Pro Bono-Beratung: Zeit und Expertise schenken

Veröffentlicht am 22.05.2023

Pro Bono-Beratung: Zeit und Expertise schenken

Victor A. Thonke von White & Case im Interview

Mein Name ist Victor Thonke und ich arbeite als Associate bei White & Case im Bereich Public Law an den Standorten Hamburg und Berlin. 
 

Herr Thonke, Sie sind seit Ende 2020 bei White & Case in den Bereichen des öffentlichen Wirtschaftsrechts tätig. Wie sind Sie zur Pro-Bono-Beratung gekommen und welche Aspekte sind Ihnen dabei besonders wichtig?

Ich habe schon während meiner juristischen Ausbildung Erfahrungen in der ehrenamtlichen Rechtsberatung sammeln können und wollte auch nach dem Einstieg ins Berufsleben gerne daran anknüpfen. Die Mitarbeit an Pro Bono-Mandaten bei White & Case ist insofern für mich sehr naheliegend und wird von Kanzleiseite auch auf verschiedenen Ebenen gefördert. So ist der Zugang zu Pro Bono-Mandaten gleich von Beginn an sehr einfach, nach den passenden Mandaten muss man bei uns also nicht lange suchen. 

Besonders wichtig sind mir bei der Pro Bono-Beratung, die nötigen Freiräume zur Bearbeitung der Mandate zu erhalten und die Freiheit zu haben, mir die Mandate selbst auszusuchen. Das fördert meine Eigenmotivation und führt zu befriedigenderen Resultaten – für alle Beteiligten. 

Victor Thonke
Victor Thonke

Wie würden Sie Pro-Bono definieren? Was motiviert Sie, Ihre Expertise unentgeltlich anzubieten?

Für mich bedeutet Pro Bono die Möglichkeit, meine Fähigkeiten und Expertise als Anwalt zum Zwecke des Gemeinwohls einzusetzen und dabei meiner gesellschaftlichen Verantwortung als Jurist ein Stück weit nachzukommen. 

Auch wenn einem das im Studium manchmal anders vorkommen mag, ist Jura viel mehr als nur Theorie und hat realen Einfluss auf unsere Lebenswirklichkeit. Ich glaube, dass die Pro Bono-Arbeit auch eine wichtige Rolle dabei spielt, das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Rechtsbranche zu stärken. Indem Anwälte ihre Fähigkeiten und Ressourcen für gemeinnützige Zwecke einsetzen, können wir zeigen, dass wir uns nicht nur um unsere eigenen Interessen kümmern, sondern auch darum, der Gemeinschaft zu helfen. Die Pro Bono-Beratung gibt mir die Chance, meine Fähigkeiten zu nutzen, um Menschen zu helfen und gleichzeitig persönlich und fachlich zu wachsen. Es ist also eine echte Win-Win-Situation.
 

Auf welche Fälle bzw. Rechtsgebiete konzentrieren Sie und White & Case sich insbesondere bei der Beratung von Pro-Bono-Fällen?

In Deutschland betreuen wir eine ganze Bandbreite von Pro Bono-Mandaten, von kleinen lokalen Vereinen bis hin zu internationalen gemeinnützigen Organisationen. Bei der Auswahl der Mandate haben wir grundsätzlich die freie Wahl, sodass sich jede:r nach seinen Bedürfnissen und Expertise in die Pro Bono-Arbeit einbringen kann. Ich persönlich wähle meist Projekte aus dem Bereich des Öffentlichen Rechts, zu denen ich einen persönlichen Bezug herstellen kann und ein konkretes Ziel für den Mandanten vor Augen habe. 
 

Ist die Beratung der Pro-Bono-Fälle fest in Ihren Arbeitsalltag bei White & Case integriert oder erledigen Sie diese Aufgaben „nebenberuflich”? Inwieweit kann die Kanzlei Sie hierbei unterstützen?

In diesem Punkt profitieren wir bei White & Case von unserem Ursprung im angelsächsischen Rechtsraum, in dem die unentgeltliche Zurverfügungstellung von beruflicher Expertise schon lange fest verankert ist. In den USA sieht das anwaltliche Berufsrecht einzelner Staaten sogar eine Verpflichtung vor, Pro Bono-Stunden zu leisten.

So werden Pro Bono-Mandate bei uns wie jedes andere Mandat behandelt und sind fester Bestandteil unserer täglichen Arbeit. Insgesamt werden alle Annwält:innen von White & Case dazu ermutigt, sich aktiv in die Pro Bono-Arbeit der Kanzlei einzubringen und diese mitzugestalten. Für die Mandatsarbeit selbst stehen uns dann sämtliche Mittel zur Verfügung, die wir auch sonst bei der Arbeit nutzen.

Früh Verantwortung übernehmen & eigene Ideen umsetzen!

Anhand welcher Kriterien werden die Mandate ausgewählt? Arbeiten Sie immer in einem festen Team an Pro-Bono-Fällen? 

Wir erhalten in regelmäßigen Abständen eine Übersicht zu verschiedenen Pro Bono-Mandaten, bei denen wir dann in Absprache mit den jeweiligen Partner:innen mitwirken können. Darüber hinaus können wir auch eigene Pro Bono-Mandate vorschlagen – dann besteht die Aufgabe zunächst darin, ein passendes Team zusammenzustellen und zu klären, ob wir alle relevanten Fachbereiche dafür abdecken können. Insofern kann man im Pro Bono-Kontext schon früh mit den Bereichen Mandatsakquise und -erstellung in Kontakt kommen.

Die Zusammensetzung des Teams ist von Mandat zu Mandat unterschiedlich. Auf diesem Wege kommt man im Rahmen der Pro Bono-Arbeit regelmäßig mit Kolleg:innen aus anderen weltweiten Büros in Kontakt, mit denen man vorher noch nie zusammengearbeitet hat und kann so quasi nebenbei auch sein persönliches Netzwerk erweitern.
 

Eine Station Ihres Referendariats haben Sie beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) absolviert. Welchen Einfluss hatte diese Tätigkeit sowohl in Bezug auf Ihre juristische Arbeits- und Sichtweise als auch auf die Frage nach der Rechtsdurchsetzung für Bürger:innen?

Die Tätigkeit am EGMR hat meine Sicht auf unsere europäischen Rechtssysteme verändert und mein Vertrauen in zwischenstaatliche Institutionen gestärkt. Insbesondere hat sie mir gezeigt, dass Rechtsdurchsetzung einen großen Teil dessen ausmacht, was ich unter Gerechtigkeit verstehe. Das war mir während meines Studiums in diesem Ausmaß noch nicht so bewusst. Als Anwält:innen nehmen wir in dieser Hinsicht eine wichtige Bindeglied-Funktion ein und haben die Aufgabe, abstraktes Recht in einen konkreten Mehrwert für unsere Mandantschaft umzuwandeln.      
 

Ist die unentgeltliche Zurverfügungstellung von beruflicher Expertise bereits fest etabliert in der deutschen Kanzleiwelt? Für welche Akteure gestaltet sich der Zugang zum Recht in Deutschland schwieriger?

Soweit ich es beurteilen kann, wird Pro Bono-Arbeit in der deutschen Kanzleiwelt immer mehr zum Thema. 

Der Zugang zum Recht („access to justice“) ist in Deutschland wie auch sonst auf der Welt typischerweise durch zwei Faktoren beschränkt: Das Wissen um das eigene Recht und die Möglichkeit, dieses Recht auch durchzusetzen. Dies betrifft letztlich jede:n von uns, wird aber natürlich durch äußere Faktoren wie fehlende finanzielle Ressourcen weiter verstärkt. Insbesondere an letzterem Punkt kann die Pro Bono-Rechtsberatung anknüpfen und den Zugang zum Recht erleichtern.        

Was würden Sie Jurist:innen entgegenbringen, die der Meinung sind, dass in Deutschland aufgrund der existierenden Beratungs- und Prozesskostenhilfe Pro-Bono hinfällig ist, Herr Thonke?

Die von Ihnen angesprochenen staatlichen Unterstützungsmaßnahmen bei der Rechtsdurchsetzung sind eine wesentliche Errungenschaft unseres Rechtssystems. Dennoch wäre es verkürzt, sich darauf auszuruhen, denn Beratungs- und Prozesskostenhilfe gewährleisten nur einen Mindeststandard und decken damit nicht alle Bereiche ab, die wir im Pro Bono-Bereich bearbeiten. So betreuen wir zum Beispiel viele Pro Bono-Mandate im außergerichtlichen (nicht-streitigen) Bereich, etwa durch Beratung zu Gesetzesvorhaben oder zu rechtsvergleichenden Rechercheprojekten internationaler Organisationen.  

In meinen Augen sind Pro Bono-Beratung und staatliche Unterstützung im Rahmen von Beratungs- oder Prozesskostenhilfe kein Gegensatzpaar, sondern ergänzen einander. Insofern ist es umso wichtiger, sich von Kanzleiseite aus nicht auf der vorhandenen Beratungs- und Prozesskostenhilfe auszuruhen, sondern in den Bereichen zu unterstützen, die vom Staat vielleicht noch nicht vollständig abgedeckt werden. 
 

Sie waren bereits während Ihres Studiums ehrenamtlich – u.a. in einer Law Clinic und bei Amnesty International – tätig. Was hat Sie dazu bewegt, Ehrenamt und Jura zu verbinden? Ist es von Vorteil, bereits während des Studiums ein Ehrenamt zu begleiten?

Jura kann meiner Meinung nach nicht losgelöst vom gesellschaftlichen Kontext betrachtet werden. Das Studium mit einem Ehrenamt zu verbinden, war für mich daher sehr naheliegend. Die juristische Ausbildung bringt einem zwar die juristische Methodik bei – der konkrete Einsatz des Erlernten obliegt aber jeder/jedem Einzelnen. Um hierbei einen eigenen Kompass zu entwickeln, war es für mich schon wichtig, mich ehrenamtlich zu engagieren – und dabei Probleme und persönliche Schicksale von Menschen außerhalb meiner „Bubble“ kennenzulernen.

Ganz unabhängig davon lernt man bei ehrenamtlichen Tätigkeiten auch früh, eigenständig zu arbeiten und Dinge zu hinterfragen, was im späteren Leben – auch im Beruf – nur von Vorteil ist. Für einen Einstieg ins Ehrenamt ist es aber nie zu spät und man sollte sich hierbei ohnehin mehr von persönlichen Interessen als von möglichen Vorteilen leiten lassen.      
 

Wie ist die Resonanz bezüglich Ihrer Pro-Bono-Arbeit seitens Ihrer Kolleg:innen und White & Case als Arbeitgeber?

Pro Bono-Arbeit ist bei White & Case ein wichtiger Bestandteil der Kanzleikultur. Als Anwält:innen werden wir dazu ermutigt, von Anfang Pro Bono-Arbeit zu leisten und uns in den Mandaten zu engagieren. Auch unter den Kolleg:innen genießt die Pro Bono-Arbeit meiner Erfahrung nach einen hohen Stellenwert und wird insgesamt viel in Anspruch genommen. Pro Bono-Mandate sind bei uns keine Mandate „zweiter Klasse“, sondern fügen sich ganz normal in unsere übrige Mandatsarbeit ein.

Die ehrenamtliche Rechtsberatung und die Pro Bono Tätigkeit helfen mir dabei, neue Blickwinkel einzunehmen und mit Fragestellungen und Problemen außerhalb des eigenen Kontexts in Berührung zu kommen.
Victor Thonke

Gibt es ein Pro-Bono-Projekt, das Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?

Letztes Jahr habe ich eine internationale Organisation umfangreich zu sanktionsrechtlichen Themen beraten. Durch die Sanktionen konnten bestimmte Hilfsgelder an Bedürftige in den kriegsbetroffenen Gebieten nicht mehr ausgezahlt werden – und das, obwohl die betroffenen Personen auf die Gelder zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts dringend angewiesen waren. Wir standen hierbei in engem Austausch mit den deutschen Behörden und Ministerien. Letztendlich konnten wir für die Hilfszahlungen eine Ausnahmegenehmigung erwirken – zur großen Erleichterung für alle Beteiligten. 

Aber auch in diesem Jahr stehen wieder einige interessante Projekte an. In Kürze werde ich etwa die European Lawyers in Lesvos für zwei Wochen vor Ort in Griechenland bei der Asylberatung für Geflüchtete unterstützen. Damit schließt sich für mich persönlich auch der Kreis zu meinem ehrenamtlichen Engagement in der Law Clinic und bei Amnesty International. 
 

Welche neuen Perspektiven haben Ihnen das freiwillige Engagement und die Pro-Bono-Beratung eröffnet? Was möchten Sie jungen Jurist:innen diesbezüglich mit auf den Weg geben?

Die ehrenamtliche Rechtsberatung und die Pro Bono Tätigkeit helfen mir dabei, neue Blickwinkel einzunehmen und mit Fragestellungen und Problemen außerhalb des eigenen Kontexts in Berührung zu kommen. Als positiver Nebeneffekt schaffen sie außerdem einen guten Ausgleich zur übrigen anwaltlichen Arbeit und bieten die Möglichkeit, die in Studium und Ausbildung erlernen Inhalte schon früh anzuwenden. Ich kann jede:n nur dazu ermutigen, sich, auf welchem Weg auch immer, ebenfalls ehrenamtlich zu engagieren. Man lernt dadurch viel dazu und erhält die Möglichkeit, als Jurist:in – und als Mensch – weiter zu wachsen.

     
Vielen Dank, Herr Thonke!

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