändert. Also es wird ganz anders drauf geblickt und die Unternehmen in diesem Bereich und diese Art von Rechtsdienstleistung ist etabliert, glaube ich, kann man heute tatsächlich sagen.
Josephine: Auf jeden Fall. Und es freut mich auch zu sehen, dass es in so vielen Bereichen funktioniert, auch gegen den Widerstand der Anwaltschaft und von anderen Institutionen. Ich war dabei, als damals die erste BGH-Rechtsprechung zu diesen Themen generiert wurde. Es war eine wahnsinnig spannende Zeit, wo natürlich auch viel Unsicherheit da war. Wird das gehalten oder nicht? Was darf man eigentlich? Und ich meine, der Gesetzgeber hat ja auch reagiert. Es gab mittlerweile zwei sogenannte Legal Tech Gesetze, Novellen des Rechtsdienstleistungsgesetzes, die nach und nach für eine Öffnung der Anwaltschaft und des ganzen Rechtsdienstleistungsmarktes sorgen. Da sind wir sicherlich noch nicht am Ende, aber es hat auf jeden Fall viel bewirkt.