Autor und ehemaliger JVA-Leiter Thomas Galli im New Lawyers Podcast

Verfasst von Laura Hörner|Veröffentlicht am 24.05.2023

Muss sich unser Strafvollzug verändern?

Autor und ehemaliger JVA-Leiter Thomas Galli im New Lawyers Podcast

Wer ein Verbrechen begeht, muss dafür bestraft werden – so weit, so gut. Aber welche Ziele hat der Strafvollzug eigentlich? Und werden diese Ziele in deutschen Gefängnissen wirklich erreicht? Über diese und weitere Fragen spricht Alisha Andert in dieser Folge des New Lawyers Podcast mit dem Buchautor und ehemaligen Leiter einer Justizvollzugsanstalt Thomas Galli.

 

Spannend, aber auch bedrückend – so beschreibt Thomas Galli die Arbeit in der Justizvollzugsanstalt. Wie eine andere Welt, wie eine Kleinstadt auf engstem Raum, in der man alle paar Meter Gittertüren auf- und zuschließen muss. Es liege eine Schwere auf den Anstalten, was nicht zuletzt dem geschuldet sei, dass dort eine große Anzahl an Menschen gegen ihren Willen eingesperrt ist.

Dass solche Einrichtungen überhaupt existieren, hat mehrere Gründe. Zum einen ist da die Abschreckung potenzieller Täter:innen. Auf der anderen Seite soll der Strafvollzug eine Resozialisierung ermöglichen und die Täter:innen auf ein straffreies Leben in Freiheit vorbereiten. Zudem spiele der Aspekt der Sicherheit eine Rolle – und natürlich die Vergeltung an den Täter:innen.

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Hier findest du aktuelle Folgen des New Lawyers Podcasts:

Verschiebung des Schwerpunkts: Resozialisierung statt Vergeltung

Schnell wird klar, dass der Strafvollzug viele Ziele verfolgt. Gallis Meinung nach sind es sogar zu viele – es gebe zu viele Erwartungen und die Ziele würden sich teilweise gar widersprechen. So hält er es nicht für sinnvoll, dass Menschen, die man eigentlich resozialisieren möchte, von der Außenwelt abkappt. Auf diese Weise entstehe eine Desozialisierung in Bezug auf die Allgemeingesellschaft, andererseits aber eine Sozialisierung mit anderen Straftäter:innen, mit der im Gefängnis vorherrschenden Subkultur und den dazugehörenden Werten.

Freiheitsstrafen abzuschaffen sei sicherlich nicht die richtige Maßnahme, um mit solchen Problemen umzugehen. Schließlich ist da auch noch das Vergeltungsbedürfnis, welches Betroffene, aber auch Unbeteiligte haben – und welches laut Galli für eine funktionierende Gesellschaft wichtig und nachvollziehbar ist. Seine Kritik richtet sich jedoch dagegen, dass dieses Vergeltungsbedürfnis zu sehr im Mittelpunkt stehe. Stattdessen müsse man den Schwerpunkt verschieben, in Richtung der Resozialisierung und der positiven Gestaltung der Zukunft. Auch die bessere Entschädigung der Opfer könne für mehr Gerechtigkeit sorgen.

Viele Menschen haben die falschen Vorstellungen darüber, wer überhaupt in unseren Gefängnissen sitzt und für was die Menschen sitzen.
- Thomas Galli

„Viele Menschen haben die falschen Vorstellungen darüber, wer überhaupt in unseren Gefängnissen sitzt und für was die Menschen sitzen“, erklärt Galli. Die Hälfte der Inhaftierten würden nur Freiheitsstrafen von bis zu einem Jahr absitzen, oft wegen kleineren Delikten. In einem realitätsnäherem Umfeld könnte deren Sozialisierung besser gelingen. Zum Beispiel in wohngruppenartigen Einrichtungen, in denen die Inhaftierten auch Zeit mit ihren Familien verbringen können – vor allem die unschuldigen Kinder würden darunter leiden, wenn Eltern im Gefängnis sitzen. Ein Vorbild könnte Skandinavien sein. Dort arbeite man mehr mit offenem Vollzug, zum Beispiel in ebensolchen Familienhäusern, mit einer Arbeitsvermittlung schon während der Haft oder mit elektronischem Hausarrest.

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Galli zieht Konsequenzen – und lässt das Beamtenverhältnis hinter sich

Dass das System des Strafvollzugs nicht funktioniert, erkannte Galli schon früh in seiner Karriere. Er beobachtete, dass Entlassene aus prekären Verhältnissen kurze Zeit später wieder kamen und wieder eingesperrt wurden. Nach fünfzehn Jahren fasste er dann den Entschluss, die Entlassung aus dem Beamtenverhältnis zu beantragen. Es sei eine Frage der Glaubwürdigkeit gewesen – er wollte nicht mehr von einem System profitieren, das er kritisch sieht. Stattdessen möchte er etwas tun, hinter dem er steht.

Während er als Anstaltsleiter nur in einem engen Rahmen mitgestalten konnte, kann Galli nun von außen viel mehr bewirken. So hat er beispielsweise sein Buch „Weggesperrt“ veröffentlicht, in dem er neue Wege aufzeigt und an konkreten Fällen analysiert, warum die Strafziele nicht erreicht werden. Zudem beteiligt er sich am öffentlichen Diskurs. Gerade der sei wichtig, um etwas zu verändern – schließlich sei der Strafvollzug eine gesellschaftliche Angelegenheit, die jeden betrifft.

Was sich Galli wünscht, ist mehr Initiative vom Staat. „Ich würde mir mehr Verantwortungsübernahme durch die Gesetzgeber wünschen“, sagt er und erklärt, dass der Strafvollzug in Deutschland Ländersache ist. Einige positive Projekte gebe es schon – wenn auch im kleinen Rahmen.

 

Dich interessiert, wie Gallis ehemalige Kolleg:innen aus dem Strafvollzug sein Buch aufgenommen haben? Oder du möchtest wissen, mit welcher berühmten Person er gerne mal einen Abend verbringen möchte? Dann hör jetzt rein in diese Folge des New Lawyers Podcasts!

Die Themen der Folge im Überblick:

 

  • Ab 01:55: Icebreaker-Frage: Mit welcher berühmten, verstorbenen Person würden Sie gern den Abend verbringen?
  • Ab 03:13: Wie sind Sie zur JVA gekommen?
  • Ab 04:40: Die Arbeitsbedingungen in der JVA
  • Ab 05:28: Warum haben Sie die Entlassung aus dem Beamtenverhältnis beantragt?
  • Ab 06:59: Was ist der Sinn des Strafvollzugs?
  • Ab 10:41: Was sind die Hauptkritikpunkte am Strafvollzug?
  • Ab 13:03: Muss es Vergeltung geben?
  • Ab 14:51: Woran haben Sie erkannt, dass das System nicht funktioniert?
  • Ab 17:35: Warum werden die Probleme nicht angegangen?
  • Ab 19:31: Welche anderen Lösungswege gibt es?
  • Ab 21:40: Was ist Ihre Rolle?
  • Ab 22:54: Das Buch „Weggesperrt“
  • Ab 26:46: Wie kann man auf Ängste in der Bevölkerung reagieren?
  • Ab 29:50: Gab es schon positive Entwicklungen?
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Laura Hörner
Kulturwirtschaft Uni Passau

Als freie Autorin schreibt Laura Hörner bei TalentRocket über Themen rund um die juristische Karriere. Besonders interessiert sie sich dabei für die vielfältigen Karrierewege, die Jurist:innen offenstehen.