Jura und Psyche, Depression, Burn-out

Verfasst von Nicol Jasiurova|Veröffentlicht am 24.05.2023

Jura und Psyche: Wenn es einfach nicht mehr geht

Viele Jurist:innen kämpfen mit psychischen Krankheiten

„Stress Jura“ führt zu über 7 Mio. Treffern auf Google. Unter diesen Treffern befindet sich der Abschlussbericht der Bundesfachschaft Jura aus dem Jahr 2022. Darin werden die Ergebnisse der zweiten Umfrage zum psychischen Druck im Jurastudium präsentiert, wonach die Teilnehmenden offensichtlich unzufrieden mit der aktuellen Ausgestaltung des Studiums sind – etwa 70% würden das Studium hinsichtlich der damit verbundenen psychischen Belastung nicht weiterempfehlen. Wir sehen uns genauer an, warum das Studium im schlimmsten Fall krank machen kann und wie du Warnzeichen erkennen kannst.

 

Der eben genannte Wert verwundert wenig, wenn man sich vergegenwärtigt, welch permanent hohem Stresslevel Jurastudierende ausgesetzt sind. Die WHO stuft Stress sogar als eine der größten Gesundheitsgefahren ein, weshalb eine derartige Dauerbelastung nicht selten in einem Burn-out-Syndrom oder einer Depression mündet. Leider endet das Risiko psychisch zu erkranken nicht mit dem Studium, sondern zieht sich durch das gesamte juristische Arbeitsleben hindurch.

Aus diesem Grund ist es umso wichtiger, achtsam die eigene psychische Verfassung im Blick zu behalten, um erste Anzeichen für Burn-out oder Depression möglichst früh zu erkennen. Doch was genau man darunter versteht und warum insbesondere Jurist:innen häufig an psychischen Krankheiten leiden, soll hier erläutert werden. Vorneweg sei gesagt, dass psychische Probleme eine ernst zu nehmende Thematik sind, die auf jeden Fall professionelle Hilfe erforderlich machen kann. 

Burn-out-Syndrom – wenn Stress zum Alltagsbegleiter wird 

In der heutigen Leistungsgesellschaft wird Stress zunehmend als integrativer Bestandteil eines Arbeitslebens normalisiert. Das ist nicht per se verwerflich, denn Stress als intensiver Spannungszustand kann auch positiver Natur sein. So kann eine zeitlich begrenzte stressvolle Episode als gewinnbringend und stimulierend empfunden werden, denn durch die Stressreaktion mobilisiert der Körper Energie, wodurch die eigene Leistungsfähigkeit kurzzeitig ansteigt. Im Normalfall beendet der Körper diese Stressreaktion eigenständig über eine sogenannte negative Rückkopplung. Entwickelt sich allerdings ein chronischer Stress, droht die körpereigene Regulation außer Kraft gesetzt zu werden. Dies führt dazu, dass sich die Stresshormonkonzentration im Gehirn staut, wodurch psychische Krankheiten wie Burn-out oder Depression begünstigt werden. Seit 2022 definiert die Weltgesundheitsorganisation das Burn-out-Syndrom im ICD-11, einem internationalen Diagnose-Verzeichnis, als chronischen Stress am Arbeitsplatz, der nicht erfolgreich verarbeitet werden kann. 

In der Regel beginnt ein Burn-out vermeintlich harmlos damit, dass die Betroffenen pausenlos arbeiten und den Beruf zum Lebensinhalt erheben, wobei eigene Bedürfnisse zunehmend unbeachtet bleiben. Indem sich Betroffene immer mehr Aufgaben aufbürden (und gleichzeitig weniger delegieren), überschreiten sie die Grenze ihrer persönlichen Kapazitäten, woraufhin zwangsläufig eine psychische und/oder körperliche Reaktion folgen/folgt. 

In wissenschaftlichen Kreisen ist mittlerweile Konsens, dass Burn-out nicht nur auf den Arbeitsplatz beschränkt ist. Vielmehr wird das Burn-out-Syndrom allgemein als mögliche Folge von chronischem Stress verstanden und in den drei Symptomdimensionen emotionale Erschöpfung, Depersonalisation und reduzierter persönlicher Leistungsfähigkeit beschrieben. 

Ausgangspunkt des Burn-outs ist die häufig zu Beginn auftretende emotionale Erschöpfung, die mit einem Gefühl von emotionaler Überforderung und des Ausgebranntseins, begleitet von innerer Leere, einhergeht. Im Rahmen der Depersonalisation entwickeln Betroffene einen Zynismus und ziehen sich sozial zurück. In der Folge können sich weitere Veränderungen wie beispielsweise

  • Vergesslichkeit
  • Verminderte Konzentrationsfähigkeit und Ausdauer
  • Gereiztheit, Aggresivität
  • Pessimismus und Desinteresse

bemerkbar machen.

 

Hinzu kommen in der Regel psychosomatische Erkrankungen wie:

  • Magen-Darm-Probleme
  • Kopfschmerzen, Schwindel
  • Starke Verspannungen und Schmerzen im Nacken- und Halsbereich
  • Schlafprobleme.
     

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Wie grenzt sich der Burn-out von einer Depression ab?

Burn-out wird teilweise auch als „Erschöpfungs- bzw. Stressdepression“ bezeichnet, dennoch ist es keine Depression im eigentlichen Sinne. Während Depressive am Unabänderlichen leiden, beschäftigen Burn-out-Betroffene prinzipiell lösbare Probleme, die in der Regel nachvollziehbar sind. Nichtsdestotrotz nehmen Betroffene sowohl bei Depressionen als auch beim Burn-out ihre Situation als aussichtslos wahr. Im konkreten Umgang mit der Situation neigen Depressive allerdings dazu, ihre eigenen Fähigkeiten zu unterschätzen und geben sich geschlagen, obwohl die jeweilige Anforderung von außen zumutbar erscheinen mag. Beim Burn-out hingegen überschätzen Betroffene häufig ihre eigenen Kräfte und können dementsprechend erst aufhören, wenn die letzte Ressource aufgebraucht und das persönliche Limit wohl bereits längst überschritten ist.

Zwar bestehen Unterschiede zwischen den psychischen Krankheiten, jedoch kann ein Burn-out in der letzten Phase in eine Depression umschlagen oder der/die Betroffene bei einer langanhaltenden Überbelastung direkt eine Depression entwickeln. Das liegt daran, dass Stress an sich nicht die ausschlaggebende Ursache für mögliche psychische Probleme ist, sondern vielmehr die subjektive Anpassungsreaktion der betroffenen Person selbst. Entscheidend ist somit das Zusammenspiel aus äußeren Stressfaktoren und dem inneren Umgang damit. 

Dies erklärt womöglich, weshalb gerade Jurist:innen mit psychischen Problemen zu kämpfen haben – bereits von Beginn an wird man im Jurastudium mit Stressoren konfrontiert, die angesichts ihrer Anzahl und Intensität einen gesunden Umgang damit extrem schwer machen. 

Risikofaktor Jurastudium – wenn das Studium krank macht 

In der Forschung rund um das Burn-out Syndrom werden häufig diverse innere und äußere Risikofaktoren genannt, die die Entwicklung eines Burnouts begünstigen können. Zu den inneren Risikofaktoren zählen unter anderem:

  • Das Unterordnen eigener Bedürfnisse gegenüber gesetzter Ziele
  • Zu hoch gesteckte und unrealistische Ziele
  • Perfektionismus

Als äußere Risikofaktoren eingestuft werden insbesondere: 

  • fehlende Wertschätzung und mangelndes Feedback
  • Mangel an Fairness
  • Mangel an Gemeinschaft und Zusammenhalt 
  • Mangelnde Sicherheit und Kontrollierbarkeit der Situation.

 

Spätestens während der Examensvorbereitung wird deutlich, wie sehr sich sämtliche äußere Faktoren durch das gesamte Studium durchziehen und auch von den Studierenden als Stressoren wahrgenommen werden. Aus der genannten Umfrage der Bundesfachschaft geht beispielsweise hervor, dass etwa 50% der Teilnehmer:innen die Klausurenkorrektur als nicht hilfreich empfinden. Ebenso stuften 50% die Notenbewertung insgesamt als intransparent ein. Dies ist umso beunruhigender, da gerade das Notensystem und das Examen insgesamt als die maßgeblichen Gründe für psychischen Druck angegeben wurden. 

So entsteht ein Zustand, in dem sich Studierende wegen der bevorstehenden Klausuren in einer extremen Drucksituation befinden, deren erfolgreiche Bewältigung hingegen nur bedingt in ihrem Machtbereich liegt, da sie schließlich mit einer überfordernden Stoffmenge und einem undurchsichtigen Notensystem zu kämpfen haben. Von außen wird sodann suggeriert, dass man schlicht mehr Zeit in die Vorbereitung auf die Klausuren investieren müsse, was automatisch zu einer höheren zeitlichen und psychischen Belastung führt – der Grundstein für den Burn-out ist damit gelegt. Stimmen dann die persönlichen Erwartungen nicht mit den erreichten Leistungen überein, machen sich zudem Enttäuschung und Frustration breit. 

Gleichzeitig wird an angehende Jurist:innen eine hohe Erwartungshaltung in Bezug auf ihre Leistungsbereitschaft gestellt, sodass die reflexartige Reaktion der Studierenden auf die ersten Rückschläge meist einfach ein höheres Lernpensum ist. Dadurch bleiben andere persönliche Bedürfnisse und nötige Erholungsphasen zunehmend auf der Strecke und man gerät schnell in einen Zustand der Dauerleistung. Neuerdings wird diese Phase als Burn-on bezeichnet, da die Betroffenen schlicht „weiterbrennen“, statt wie beim Burn-out „auszubrennen“. Besonders gefährlich ist daran, dass den Betroffenen häufig gar nicht bewusst ist, dass ihr Stresslevel unter Umständen ein bereits bedrohliches Ausmaß erreicht hat.

Führt nun eine höhere Arbeitsbelastung schlussendlich auch nicht zu den gewünschten Ergebnissen, so kann daraus ein Gefühl der Sinnlosigkeit entstehen. In dieser Situation empfinden Betroffene die investierte Arbeit, bei der die Grenze der gesunden persönlichen Ressourcen längst überschritten wurden, als nicht lohnenswert. In der Regel flacht die Leistung in diesem Zeitpunkt ab – man erlebt einen „Durchhänger“.  Dieser Umstand kann begleitet werden von 

  • sozialem Rückzug,
  • Pessimismus und Desinteresse,
  • Hoffnungslosigkeit,
  • Verzweiflung,
  • Suizidgedanken.
     

Beginne an deinem neuen Arbeitsplatz!

Bei psychischer Krankheit ist ärztlicher Rat unumgänglich. Manchmal kann ein Wechsel des Arbeitsplatzes zusätzlich helfen. 

Verstärkt werden die negativen Gefühle durch den permanenten Hintergedanken an das abschließende Staatsexamen. Die Angst, dieses nicht zu bestehen, ist für 78% der Teilnehmer:innen der Umfrage ein Grund für den psychischen Druck. Doch hört es bei dieser Hürde nicht auf, denn knapp die Hälfte der Teilnehmer:innen hat Angst davor, kein Prädikatsexamen (9 Punkte oder mehr) zu erreichen. Verantwortlich für das Erreichen der gewünschten Note, der heute noch ein enormer Einfluss auf die späteren Karrieremöglichkeiten zugesprochen wird, ist wiederum jede:r selbst. Wie weit sich diese negative Gedankenspirale dreht, liegt allerdings sehr wohl im eigenen Machtbereich! Menschen können ihre subjektive Reaktion auf Stress beeinflussen und so der Entstehung eines Burn-outs oder einer Depression vorbeugen. Im besten Fall wird man bereits präventiv, das heißt, bevor überhaupt eine Stressphase aufkommt, tätig. In dieser Phase ist es besonders hilfreich, sich mit dem eigenen Mindset auseinanderzusetzen. Dabei kann man sich folgende Fragen stellen:

  • Welche Ansprüche und Erwartungen hat man an sich selbst?
  • Aus welchen Gründen hat man diese Ansprüche, welches höhere Ziel steckt dahinter?
  • Welche Faktoren empfindet man persönlich als belastend bzw. entlastend?

Ziel dieser Fragen ist es, zu Beginn bereits ein realistisches und authentisches Selbstbild zu erhalten und gleichzeitig das eigene Bewusstsein dafür zu steigern, welche Faktoren das eigene Empfinden positiv bzw. negativ beeinflussen. Machen sich nun erste negative Tendenzen einer Stressreaktion bemerkbar, so kann man diese ausgleichen, indem man sich einerseits auf die ursprünglich persönlich gesteckten Ziele rückbesinnt und andererseits stressmindernde Aktivitäten wie beispielsweise Sport, Reisen oder soziale Kontakte in den Alltag integriert und so verhindert, dass der Stress chronisch wird.

Daneben hilft es auch, gezielt und kontinuierlich an der Einstellung zu Jura zu arbeiten. Wie anfangs erwähnt, kann Stress auch positiver Natur sein und in einer gesunden Dosis zu einem sogenannten Work Engagement führen. Darunter versteht man in Abgrenzung zum Burn-out einen positiven und erfüllenden arbeitsbezogenen Geisteszustand. Charakteristisch dafür sind Hingabe und Aufgehen in der Arbeit, wodurch idealerweise Begeisterung und innerer Stolz ausgelöst werden. Erlebt man bei der Arbeit ein Flow-Gefühl, so liegt genau darin das „Aufgehen“. Ein solches hast du bestimmt im Zusammenhang mit Jura bereits mal erlebt – sei es der erste interessante Fall, eine Hausarbeitsthematik, die dich begeistert oder ein faszinierendes juristisches Berufsbild, mit dem du dich gerne beschäftigst. Diese positiven Erlebnisse füllen dich mit Energie und geben dir gleichzeitig eine Sinnhaftigkeit an die Hand, die dich in unsicheren Momenten wissen lässt , warum du dich für Jura entschieden hast.

Fehlt dir allerdings die Kraft, dich ehrlich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen, weil du eine permanente Melancholie, Angst oder Wut verspürst, so könnte eine psychische Verstimmung bereits vorhanden sein. Im Zustand der ohnehin schon vorhandenen Erschöpfung und Niedergeschlagenheit ist es ratsam, sich professionelle Hilfe zu suchen, um so auch dem Gefühl der Ausweglosigkeit zu trotzen.

Der Jobverlust ist eine häufige Ursache für psychische Belastung

Zum Glück wächst in unserer Gesellschaft das Bewusstsein für die psychische Gesundheit und gleichzeitig sind Burn-out, Depression oder andere psychische Krankheiten längst keine Tabuthemen. Darüber hinaus gibt es diverse Therapiemöglichkeiten, die dir dabei helfen, nachhaltig an deiner inneren Einstellung zu arbeiten und so den Ausweg aus der Aussichtslosigkeit zu finden. Deine psychologische Therapie kann zudem durch diverse Techniken für eine innere Ruhe ergänzt werden. Dazu zählen beispielsweise 

  • Autogenes Training, 
  • progressive Muskelentspannung,
  • Akupunktur oder 
  • Atemtechniken.

Diese Techniken kannst du zudem in Stresssituationen anwenden, um dich beispielsweise bei aufkommender Angst und Panik vor einer Klausur zu beruhigen.

 

An dieser Stelle sei außerdem zu betonen, dass es keine unberechtigte Inanspruchnahme von Psychotherapie gibt. Bemerkst du über längere Zeit eine negative Veränderung oder fühlst dich innerlich belastet, so lohnt es sich in jedem Fall, diesem Gefühl nachzugehen. Mittlerweile haben sich an vielen Universitäten Hochschulgruppen zum Thema psychische Gesundheit im Jurastudium gebildet, daneben existieren an den Hochschulen psychologische Beratungsstellen, die ebenfalls in Anspruch genommen werden können. Anfangs kann auch der bloße Austausch mit Kommiliton:innen für Beruhigung sorgen, insgesamt sollten psychische Probleme im Jurastudium jedoch nicht auf die leichte Schulter genommen oder als dazugehörend toleriert werden.
 


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Nicol Jasiurova
Rechtsreferendarin Wirtschaftsrecht

Meine Interessen und Schwerpunkte liegen vor allem dort, wo die juristische Bewertung von Beziehungen zum Tragen kommt - oder anders gesagt alles, wo Grundrechte, Strafrecht und der Faktor Mensch zusammenkommen.