Die Geschäftsführerin von Hate Aid im New Lawyers Podcast

Verfasst von Laura Hörner|Veröffentlicht am 14.02.2024

Josephine Ballon – Gefährdet Hass im Internet die Demokratie?

Die Geschäftsführerin von HateAid im New Lawyers Podcast

Als Rechtsanwältin und Geschäftsführerin bei HateAid ist Josephine Ballon Expertin beim Thema Hasskriminalität im Internet. In dieser Podcastfolge spricht sie mit Alisha Andert unter anderem darüber, wie gefährlich Hass im Internet für die Gesellschaft ist und wie HateAid Betroffene unterstützt. Zudem gibt sie Einblicke in ihren eigenen Karriereweg.

 

Der einzelne Mensch fühlt sich oft nicht in der Lage, sich juristisch zu verteidigen – sei es gegen große Konzerne oder gegen Täter:innen im Internet. Als ehemalige Mitarbeiterin von CONNY (früher Wenigermiete) und heute Geschäftsführerin bei HateAid kennt Josephine Ballon die Probleme der Betroffenen genau.

Ballons Karriere begann bei CONNY, einem Unternehmen, das sich damals vor allem auf die Durchsetzung der Rechte von Mieter:innen spezialisiert hatte. Mit diesem Konzept war CONNY ein Vorreiter und zeigte, dass man den Zugang zum Recht überdenken muss – heute hat sich diese Form der Rechtsdienstleistung etabliert. Für Ballon war der erste Job nach Erhalt ihrer Zulassung ein herausfordernder Lernprozess, bei dem für sie auch der soziale Aspekt und die Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit eine wichtige Rolle spielten.

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Der Wechsel zu HateAid: Arbeit mit Sinn

Diese soziale Komponente ist immer noch ein wichtiger Teil von Ballons Arbeit – heute vielleicht noch mehr als zuvor. Durch einen Zufall kam sie zu HateAid, dessen Mitgründer sie bei einer Veranstaltung wiedergetroffen hatte. Bereits während ihres Referendariats hatte sie sich ehrenamtlich gegen Hass im Internet engagiert und so entschied sie sich, zu dem Start-up, das damals noch in den Kinderschuhen steckte, zu wechseln.

Als gemeinnützige Organisation verteidigt HateAid auf vielen Ebenen Menschenrechte im Internet. Unter anderem bietet es Prozesskostenhilfe an, aber auch psychosoziale Betroffenenberatung und Bedarfsvermittlung ist Teil des umfangreichen Angebots. HateAid hilft etwa bei der Stellung von Strafanzeigen, beim Melden von Inhalten, bei der Beweissicherung und vermittelt für die Rechtsdurchsetzung an externe Kanzleien.

Wichtig ist für HateAid aber auch die Öffentlichkeitsarbeit. Denn es geht der Organisation nicht nur um die Unterstützung einzelner Personen, sondern auch um strukturelle Veränderungen. So sensibilisiert HateAid in Workshops die Justiz und die Polizei und ist auch politisch aktiv, zum Beispiel durch die Veröffentlichung von Stellungnahmen.

Auch Jurist:innen können sich sozial oder politisch engagieren

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Hass im Internet geht uns alle etwas an

Hasskriminalität im Internet hat in den letzten Jahren viel Aufmerksamkeit erfahren – beispielsweise durch die Ermordung des Kassler Regierungspräsidenten Walter Lübcke oder durch diverse Entführungspläne, die online geteilt wurden. Das war nicht immer so, sagt Ballon: „Als HateAid angefangen hat, war tatsächlich das Internet vielleicht kein rechtsfreier Raum, aber auf jeden Fall ein rechtsdurchsetzungsfreier.“

Wichtig ist es Ballon auch, zu betonen, dass es sich bei Hass im Internet um ein Thema handelt, das uns alle etwas angeht. Und zwar unabhängig davon, ob wir persönlich betroffen sind. Denn Studien zeigen, dass solche Taten auch auf Mitlesende eine Wirkung haben. „Digitale Gewalt ist eine Gefahr für die Meinungsvielfalt, vor allem aber auch für die Meinungsfreiheit und somit leider auch für unsere gesamte Demokratie“, erklärt Ballon. Politisch motivierte Gruppierungen greifen online nicht nur Menschen aus marginalisierten Gruppen an, sondern auch Journalist:innen, Politiker:innen und andere Menschen, die sich für gesellschaftlich relevante Themen stark machen. Viele davon ziehen sich dann aus Angst zurück – auch die Mitlesenden.

Digitale Gewalt ist eine Gefahr für die Meinungsvielfalt, vor allem aber auch für die Meinungsfreiheit und somit leider auch für unsere gesamte Demokratie.
- Josephine Ballon

Es ist also offensichtlich, dass das Internet kein „rechtsdurchsetzungsfreier“ Raum bleiben darf. Das werde mittlerweile auch von der Politik gesehen, in der Vergangenheit wurde hier aber sehr viel verpasst. Zum Beispiel auch in Hinblick darauf, wie man soziale Netzwerke zur Verantwortung ziehen kann.

Der Fall Renate Künast

Hilfe können bei HateAid alle bekommen, die von Hasskriminalität im Internet betroffen sind. Besonders viel Aufmerksamkeit erhalten jedoch Fälle, bei denen Prominente mit der Organisation zusammenarbeiten. Einer dieser Fälle ist der von Renate Künast, die von HateAid schon fast seit der Gründung unterstützt wird. Als Grünen-Politikerin hat äußert sie sich oft gegen Rechtsextremismus und erfährt als Reaktion darauf viele Beschimpfungen und sexualisierte Beleidigungen.

Künast setzt sich selbst gegen Hass im Internet ein. Sogar ein Buch hat sie darüber geschrieben – und ein paar ihrer „Hater“ zuhause besucht. Zusammen mit HateAid ist sie juristisch gegen die Angriffe gegen sie vorgegangen. Sie klagte vor dem Landgericht Berlin auf die Herausgabe der Daten von Accountinhaber:innen. Überraschenderweise stufte das Gericht jedoch keinen der Kommentare als rechtswidrig ein.

Der Fall ging schließlich bis vor das Bundesverfassungsgericht, wo Künast letztendlich recht gegeben wurde – auch für HateAid ein riesiger Erfolg. Künast gab mit ihrem Fall der Republik und der Staatsanwalt Handlungsanweisungen an die Hand, wie eine Abwägungsentscheidung bei der Beurteilung von Beleidigungsdelikten im Internet zu passieren hat. Das Bundesverfassungsgericht wiederum machte klar, dass man politisches Engagement in Deutschland nur dann erwarten könne, wenn wir auch die Rechte von Politiker:innen schützen.

 

Du möchtest mehr über Josephine Ballons Rolle als Geschäftsführerin bei HateAid erfahren? Oder du willst wissen, wem sie einen Job bei einer NGO empfehlen würde? Dann hör doch mal rein in diese Folge des New Lawyers Podcasts!

Die Themen dieser Folge im Überblick:

 

  • Ab 01:49: Icebreaker-Frage: Wie würde sich dein Alltag verändern, wenn du sehr reich wärst?
  • Ab 03:36: Wie bist du zu CONNY gekommen?
  • Ab 05:56: Was macht CONNY?
  • Ab 07:23: Was hast du während deiner Zeit bei CONNY gelernt?
  • Ab 11:51: Der Wechsel zu HateAid: Wie kam es dazu?
  • Ab 13:10: Was macht HateAid?
  • Ab 15:23: Was läuft schief bei Hasskriminalität im Internet?
  • Ab 19:07: Warum sollten wir uns mehr für Hasskriminalität im Internet interessieren?
  • Ab 22:11: Wie sieht eure Arbeit mit Betroffenen aus?
  • Ab 24:57: Der Fall Renate Künast
  • Ab 29:26: Wie sieht eure politische Arbeit aus?
  • Ab 32:23: Deine Rolle als Geschäftsführerin
  • Ab 35:31: Wem würdest du die Arbeit bei einer NGO empfehlen?

Hier findet ihr das komplette Transskript der Folge mit Josephine Ballon

Intro & Icebreaker

 

Alisha Andert: Josephine Ballon ist Rechtsanwältin und Geschäftsführerin bei der gemeinnützigen GmbH Hate Aid, die sich gegen Hasskriminalität im Netz einsetzt. Wie sie vom Legal Tech im Verbraucherrecht zu Hate Aid kam und was sich für sie verändert hat, seitdem sie Geschäftsführerin ist, darüber werden wir heute sprechen. Schön, dass du da bist, Josephine Ballon.

Josephine Ballon: Hallo, freut mich.

Alisha: Ja, und wir starten immer mit einer Icebreaker-Frage und die habe ich diesmal geklaut aus unserem wöchentlichen Check-In, weil das ist Legal Design, die hat nämlich mein Mitgründer gefragt und ich fand die eigentlich ganz nett und die hat bei uns dazu geführt, dass wir erstmal so eine halbe Stunde sinniert haben und am Ende festgestellt haben, okay, wenn das eintritt, dann werden wir uns wahrscheinlich alle nie wieder sehen. Das war eigentlich ein bisschen traurig. So, pass auf, folgende Icebreaker -Frage war, wenn du sehr reich wärst - und ich gehe jetzt einfach mal davon aus, dass du es heute nicht bist - also sehr, sehr reich, wie würde sich dein Alltag dann verändern, also was würde da anders aussehen?

Josephine: Das ist eine sehr gute Frage, darüber könnte ich jetzt auch eine halbe Stunde sinnieren. Ich vermute ehrlich gesagt, dass ich gar nicht allzu viel bei mir verändern würde. Ich vermute, ich würde weniger Zeit mit Essens -Zubereitung verbringen, denn ich bin ganz schlecht im Kochen und esse furchtbar gerne und habe auch immer wenig Zeit. Das heißt, das wäre wirklich was, was ich extrem gerne mehr auslagern würde.

Alisha: Aber das ist eine sehr, sehr gute Antwort und die ist auch viel kollegenfreundlicher als das, was bei uns kam, als wir alle gesagt haben, ich glaube, ich würde ein bisschen weniger arbeiten, ich hätte wahrscheinlich ein Haus da und da und dann haben wir festgestellt, dass wir alle auf fünf verschiedenen Kontinenten leben würden mit unseren neuen Immobilien und ja, da hatten wir dann eigentlich Schade, weil wir arbeiten super gerne zusammen.

Josephine: Also das Problem habe ich tatsächlich nicht. Ich würde auf jeden Fall meinen Job weitermachen, genau so bisher.

Alisha: Das ist doch schon mal ein guter Einstieg in das ganze Thema und das muss ich natürlich auch noch mal sagen, auch meinen Mitgründern und meinem Team gegenüber, natürlich würden wir alle weiter miteinander arbeiten wollen, aber eventuell würden wir es aus Kapstadt und aus der Türkei und aus irgendwo heraus in Australien machen. So und jetzt schauen wir einmal auf deinen beruflichen Weg.


Werdegang und Aufgaben bei CONNY

 

Alisha: Du hast im Legal Tech-Bereich angefangen, nachdem du Juristin geworden warst. Und zwar hast du bei „Weniger Miete“ oder CONNY, wie das heute heißt, auch gearbeitet. Wie bist du denn in den Bereich eigentlich reingekommen?

Josephine: Ja, das war etwas durch einen Zufall oder einen Unfall, könnte man auch fast sagen. Denn eigentlich war mein Plan, nach dem Studium und dem Referendariat immer, Strafverteidigerin zu sein. Dieses Wege war ich mir auch relativ sicher. Und dann kam das Leben gewissermaßen dazwischen. Nämlich ein Erstversuch im zweiten Examen, der nicht unbedingt eine repräsentative Note hervorgebracht hat. Und gleichzeitig das Problem, dass während des Wartens auf die Noten nach dem Verbesserungsversuch und dann die mündliche Prüfung, ich durchaus gezwungen war, Erwerbsarbeit nachzugehen. Und da ich jetzt nicht die ganze Stadt mit Bewerbungen fluten wollte, die eine ja hoffentlich noch verbesserungsfähige Note vorweisen, habe ich mich einfach durchgefragt und bin auf dieses wahnsinnig spannende Thema Legal Tech und Verbraucherrecht gestoßen und dachte dann, ach na ja, ich probier's einfach mal aus, dümmer werden kann ich dabei nicht. Und dann hat es mich doch schon ganz schön gecatcht, weswegen ich einfach dabei geblieben bin.

Alisha: Es ist ja auch total spannend und ehrlich gesagt, so weit entfernt ist es, finde ich, von einer Strafverteidigung gar nicht, ne? Also, wo siehst du die Gemeinsamkeiten? Vielleicht sind das gar nicht die gleichen, die ich jetzt gerade sehe, aber was ist so das, was du da als Connector siehst?

Josephine: Es gibt auf jeden Fall Gemeinsamkeiten, wenn man sich die strukturelle Ebene des Ganzen anguckt. Es geht im Kern des Ganzen um Zugang zum Recht. Und Recht ist nun mal etwas, was vom Staat gegenüber den Bürger:innen ausgeübt wird. Das heißt, man hat kleine Menschen, normale Menschen, wie man vielleicht sagen würde, die einem übermächtigen Staat ausgesetzt sind, im Strafrecht und im Legal Tech -Bereich, im Verbraucherrechte-Bereich hat man häufig Situationen, natürlich nicht ausschließlich, aber doch oft, und bei „Weniger Miete“ war es auf jeden Fall der Fall, wo eben Menschen großen Konzernen ausgeliefert sind, was strukturell doch schon ähnlich ist und wo sie oft das Gefühl haben, ohnmächtig zu sein und ihre Rechte überhaupt nicht durchsetzen zu können, weil sie es faktisch auch nicht können, zumindest nicht unter zumutbaren Bedingungen.

Alisha: Ja, absolut. Das hätte ich nämlich auch so gesehen, dass man eigentlich ein ungleiches Kräfteverhältnis hat in diesen Bereichen und man vielleicht dafür sorgen möchte, dass es wieder ein bisschen ausgeglichener wird. Vielleicht musst du aber mal kurz erläutern, was „Weniger Miete“, die heute CONNY heißen, eigentlich machen.

Josephine: Ja, jetzt machen sie mittlerweile viel mehr. Als ich dort angefangen habe, ging es vor allem noch ausschließlich um die Durchsetzung von Rechten von Mieter:innen und auch am Rande um teilweise arbeitsrechtliche Themen oder Internetgeschwindigkeit, aber vor allem hatten wir den Fokus auf der Mietpreisbremse und anderen Mieter:innenrechten, die durchgesetzt werden müssen gegen große Konzerne, gegen übermächtige Firmen, die einfach in Berlin und in ganz Deutschland viel zu hohe Mieten berechnen und zwar gesetzwidrig hohe Mieten und Menschen, die Angst haben, gegen ihre Vermieter:innen vorzugehen, weil sie einfach Angst haben, ihre Wohnung zu verlieren und auf der Straße zu sitzen. Denn wenn man in Berlin oder in anderen Städten wohnt, dann ist der größte Albtraum, auf der Straße zu sitzen und eine neue Wohnung suchen zu müssen.

Alisha: Absolut, ich glaube, das können auch alle Leute, die in großen Städten wohnen, absolut nachempfinden. Man muss sagen, „Weniger Miete“ ist tatsächlich eins der erfolgreichsten Verbraucher-Legal Tech-Unternehmen, die es überhaupt gibt und haben unter anderem dafür gesorgt, dass die meisten Fälle, was diese Mietpreisbremse angeht, die vor Gericht verhandelt wurden, das ist ja immer vor den Amtsgerichten, dass die tatsächlich über „Weniger Miete“ gelaufen sind. Also das muss man sich mal vorstellen. Die haben einen wahnsinnigen Marktanteil, wenn man das so sagen möchte, da tatsächlich für sich gewinnen können. Was war das für eine Zeit? Was hast du für Learnings und Erfahrungen aus dieser Zeit mitnehmen können?

Josephine: Darauf habe ich natürlich eine persönliche Perspektive und eine fachliche Perspektive. Vielleicht erst mal aus persönlicher Sicht war es natürlich für mich eine etwas absurde Situation. Ich hatte gerade meine Anwaltszulassung in den Händen gehalten und wurde dann schon zu unfassbar vielen Terminen eingeladen. Ich glaube, ich hatte bestimmt 200, 300 Gerichtstermine in zwei Jahren, die ich dort alleine war.

Alisha: Sagen wir also mal direkt auf jeden Fall sehr viele Litigation-Erfahrungen.

Josephine: Auf jeden Fall. Also die ZPO konnte ich danach rauf- und runterbeten. Und natürlich auch in solchen Massenverfahren passieren auch immer wieder unvorhergesehene Konstellationen, mit denen man so erst mal nicht gerechnet hat und wo man dann lernen muss, spontan mit umzugehen. Und da saß ich dann mit den Anwältinnen der großen Wohnungskonzerne, die irgendwie schon seit Jahrzehnten Fachanwaltstitel haben und musste mich irgendwie behaupten. Und das war natürlich auch ein Lernprozess für mich. Wir haben uns häufig verglichen. Da gibt es natürlich auch viel Spielraum. Manchmal bin ich rausgegangen und dachte, haben die mich gerade über den Tisch gezogen? Dann habe ich mich da ein bisschen aufgeschlaut und bin besser geworden. Das hat auf jeden Fall viel Spaß gemacht. Ja, so auf der fachlichen Ebene kann ich sagen, dass es eine total interessante Zeit war, wo auch ich das Gefühl hatte, dass da ganz viel im Wandel ist. Nicht nur, was die Durchsetzung von Verbraucherrechten angeht und die Durchsetzung von Mietpreisbremsenrechten, sondern eben vor allem auch, wie Rechtsdienstleistungen in unserer Gesellschaft betrachtet werden. Wir standen da gegenüber einer sehr doch häufig konservativen Anwaltschaft, die sehr skeptisch war, um es mal vorsichtig zu formulieren, was da eigentlich passiert mit diesen Inkassofirmen, die jetzt Verbraucherrechte durchsetzen. Und gleichzeitig aber auch diesen Bedarf, den niemand von der Hand weisen konnte, weil die Mieten einfach zu hoch waren, und das massenhaft. Und die meisten Fälle einfach gewonnen wurden. Und zwar auch nicht mit einer Mietsenkung von mal zehn Euro im Monat, sondern mit 300 Euro, 200 Euro und manchmal sogar mehr. Es gab Fälle, wo die Leute 500, 600 Euro zu viel Miete gezahlt haben. Und Miete ist der größte Kostenblock in unserer Gesellschaft, gerade in Berlin, wo Mieten einen hohen gesellschaftlichen Wert hat. Und da hat man natürlich einerseits gemerkt, wofür man's macht. Diese Frage hab ich mir nie stellen müssen. Und gleichzeitig hat man eben auch gesehen, dass wir Zugang zum Recht ganz neu denken müssen in Deutschland, wenn wir wollen, dass Menschen unter zumutbaren Bedingungen vor Gerichte gehen können.

Alisha: Absolut, das ist natürlich der viel, viel größere Aspekt, der dahinter steckt und einem persönlich natürlich einen großen Purpose einfach mitliefert bei so einer Tätigkeit, die du auf jeden Fall dort hattest. Und ich kann aus meiner Zeit bei Flight Right natürlich auch berichten. Das waren die ähnlichen Diskussionen, die es da gab. Ist das jetzt eine richtige Rechtsdienstleistung? Ist das okay, dass es jetzt auf einmal andere Anbieter gibt in dem Markt, die eben nicht Kanzleien sind und die das anders machen, aber eben, wie du sagst, nicht von der Hand zu weisen, damit sehr, sehr erfolgreich sind und deswegen auch tatsächlich einer großen Gruppe von Menschen wirklich besseren Zugang zum Recht gewährt haben und wo man dann eigentlich auch nicht mehr richtig dagegen argumentieren könnte. Und ich finde, wenn man jetzt draufguckt, es ist ja auch schon ein paar Jahre her, hat sich da auch tatsächlich was massiv verändert. Also es wird ganz anders drauf geblickt und die Unternehmen in diesem Bereich und diese Art von Rechtsdienstleistung ist etabliert, glaube ich, kann man heute tatsächlich sagen.

Josephine: Auf jeden Fall. Und es freut mich auch zu sehen, dass es in so vielen Bereichen funktioniert, auch gegen den Widerstand der Anwaltschaft und von anderen Institutionen. Ich war dabei, als damals die erste BGH-Rechtsprechung zu diesen Themen generiert wurde. Es war eine wahnsinnig spannende Zeit, wo natürlich auch viel Unsicherheit da war. Wird das gehalten oder nicht? Was darf man eigentlich? Und ich meine, der Gesetzgeber hat ja auch reagiert. Es gab mittlerweile zwei sogenannte Legal Tech Gesetze, Novellen des Rechtsdienstleistungsgesetzes, die nach und nach für eine Öffnung der Anwaltschaft und des ganzen Rechtsdienstleistungsmarktes sorgen. Da sind wir sicherlich noch nicht am Ende, aber es hat auf jeden Fall viel bewirkt.


Wechsel zu Hate Aid und Herausforderungen rund um Hass im Internet

 

Alisha: Absolut und da muss man wirklich sagen, war „Weniger Miete“ echt auch Vorreiter, war dann ja auch tatsächlich vom BGH und jetzt gibt es die „Weniger Miete“-Entscheidungen und bei so einem Unternehmen mit dabei gewesen zu sein in dieser Zeit ist glaube ich schon sehr sehr prägend. Du bist ja 2019, also schon vor vier Jahren, zu Hate Aid gegangen, im weitesten Sinne auch ein Legal Tech-Unternehmen, aber vielleicht doch ein bisschen anders, das kannst du gleich mal erklären, auf jeden Fall mit einem gemeinsamen Thema, nämlich Zugang zum Recht. Wie kam es denn erst mal dazu, dass du dorthin gewechselt bist?

Josephine: Ja, da waren auch wieder viele Zufälle, die da zugeführt haben. Ich hatte mich während meines Referendariats schon mal ein bisschen ehrenamtlich in diesem Bereich Hass im Internet engagiert und darüber Menschen kennengelernt. Dann hab ich einen der Mitgründer von Hate -Aid wieder getroffen auf einer Veranstaltung. Der sagte, mit Hate -Aid würde es richtig losgehen. Ich hatte damals die Anfangsidee verfolgt und fand das toll. Aber da war das Problem mit dem laufenden Referendariat und der Erwerbsarbeit, der ich nachgehen musste. Da war für mich nicht so viel zu tun. Dann hieß es aber, es gäbe eine Förderung und man würde richtig loslegen, ob ich mich nicht mal vorstellig werden möchte. Erst nur mit 20 Stunden, parallel zu meiner anwaltlichen Tätigkeit und dann irgendwann Vollzeit, weil der Bedarf so groß war.

Alisha: Was auch mal wieder schön zeigt, wie viel das bringt, wenn man sich auch in diesen verschiedenen Bubbles gut vernetzt. Gerade die Legal Tech-Bubble ist dafür wunderbar geeignet. Da passieren immer wieder Dinge. Gerade wenn man in Berlin ist, kann man den Legal Tech-Stammtisch, den Gernot Halbleib da ins Leben gerufen hat, auf jeden Fall auch empfehlen als eine Netzwerkveranstaltung, würde ich mal sagen. Jetzt musst du natürlich einmal erklären, du hast jetzt gerade schon gesagt "Hass im Internet" - Hate Aid. Einige werden es bestimmt auch kennen. Was macht denn Hate Aid eigentlich ganz konkret?

Josephine: Hate Aid ist mittlerweile zu einer Organisation geworden und wir sind eine gemeinnützige Organisation. Das ist wahrscheinlich auch der größte strukturelle Unterschied zur anwaltlichen Tätigkeit im wirtschaftlichen Bereich. Wir sind mittlerweile wirklich dabei, Menschenrechte im digitalen Raum zu verteidigen und das auf ganz, ganz vielen Ebenen. Losgegangen ist das alles mit der Einsicht, dass Zugang zum Recht problematisch ist, dass es eben Unterstützung braucht, das bieten wir im Rahmen von Prozesskostenfinanzierung an. Und aber gleichzeitig auch der Erkenntnis, dass es hier nicht reicht, Menschen ein Onlineformular zur Verfügung zu stellen, wo sie ein paar Details über ihren möglichen Anspruch reinschmeißen können, sondern dass es wirklich eine grundlegendere Unterstützung braucht, die wir durch unsere Betroffenen-Beratungen anbieten, die wirklich auf psychosoziale Beratung spezialisiert ist, wo Menschen emotional aufgefangen werden, wo sie eben auch Hinweise bekommen zum Thema Datensicherheit im Netz, Privatsphäre im Netz und Kommunikationsberatungen. Denn die meisten werden eben nicht nur einmal in ihrem Leben im Online-Raum angegriffen, sondern auf regelmäßiger Basis. Und was wir eben noch dazu machen, weil wir auch erkannt haben, dass es eben nichts bringt, einfach nur Pflaster auf Wunden zu kleben, sondern wir auch strukturelle Veränderungen brauchen, gesetzliche Rahmenbedingungen verändern müssen, ist eben unsere Öffentlichkeits - und Advocacy-Arbeit. Wir haben viel mit der Politik zu tun, wir mischen uns in Gesetzgebungsvorhaben ein, wir schreiben Stellungnahmen und wir schulen Polizei und Justiz. Denn auch da gibt es ganz strukturelle Themen, die bearbeitet werden müssen, um zu mehr Schutz von Betroffenen von digitaler Gewalt zu kommen.

Alisha: Ihr habt eigentlich wirklich so einen 360 Grad-Blick auf das Thema Hasskriminalität im Internet, was sehr spannend ist und sich insofern natürlich auch von klassischen Legal Tech -Anbietern im Verbraucherrecht wirklich unterscheidet, bei denen es eher darum geht, einen finanziellen Anspruch durchzusetzen, was auch wichtig ist, was ein großer Teil vom Zugang zum Recht ist, aber euer Blick ist sozusagen wesentlich ganzheitlicher. Was würdest du denn sagen, was läuft aus deiner Sicht grundlegend schief? Also auch politisch schief bei der Hasskriminalität im Internet?

Josephine: Hasskriminalität im Internet hat natürlich in den letzten Jahren viel Aufmerksamkeit bekommen. Einiges freiwillig, vieles aber auch unfreiwillig durch Dinge, die passiert sind. Durch auch teilweise analoge Attentate, die passiert sind. Die Ermordung von Walter Lübcke, dem Kasseler Regierungspräsidenten zum Beispiel, wo eine Radikalisierung im digitalen Raum und eben auch viel Drohungen im digitalen Raum vorangegangen sind. Da hat die Politik gesehen, dass man etwas tun muss und zwischenzeitlich hat sich so viel getan. Es gab auf Telegram organisierte Fackelmärsche zu den Häusern von Politiker:innen. Es gab Entführungspläne, die im digitalen Raum geplant wurden, sodass eben dieser Handlungsdruck da gar nicht mehr vor der Hand zu weisen war. Was man gemacht hat, war viel im Strafrecht anzupassen und irgendwie zu gucken, wie können wir überhaupt zu mehr Strafverfolgung kommen. Denn als Hate Aid angefangen hat, war tatsächlich das Internet vielleicht kein rechtsfreier Raum, aber auf jeden Fall ein rechtsdurchsetzungsfreier. Und so haben es eben auch die Menschen, die sich im Internet bewegen, wahrgenommen. Sie haben einfach gesagt, das bringt doch nichts, das ist doch im Internet, was soll man denn da machen? Und es gab eben nicht nur ein strukturelles Problem, dass Zugang zum Recht völlig unzumutbar war, sondern es gab einfach schon gar keine Wahrnehmung davon, dass der Rechtsstaat im Internet überhaupt irgendwas kann, dass er überhaupt existiert. Und das ist natürlich noch mal auf einer strukturellen Ebene sehr beängstigend, auch für mich als Anwältin sehr beängstigend, weil es eben zeigt, dass der Rechtsstaat überhaupt gar nicht als wehrhaft wahrgenommen wird im Internet oder als Option wahrgenommen wird überhaupt. Und das läuft grundlegend schief, denn digitale Gewalt ist mittlerweile ein Massenphänomen und wir wissen auch spätestens seit 2019 und seitdem haben es diverse Studien immer wieder bestätigt, dass digitale Gewalt nicht nur etwas mit denjenigen macht, die angegriffen werden im Internet, sondern auch mit den Mitlesen, mit uns allen als Gesellschaft, die wir in sozialen Netzwerken unterwegs sind und die mitbekommen, was da passiert, wie Menschen angegriffen werden, wie sie Gewalterfahrungen machen, indem sie beleidigt werden, mit Morddrohungen überzogen werden, Bildmanipulationen geteilt werden, ihre Privatadressen veröffentlicht werden. Die Aufzählung geht immer weiter und entwickelt sich weiter mit dem technischen Fortschritt, der leider auch manchmal Rückschritte mit sich bringt, wenn man es so betrachten möchte. Und das muss durch die Politik gesehen werden, das ist mittlerweile der Fall. Aber jetzt fällt uns auf die Füße, dass viele Jahre gar nichts passiert ist. Dass wir uns nicht vernünftig damit auseinandergesetzt haben, welche Bedeutung soziale Netzwerke als Unternehmen, als wirtschaftlich agierende Unternehmen in diesem ganzen Ökosystem haben, wie man sie zur Verantwortung ziehen kann. Und wie zum Beispiel simple Dinge wie die Ermittlungen von Identitäten im Internet, die Strafverfolgungsbehörden teilweise vor unlösbare Herausforderungen stellen. Und da gibt es noch ganz, ganz viel zu tun. Es wird vieles gesagt, was gut klingt. Und wir sind sicherlich auch schon einen Weg gekommen. Aber wir sind noch lange nicht am Ende. Und wir sind noch lange nicht an einem Punkt, wo man sagen kann, Menschen, die im Internet angegriffen werden, haben alle Möglichkeiten, um sich vernünftig zu wehren und zu schützen.


Rolle von Gesellschaft und Staat im Bezug auf digitale Gewalt

 

Alisha: Was ich ganz interessant finde, was du gerade angesprochen hast, war dieser Aspekt, dass ein großer Fokus immer auf der Strafverfolgung liegt, die ja, wie wir wissen, wirklich deutlich erschwert ist. Oder ja, vor allem auch die Lücken, die wir haben, auch was Technologie und Digitalisierung generell angeht, auch nicht gerade erleichtert sind so, ne? Also wir haben da echt Schwierigkeiten. Aber das ist ja nur ein Aspekt, dieser Strafverfolgungsaspekt. Und was du gerade beschrieben hast, fand ich sehr eindrucksvoll, zu sagen, was macht das eigentlich mit dem Rest von uns? Was macht das eigentlich mit der Gesellschaft? Könntest du vielleicht noch ein bisschen erläutern, warum findest du, dass sich der Staat oder auch wir als Gesellschaft noch mehr dafür interessieren müssten, unabhängig von diesen Strafverfolgungsthemen?

Josephine: Digitale Gewalt ist eine Gefahr für die Meinungsvielfalt, vor allem aber auch für die Meinungsfreiheit und somit leider auch für unsere gesamte Demokratie. Denn es bedeutet, dass es Menschen gibt und dass es auch messbar, dass gerade in einem politischen Kontext vor allem sehr organisierte Gruppen mit klaren politischen Interessen sind, die das sehr organisiert durchführen, indem sie Menschen angreifen, um an ihnen ein Exempel zu statuieren. Und welche Menschen sind das? Das sind Menschen, die sich für gesellschaftlich relevante Themen stark machen, Journalistinnen, Aktivistinnen, Politikerinnen, vor allem auch im kommunalen Raum, wo man ohnehin kaum noch Menschen findet, die sich für solche Ämter zur Verfügung stellen. Und es sind natürlich Menschen, die marginalisierten Gruppen angehören, das heißt, die ohnehin schon Diskriminierungserfahrungen gemacht haben. Und Mehrfachdiskriminierung spielt hier natürlich auch eine Rolle. Je mehr Diskriminierungsmerkmale zusammentreffen, desto größer die Wahrscheinlichkeit, auch massiv im Internet angegriffen zu werden. Und diese Menschen ziehen sich zurück, weil sie Angst haben, davor wieder angegriffen zu werden. Es ziehen sich auch die Mitlesenden zurück. Schon 2019 hat über die Hälfte der Internetnutzenden in Deutschland in Umfragen angegeben, dass sie sich weniger zu politischen Themen äußern, aus Angst davor angegriffen zu werden. Und das geht auch für andere gesellschaftliche Themen heutzutage, denn vieles ist heutzutage politisch geworden. Es ist nicht mehr nur Migration oder die Frage, welcher Partei gehöre ich an, sondern es ist auch Aktivismus, es ist Feminismus, es ist Umweltaktivismus und so weiter und so fort. Diese Menschen ziehen sich zurück und überlassen einer lauten Minderheit das Feld, das verzerrt unseren Diskurs, das verzerrt unser öffentliches Meinungsbild in eine Richtung und sorgt dafür, dass Menschen sich nicht mehr frei trauen können, am öffentlichen Diskurs teilzunehmen. Das bedeutet, sie finden auch nicht mehr statt, weder in der Meinungsäußerung noch in der Meinungsbildung. Und das bedroht am Ende unsere Meinungsfreiheit, weil das keine Einbahnstraße sein kann, wo man sagen kann, nur weil es im Internet stattfindet, werde ich ja wohl alles nur noch sagen dürfen und irgendwie alles mal raushauen dürfen, sondern es muss langfristig auch bedeuten, dass der Ort, wo wir ja einen Großteil unserer öffentlichen Debatte über gesellschaftlich relevante Themen hin verlagert haben, das Internet und die sozialen Netzwerke auch ein Ort ist, wo wir sicherstellen können, dass Menschen sich überhaupt noch sicher genug fühlen können, um sich überhaupt am öffentlichen Diskurs zu beteiligen. Diese Situation haben wir eben aktuell nicht und deswegen sollte uns alle, egal ob wir schon Gewalterfahrungen im Netz gemacht haben oder nicht, interessieren, was da passiert, und wir sollten nicht weggucken, denn das, was passiert, hat Einfluss auf uns alle. Es hat Einfluss auf die Politik, auf die Presse, auf die Berichterstattung, weil eben dieses verzerrte, einseitige Meinungsbild dort dargestellt wird.


Arbeit mit Betroffenen bei Hate Aid

 

Alisha: Wie sieht eure Arbeit aus im Fall von Betroffenen? Ihr habt teilweise auch ein paar berühmte Fälle gemacht, da möchte ich gerne auch noch mal zu fragen, aber nehmen wir jetzt mal die ganz normalen Menschen. Wer kann sich an euch wenden, in was für einer Situation und was macht ihr dann?

Josephine: Ja, erstmal alle Menschen können sich an uns wenden. Es stimmt, dass wir auch mit einigen Personen des öffentlichen Lebens gearbeitet haben und dir deswegen da manchmal so unterstellt wird, eine Promi-Organisation zu sein. Das stimmt natürlich nicht. Der Grund, warum man nur die Personen des öffentlichen Lebens wahrnimmt, ist natürlich, dass nur die sich trauen, sich überhaupt mit dem Thema, dass sie sich gegen digitale Gewalt engagieren, dass sie sich zur Wehr setzen, überhaupt öffentlich zu exponieren, denn das, was passiert, meistens ist, dass es wieder von vorne losgeht und das kann man nur Menschen zumuten, die das ohnehin ja besser verarbeiten können. Und das gilt auch nicht für alle Personen des öffentlichen Lebens. Also einige wollen darüber auch gar nicht sprechen. Alle Menschen können sich an uns wenden über E-Mail, über Chats, über Telefon. Wir beraten ausschließlich digital oder eben telefonisch und zwar im ganzen Bundesgebiet. Wir haben jetzt nicht überall kleine Büros, wo Menschen vorstellig werden können. Da findet dann erstmal eine psychosoziale Beratung statt und auch eine Bedarfsermittlung, um rauszufinden, wie man diese Personen unterstützen kann und auch erst mal rauszufinden, was überhaupt passiert ist. Und da braucht es immer erst mal einen Aufbau von Vertrauen tatsächlich, denn die Menschen rufen nicht an und sagen ich bin so und so, ich wohne da und da und hier habt ihr noch den Rest meiner Daten und jetzt erzähle ich euch mal, was für schlimme Sachen mir da widerfahren sind. Sondern das ist wirklich ein längerer Prozess. Und im Rahmen dieser Bedarfsermittlung stellt sich oft heraus, dass man vor allem eben auch mit rechtlicher Unterstützung hier was ausrichten kann, indem man eben zum Beispiel bei Strafanzeigen unterstützt oder eben auch zivilrechtliche Rechtsdurchsetzung in Betracht zieht. Wir unterstützen auch beim Melden von Inhalten. Wir unterstützen vor allem auch bei der Beweissicherung, denn auch das ist sehr, sehr herausfordernd für Betroffene. Beweise, die man auch vor Gericht verwenden kann, sollten im Idealfall auch Datum und Uhrzeit zum Beispiel der jeweiligen Inhalte beinhalten, auch Datum und Uhrzeit des jeweiligen Screenshots sollten enthalten sein und das machen einem die sozialen Netzwerke auch schon sehr schwer, überhaupt solche Screenshots anzufertigen. Und natürlich ist es auch retraumatisierend, sich alles nochmal durchzulesen und sich ganz genau damit zu befassen und auch noch Fotos davon zu machen. Das heißt, diese Unterstützung leisten wir und vermitteln dann für die Rechtsdurchsetzung an externe Kanzleien, mit denen wir kooperieren, die eben dann auch schon wissen, was auf sie zukommt, die darin geschult sind, diese Rechtsdurchsetzung zu machen, die unterstützen bei Strafanträgen, die schreiben Abmahnungen, wenn man weiß, mit wem man es zu tun hat oder gehen eben auch gegen die sozialen Netzwerke vor, wenn die sich zum Beispiel weigern, rechtswidrige Inhalte zu löschen.


Hass gegen Personen des öffentlichen Lebens / Der Fall Renate Künast

 

Alisha: Also auch da wieder einfach eine sehr umfassende Betreuung in allen Bereichen, die einen in dem Moment irgendwie betreffen könnten. Jetzt möchte ich natürlich trotzdem mal nachfragen, was die berühmten Fälle angeht. Ihr habt vor allem, das ging wirklich auch durch die Medien, zum Beispiel Renate Künast unterstützt. Kannst du davon mal berichten?

Josephine: Ja, auf jeden Fall. Renate Künast wird schon fast seit der Gründung von Hate Aid unterstützt, weil sie natürlich eine Person ist, als Grünen-Politikerin, die sich viel auch zu Rechtsextremismus geäußert hat, die ohnehin schon seit Jahren angegriffen wird. Sie hat ja auch ein Buch darüber geschrieben und sich auch sehr prominent dagegen zur Wehr gesetzt. Sie hat ja sogar ein paar ihrer Hater zu Hause besucht, um sie zu Rede zu stellen. Das heißt, sie war da schon wirklich eine, ja, nicht nur Politikerin, sondern fast schon Aktivistin der ersten Stunde, die eben auch auf dieses Thema des organisierten Hasses und der Verdrängung von marginalisierten Gruppen und so weiter aus dem öffentlichen Raum aufmerksam gemacht hat. Und das war dann natürlich gut. Und wir sind da auch Renate Künast sehr dankbar für, dass sie auch diese Öffentlichkeitsarbeit zu ihren Fällen macht. Denn sie macht das auch erklärtermaßen, nicht nur für sich selbst, sondern auch, um hier Rechtsfortbildung voranzutreiben, die dann auch anderen Betroffenen zugutekommen kann. Das heißt, mit Renate Künast gab es ja dann diese Skandalentscheidung des Landgerichts Berlin, wo sie gegen wüste Beschimpfungen, sexualisierte Beleidigungen, schlimmster Art gegen sich vorgehen wollte, indem sie beim Landgericht Berlin einen Antrag gestellt hat, auf Herausgabe der Daten von den Account-Inhabern, die diese Kommentare veröffentlicht haben. Und genau, da hat man viele Schwierigkeiten erwartet, weil das mit der Identifizierung und den Daten auch immer so ein bisschen so eine Sache ist. Aber man hat nicht erwartet, dass das Landgericht Berlin sagt, von den 22 Äußerungen ist keine als rechtswidrige Beleidigung einzustufen. Das war durchaus eine Überraschung, wo man dann auch so gesagt hat, okay, das Landgericht Berlin meint, man darf Renate Künast als Drecksfotze bezeichnen. Interessantes Signal der Justiz an alle Betroffenen da draußen. Die haben sich natürlich dieses Totschlagargument bedient des politischen Meinungskampfes, was immer eigentlich dazu geführt hat, dass Verfahren im Sande verlaufen sind, weil man irgendwie gesagt hat, Politiker:innen müssen halt irgendwie alles aushalten, ob sie jetzt wollen oder nicht, weil das ist nun mal der Preis. Das Ganze ging dann zum Kammergericht Berlin, dann ging es zum Bundesverfassungsgericht und da kam dann eben eine Entscheidung raus, die wir uns eigentlich nicht schöner hätten erträumen können, denn sie hat tatsächlich alles, auch diese ganze strukturelle Ebene, von der Verbreitung von rechtswidrigen Inhalten, von Angriffen im Internet ja einmal aufgelistet und hat den Gerichten in der ganzen Republik und auch den Staatsanwaltschaften natürlich eine Handlungsanweisung an die Hand gegeben, wie eine Abwägungsentscheidung bei der Beurteilung von Beleidigungsdelikten im Internet zu passieren hat. Nämlich nicht so, dass man sagt, dass es im Internet ist, das ist jetzt irgendwie nicht abwägungsrelevant, ein wahrer Satz, den wir aus einer Einstellungsentscheidung haben und ja, im politischen Meinungskampf ist alles erlaubt, sondern indem man eben auch berücksichtigt, was bedeutet es für Betroffene, im Internet angegriffen zu werden. Und vor allem was bedeutet das für unseren öffentlichen Diskurs und das Bundesverfassungsgericht hat auch ganz klar gesagt, dass wir politisches Engagement in Deutschland nur dann erwarten können, wenn wir auch die Rechte von Politiker:innen schützen. Denn wenn wir das nicht tun, dann wird es irgendwann, wahrscheinlich schon sehr bald, keine Personen mehr geben, die sich überhaupt noch freiwillig dafür zur Verfügung stellen. Und das war die wichtigste Botschaft von dieser Entscheidung. Wir haben danach auch nochmal mit Renate Künast gegen Meta geklagt und einige Sachen ausprobiert, die wirklich auch als Grundsatzverfahren bezeichnet werden können. Aber diese Verfassungsgerichtsentscheidung gehört schon auf jeden Fall zu unserem größten Stolz.

Alisha: Was man da ganz schön sieht an diesem Fall ist, dass es halt um wesentlich mehr geht als konkrete Rechtsanwendung im konkreten Fall. Sondern - wie du es auch beschrieben hast - ihr betreibt zusammen dann mit einem Beispielsfall wie der von Renate Künast Rechtsfortbildung auch aktiv, also auch strategisch. Und da steckt natürlich noch deutlich mehr drin, weil einfach viele politische Erwägungen ebenfalls mit drin stecken. Was bedeutet das für unsere Gesellschaft, wie muss quasi am Ende auch geurteilt werden, damit es überhaupt ein sinnvolles gesellschaftliches Ergebnis hat? Und das finde ich ganz interessant, wie viel da eigentlich drin steckt, wo halt ganz typischerweise Juristinnen und Juristen halt sagen, so das ist halt die Regel, wie sie jetzt ist, ich wende sie an, Punkt, fertig, aus. Und genau, was mich interessiert ist, so wie würdest du dann eure politische Arbeit beschreiben? Also das scheint mir so ein Teil davon zu sein, was macht ihr noch, um dieses politische Feld mitzugestalten?


Mitgestaltung der Politik durch Hate Aid

 

Josephine: Also diese Verfahren sind schon ein ganz wichtiger Teil davon, denn wir sind darauf angewiesen. Wir sind nämlich leider nicht Flight Right. Wir können nicht eine Million Verfahren in der Republik irgendwie in die Welt setzen und dann hoffen, dass sich einfach schon durch die reine Masse was verändern wird. Die Mittel haben wir gar nicht. Das heißt, wir müssen eben auch auf Öffentlichkeitsarbeit und auf solche Grundsatzverfahren setzen, um hier zu einer strukturellen Veränderung zu kommen. Aber natürlich reicht das auch nicht. Die Gerichte sind wichtig, weil dadurch, dass Betroffene selbst gar nicht so richtig auf die Idee kommen, überhaupt vor Gericht zu gehen, findet da eben auch keine Befassung mit diesen Themen statt und somit auch keine Rechtsfortbildung. Auf der strukturellen Ebene, auf der politischen Ebene, ist es natürlich vor allem die Gesetzgebung, die für uns ein Hebel ist. Es gab einige Gesetze rund um das Thema Hasskriminalität im Internet, digitale Gewalt und soziale Netzwerke, wo wir uns auch mit Stellungnahmen und unserer Perspektive auf das Thema eingemischt haben. Das ist natürlich auch immer ein Spannungsfeld zwischen Meinungsfreiheit im Internet, die sicherlich ein hohes Gut ist und gleichzeitig eben auch der Frage, wie können wir Menschen eben schützen, die außerhalb der Meinungsfreiheit angegriffen werden und wie sorgen wir dafür, dass beides sich nicht beschneidet. Und was natürlich aber auch wichtig ist, was man nicht vergessen darf, neben der Gesetzgebung, ist die Frage, wie wird auch das Recht kommuniziert und angewendet, da wo die Betroffenen tatsächlich Berührungspunkte haben, bei der Justiz, aber vor allem eben auch bei der Polizei. Das heißt, diese ganzen Workshops, die wir da machen, die ganzen Fortbildungsangebote, die wir bedienen auf Tagungen, zum Beispiel der Richterakademie oder sonst wo, die sind auch ganz, ganz wichtig, um überhaupt erst mal das Bewusstsein für die Betroffenenperspektive sich vor Augen zu rufen oder bzw. eher der Justiz vor Augen zu rufen, die dann sagt, na wenn jetzt jede Beleidung hier angezeigt wird, wo kommen wir denn dahin? Da kommen wir ja zu gar nichts Anderem mehr. Wir haben doch noch andere wichtige Sachen zu tun. Und wir dann sagen, also erstens sind wir davon noch sehr weit entfernt. Da ist noch ganz viel Luft nach oben. Und zweitens eben diese gesamtgesellschaftliche Dimension des Ganzen erklären und denen sagen, das ist nicht nur irgendein Job, den ihr machen müsst, weil irgendjemand sensibel ist im Internet, sondern das ist vor allem ein Schutz unserer Demokratie. Ihr leistet einen Beitrag dazu, unsere Demokratie zu schützen, wenn ihr nicht alle Strafverfahren einfach von vornherein einstellt, sondern eben auch in den Fällen, wo man es wirklich mit Hasskriminalität zu tun hat, strafverfolgt.

Alisha: Ja, vor allem auch aus so einem Grund heraus, wenn man sagt, das ist eigentlich zu viel Aufwand und deswegen können wir es jetzt nicht machen. Das ist natürlich nie ein guter Grund, um Grundrechte zurückzustellen am Ende des Tages. Schauen wir nochmal auf deine berufliche Laufbahn. Du hast ja als Head of Legal angefangen bei Hate Aid und bist jetzt vor nicht allzu langer Zeit zur Geschäftsführerin ernannt worden, was natürlich nochmal eine andere spannende Position ist. Was bedeutet das für dich, aber auch für das Unternehmen oder die Organisation, dass ihr eine zweite Geschäftsführerin überhaupt euch quasi leistet und dann auch eine, die tatsächlich Juristin ist und natürlich auch mit einem rechtspolitischen Blick kommt?

Josephine: Das heißt in erster Linie, dass es notwendig war, unsere Führung insgesamt auch einfach nachhaltiger aufzustellen. Wir sind jetzt etwas über 40 Leute schon. Das heißt, da gibt es auch wirklich einiges an Aufwand auf Ebene der Geschäftsführung, der auch erstmal bewältigt werden muss. Und was ist dann zum Beispiel auch, wenn einer von uns mal was passiert, wie können wir dann dafür sorgen, dass trotzdem der Betrieb weitergeht und dass wir da wirklich bestmöglich aufgestellt sind. Das war natürlich ein Beweggrund, um da wirklich auch zu sagen, die Führung wird einfach erweitert, um auch für mehr Verantwortungsverteilung zu sorgen. Und gleichzeitig heißt es natürlich auch, dass dieser rechtliche Fokus, der rechtspolitische Fokus dadurch natürlich auch gestärkt wird, denn auch schon als Head of Legal habe ich natürlich rechtliche Positionen in dem Sinne vorgegeben oder entwickelt, die dann natürlich auch zu einem bestimmten Profil beigetragen haben. Ich habe die Grundsatzprozesse designt oder gefunden teilweise und vor die Gerichte gebracht und das sehr eng begleitet und natürlich auch unsere Kommunikation dazu sehr eng begleitet. Aber indem das Ganze bei der Geschäftsführung angesiedelt wird, habe ich natürlich noch mal mehr Möglichkeiten, auch strukturell zu gestalten und auch die Zukunft der Organisation zu gestalten. Denn Themen verändern sich auch. Wir möchten auch keine Dinosaurier werden, die in zehn Jahren immer noch das Gleiche erzählen und alle verdrehen die Augen und sagen, oh Gott, jetzt kommt die wieder, haben die nicht gemerkt, dass das schon längst beseitigt ist, das Problem. Sondern wir wollen natürlich innovativ bleiben und wollen auch vor allem da bleiben, wo die Bedarfe der Betroffenen sind. Und die kriegen wir ja mit, dadurch, dass wir diese Betroffenenberatung haben, dass wir direkt hören aus erster Hand von den Betroffenen, was ihnen widerfährt, was sie davon abhält, sich zu äußern. Dadurch wissen wir ja, wo man anpacken muss. Und das ist eben auch vor allem dann ein Fokus, der sich immer mehr auch in Richtung der Technologie, der sozialen Netzwerke verlagert, weil eben Strafverfolgung wichtig ist und jeder Täter, jede Täterin, die man abschrecken kann, die man irgendwie einfangen kann, ist wichtig. Alle Betroffenen, die anzeigen, sind wichtig. Aber am Ende des Tages steht dahinter ein wirtschaftliches Ökosystem, eine Milliardenindustrie von sozialen Netzwerken, die leider eine Relevanz für unseren Diskurs erreicht haben, wo sie in der Lage sind, Wahlen zu manipulieren und Demokratien an den Rande des Absturzes zu bringen. Und das müssen wir eben verhindern, indem wir da ganz strukturell auch von der regulatorischen Sicht raus rangehen.

Alisha: Oh, da machst du natürlich große Fässer auf. Das ist auf jeden Fall noch viel Arbeit, die vor euch liegt. Deswegen gut, dass du jetzt auch in der Geschäftsführung bist. Das ist auf jeden Fall sehr, sehr, sehr, sehr viel, was da drinsteckt. Du hast persönlich ja einmal erlebt, wie es ist, in einem Legal Tech-Unternehmen zu arbeiten. Du hast quasi auf der wirtschaftlichen, wenn auch Verbrauchersseite, aber dennoch ja wirtschaftlichen Seite gearbeitet. Dann natürlich auch als selbstständige Rechtsanwältin. Und jetzt bist du in einer gemeinnützigen GmbH tätig, die in einem politisch geprägten Umfeld unterwegs ist. Wem würdest du denn so eine Tätigkeit empfehlen? Für wen ist das das Richtige?

Josephine: Auf jeden Fall Menschen, die natürlich auch mit einem gewissen Idealismus daherkommen. Das ist auch unbedingt notwendig. Man braucht eine intrinsische Motivation, um diesen Job zu machen. Denn ganz klar können NGOs nicht die gleichen Gehälter bieten wie Großkanzleien oder andere Arbeitgeber, die da vielleicht monetär einfach attraktiver sind. Was es natürlich gibt, ist ganz, ganz viel Sinn und ganz, ganz viel Möglichkeit zu gestalten in einem Umfeld, in dem es noch gar nicht so viel Expertise gibt. Das heißt auch junge Menschen haben die Möglichkeit, sich gut zu positionieren und da wirklich auch Gehör zu finden mit dem, was sie sagen. Und vor allem muss man in der Lage sein, auch selbstständig zu arbeiten. Man wird auf jeden Fall nicht an die Hand genommen, in viele sehr kalte Wasser geschubst und muss selber irgendwie da durchschwimmen. Darauf kann man sich nicht vorbereiten, aber man muss dafür gewappnet sein, dass es eben anders ist als vielleicht in manchen Kanzleien, wo man das erste Jahr erstmal viel zuguckt, um dann auch selber Dinge in die Tat umzusetzen.


Outro

 

Alisha: Ich glaube, dass "ins kalte Wasser geschmissen werden" kenne ich aber auch aus dem Legal Tech-Bereich ganz gut. Das scheint mir auch ein Start-up-Thema zu sein.

Josephine: Das stimmt auf jeden Fall und es ist in dem Sinne auch vergleichbar. Die Tatsache, dass wir gemeinnützig sind, bedeutet ja nicht mehr, als dass wir keinen Gewinn erwirtschaften. Aber trotzdem brauchen wir ja Geld. Das heißt, wir haben eben keine Investoren, die wir glücklich machen müssen, sondern wir haben Fördergeber und die müssen auch immer neu gefunden werden. Und das müssen sie alle ein bis drei Jahre, weil dann Projekte auslaufen und dann muss man sich neue Projekte ausdenken. Also das ist immer natürlich auch eine vergleichbare Situation. Auch wenn viele das so nicht wahrhaben, es ist mitnichten so, dass man in einer NGO den ganzen Tag rumsitzt und aus dem Fenster guckt. Im Gegenteil, es ist eher so, dass man niemals stillsitzen darf und sich niemals kurz ausruhen darf. Dann passiert garantiert irgendwas Doofes, was man dann reparieren muss.

Alisha: Okay, das ist auf jeden Fall noch mal eine Brandrede. Ich glaube, dass es für viele ein superspannender Bereich ist, den du uns beschrieben hast. Es war eine Freude, dir zuzuhören. Ich hoffe, dass ihr sehr erfolgreich sein werdet mit euren Tätigkeiten in diesem Bereich. Es war sehr schön, dass du da warst, Josephine.

Josephine: Danke schön, dass ich da sein dürfte. Ciao.


Laura Hörner-author-avatar-image
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Laura Hörner
Kulturwirtschaft Uni Passau

Als freie Autorin schreibt Laura Hörner bei TalentRocket über Themen rund um die juristische Karriere. Besonders interessiert sie sich dabei für die vielfältigen Karrierewege, die Jurist:innen offenstehen.